Vorsprung durch Sprengtechnik

Es herrscht Krieg auf den Straßen – und keiner schaut hin: Mensch gegen Maschine, Knochen gegen Blech. Nun rüstet ein Autohersteller ab.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Matthias Urbach

Gegen unseren Freund, das Auto, ist Osama bin Laden ein blutiger Anfänger. Allein 2002 starben 1,2 Millionen weltweit auf der Straße, wie Anfang der Woche ein internationales Expertenteam berichtete. Nur redet keiner drüber.

Seltsam. Seit bald fünf Jahren beherrscht der islamistische Terror unser Denken. Zwei Kriege wurden geführt, Regierungschefs abgewählt, das atlantische Bündnis belastet. Und das im Wesentlichen wegen eines einzigen, zugegeben schrecklichen Anschlags.

Doch im Straßenverkehr werden Jahr für Jahr 50 Millionen Menschen verletzt – davon kann El-Kaida nur träumen. Allein in Deutschland kommen alljährlich, trotz rücklaufender Tendenz, noch immer doppelt so viel ums Leben wie am 11. September im World Trade Center. Der Unterschied allein: Wir haben uns daran gewöhnt.

Der Vergleich hinkt?

Fakt ist: Jeder vierte Verkehrstote in der alten EU ist Opfer alkoholisierter oder übermüdeter Fahrer, gar jedes dritte Opfer starb wegen überhöhtem Tempo der Todesfahrer. Täglich also mutieren zivilisierte Mitteleuropäer in ihren ganz normal übermotorisierten Autos nach völlig selbstverständlichen eins, zwei kühlen Pils zu Selbstmordattentätern.

Ich übertreibe?

Und wofür bitte schrauben sich diese sicherheitsfanatischen Off-road Four-wheel Sport-utility-vehicle Typen auch noch einen „Kuhfänger“ vor den Kühler? Auf Kühe wird dieses knochenbrechende, chromblitzende Accessoire wohl kaum treffen. Eher auf das Genick eines seinem Ball hinterherlaufenden Mädchens.

Man könnte das Terror nennen.

Natürlich hat ein Autofahrer in der Regel keine Tötungsabsicht – anders als ein Terrorist. Nur was nützt das, wenn der Tod so unbekümmert in Kauf genommen wird? Das wird jedem sofort klar, dem schon einmal ein Wildfremder das Leben retten musste, indem er einem am Selbstverständlichen hinderte: Ganz naiv die Straße bei Grün zu überqueren, die ein beschleunigender NineEleven dennoch für sich beansprucht. Wie es zum Beispiel mir an Hamburgs Außenalster passiert ist. (By the way: Darf der Porsche in den USA überhaupt noch so heißen?)

Es gibt Lichtblicke: Ein Hersteller rüstet ab. Ende vergangener Woche wurde der erste Wagen in die Autohäuser geschoben, dessen Entwickler den Schutz von Fußgängern beim Aufprall wirklich ernst nahmen. Als Erster erreichte diese Limousine die Höchstwertung beim Euro-NCAP-Test Mensch gegen Maschine. Die meisten Konkurrenten versagen kläglich.

Überflüssig zu erwähnen, dass es sich nicht um ein deutsches Modell handelt: Es ist der Citroën C6. Die französische Schlitten hat nicht nur runde Kanten und nachgiebiges Material an Stoßstange und Kühlern, wie es die EU seit kurzem für Neuwagen verlangt. Er hat vor allem die Motorhaube entschärft: Weil der unnachgiebige Motorblock darunter oft zu tödlichen Verletzungen führt, sprengt der C6 im Un-Fall zwei Verriegelungen auf, die die (nachgiebige) Motorhaube eine Hand breit nach oben schnellen lässt, um so den Aufprall fern vom Motorblock abzufedern.

Na bitte! Vorsprung durch Sprengtechnik.

Von so etwas können etwa Afrikaner, die als Fußgänger besonders gefährlich leben, nur träumen. „Obwohl die Zahl der Toten durch Verkehrsunfälle in den wohlhabenden Staaten rückläufig ist, wächst die Last durch Verletzungen im Straßenverkehr für die Mehrheit der Weltbevölkerung dramatisch“, berichtet Robyn Norton von der Uni Sydney, Mitglied des eingangs erwähnten Forscherteams. Auf mehr als 500 Milliarden Dollar schätzen die Experten die Kosten der weltweiten Unfallschäden – und bei armen Staaten, erklärt Norton, überträfen diese Ausfälle nicht selten die Entwicklungshilfegelder. In die Tagesschau kommt er damit trotzdem nicht. (wst)