Nano-wie?

Nanotechnologie oder Nanotechnik, Technik oder Technologie - gibt es da überhaupt einen Unterschied? Allerdings. Ein Plädoyer gegen schlampige Sprache und für präzise Begriffe.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Niels Boeing

Deutsch, heißt es, ist eine sehr präzise Sprache. Sie schreckt nicht vor wahren Wortungetümen zurück, um einen Sachverhalt so eindeutig wie möglich zu beschreiben. Aber offenbar schützt dieser Hang zur Genauigkeit nicht vor Schlampigkeiten. „Nanotechnologie“ ist eine davon. Vor einigen Tagen erst musste ich mir erst wieder sagen lassen, in einem deutschen Ministerium sei man regelrecht „in Ohnmacht“ gefallen, dass ich darauf bestünde, es heiße „Nanotechnik“. Höchste Zeit für eine Klärung – denn es handelt sich hierbei mitnichten um eine Geschmacksfrage.

Sprachpuristen verweisen gerne leicht säuerlich darauf, „Technologie“ sei nur ein Anglizismus. Das stimmt nicht: Im deutschen Sprachraum wurde es im 18. Jahrhundert von Johann Beckmann (1739 – 1811) eingeführt, der es als eine Wissenschaft verstand, die „die Gesamtheit der in den verschiedensten Gewerben vorkommenden einzelnen Verfahrensweisen“ untersucht. So wie Biologie die Wissenschaft vom Leben ist, meint Technologie dann die Wissenschaft von der Technik. In diesem Sinne ist es bis heute von Technikforschern wie Johannes Müller oder Günter Ropohl – der seine 1979 erschienene „Systemtheorie der Technik“ mit „Zur Grundlage der Allgemeinen Technologie“ untertitelte – verwendet worden.

Der generische Begriff des Gegenstandes selbst ist im Deutschen immer „Technik“ gewesen, wie man noch an langgedienten Bezeichnungen wie Verfahrens- oder Elektrotechnik sieht – oder hat etwa schon mal jemand Elektrotechnologie studiert? Im Englischen hingegen ist „Technology“ auch der allgemeine Begriff. Als Norio Taniguchi 1974 erstmals in einem Aufsatz den Begriff „Nanotechnology“ verwendete, den einige Jahre später Eric Drexler populär machte, hätte man ihn also mit „Nanotechnik“ übersetzen müssen.

Aber da war im deutschen Sprachraum längst das „Denglisch“ auf dem Vormarsch. Der schleichende Übergang von „Technik“ zu „Technologie“ hatte auch politisch einen Vorteil. Die Anti-Atomkraft-Bewegung wurde fälschlich so gedeutet, dass die Deutschen im Begriff seien, sich in ein Volk von Technikfeinden zu verwandeln (in Wirklichkeit hatten viele AKW-Gegner vom komplexen Wesen der Technik mehr begriffen als so mancher Ingenieur). Wo „Technik“ also angeblich nicht mehr wohlgelitten war, bot „Technologie“ den Ausweg. Ein trendiger, unverbrauchter Begriff, der Fortschritt und Innovation suggeriert.

Das Ergebnis dieser Verwirrung kann man nun auf jeder Podiumsdiskussion zu den Risiken der Nanotechnik erleben. Da winden sich Forscher unter kritischen Fragen und entgegnen, es sei zu pauschal, von Risiken „der Nanotechnologie“ zu sprechen. Man müsse doch bitte schön präzisieren, von welcher Nanotechnologie die Rede sei. Denn die sei doch eine „Querschnittstechnologie“ (also die Wissenschaft von der Querschnittstechnik, oder wie?).

Diese Irreführung könnten wir uns sparen, wenn wir über „Nanotechnik“ sprechen würden. Denn bei dieser handelt es sich um Technik an sich, die auf der Nanoskala operiert.

Der Unterschied ist wichtig, denn Nanotechnik markiert dann einen Epochenbruch in der Geschichte der Technik. Den hat Gerd Binnig, der Erfinder von Rastertunnel- und Kraftmikroskop, sehr treffend als „grundlegend neue Evolution materieller Strukturen“ charakterisiert. Und diese Evolution bedeutet nichts weniger als die Aufhebung der Trennung von belebter und unbelebter Materie, denn der Nanobereich befindet sich unterhalb der Zellebene.

Die möglichen Konsequenzen könnten weitaus umfassender sein, als eine leicht variierte Feinstaubdebatte über die mögliche Toxizität von Nanopartikeln vermuten lässt. Diese Konsequenzen werden wir aber nicht abschätzen können, solange nur von „Nanotechnologie“ die Rede ist, was in Anlehnung nicht viel mehr bedeutet als eine Sammelbeschreibung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Verfahren zur Herstellung ganz bestimmter Produkte – wie etwa selbstreinigender Kloschüsseln (eine chemische Nanotechnologie).

Nanotechnik hingegen ist eine Herausforderung, vor der die Atomkraft eines Tages wie ein überschaubares Problem aussehen könnte. (wst)