Durcheinander 2.0

Einige Konservative in den USA vermissen ihren alten Lieblingsfeind. Doch Andrew Keen hat herausgefunden, was in Wirklichkeit hinter den Ideen von Web 2.0 steckt: Der pure Kommunismus!

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Mario Sixtus

Edmund Stoiber ist wahrscheinlich Deutschlands bekanntester Durcheinanderbringer. Er spricht vom Bahnhof, wenn er den Flughafen meint, schüttelreimt fröhlich von der "ludernden Glot" und verwechselt schon mal Sabine Christiansen mit Angela Merkel. Aber das ist alles Durcheinander 1.0. Der ultimative Durcheinanderbringer des Monats Februar heißt eindeutig Andrew Keen und sein Schüttellogik-Elaborat erschien jenseits des Atlantiks, im neokonservativen Magazin "The Weekly Standard".

Einige Konservative in den USA leiden nach wie vor unter Phantomschmerzen; sie vermissen ihren Lieblingsfeind. Die bärtigen Mullahs taugen einfach nicht so phantastisch zum Dauerangstmacher wie dereinst die vielbeschworene Fratze des Kommunismus. Doch Rettung naht:Der verkrachte New-Economy-Unternehmer Andrew Keen hat neue kommunistische Gespenster ausgemacht. Ausgerechnet im Herzen seines Heimatlandes, mitten im Silicon Valley residieren sie: die gefährlichen Agitatoren rund um Social Software und Web 2.0.

"In der marxistischen Terminologie sind die traditionellen Medien zur ausbeutenden 'Bourgeoisie' geworden und die Bürgermedien, die heldenhaften Blogger und Podcaster, sind das Proletariat", doziert Keen über die seiner Meinung nach wahren Beweggründe der Web-2.0-Vordenker. "Genau wie Marx eine Generation von Idealisten mit seinen Fantasien eines Kommunistischen Utopia verführt hat, so verführt der Web-2.0-Kult der kreativen Selbstverwirklichung jeden in Silicon Valley."

Herzlich willkommen beim Durcheinanderbringer 2.0. Heute im Programm: Wir verwechseln Kommunismus mit Demokratie. Die neuen Internetwerkzeuge der Publikation, Kommunikation und Vernetzung geben jedem einzelnen die gleiche Möglichkeit, an den öffentlichen Debatten Teil zu haben, statt sie passiv in den alten Medien zu verfolgen. Der Traum jedes wahren Demokraten – und der Albtraum für zentralistische Meinungsmonopole. Gleiche Rechte und gleiche Chancen für alle, ein Grundmotiv der Demokratie, mit den nivellierenden Bestrebungen des Kommunismus durcheinander zu mixen, hätte sich wohl noch nicht mal Edmund Stoiber auf Drogen getraut.

Keen weiter: "Ein anderes Wort für Narzissmus ist 'Personalisierung'. Web-2.0-Technologien personalisieren Kultur, damit sie uns selbst reflektiert, statt unsere Umwelt. (…) Online-Händler personalisieren sich nach unseren Vorlieben und erzeugen dadurch ein Rückkopplung unseres eigenen Geschmacks." Spätestens jetzt klingt der Kommunismuswarner selbst wie ein nordkoreanischer Propagandaminister, der gerade die individualistische Lebensweise des Westens geißelt. Freier Wille, freie Rede und somit auch individuelle Auswahl von Kultur und Wissen gehörte einmal zum ureigensten US-amerikanischen Selbstverständnis. Folgt man dem Keen'schen Duktus, ist das alle Teufelszeug.

Ganz auf die neuen Möglichkeiten der Jedermann-Medien möchte aber auch Andrew Keen nicht verzichten: Er betreibt ein eigenes Blog und obendrein einen eigenen Podcast. Vielleicht ist das ja Konsequenz 2.0. (wst)