Der unsichtbare Drexler

Ist die Vision von der molekularen Fabrik mächtiger und verbreiteter, als unter Nanoforschern zugegeben wird?

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Von
  • Niels Boeing

Vor zwei Tagen blieb ich bei einer Meldung aus der Nanoforschung hängen. Sie begann mit den Worten: „Selbst die kleinsten Geräte, die auf der molekularen Ebene zusammengebaut werden, benötigen Motoren und Oszillatoren.“ Dann wurde die Arbeit von drei südkoreanischen Forschern vorgestellt, die eine Art Propellerantrieb aus rotierenden Nanotube-Bündeln hergestellt hatten. Erst im April hatte die Gruppe um James Tour von der texanischen Rice University eine verbesserte Version ihres Nanoautos präsentiert, das im vergangengen Jahr für Aufsehen gesorgt hatte und nun mit einem Motor versehen wurde.

Doch es sind nicht nur rotierende Motoren, die es der Nanotech-Gemeinde angetan haben: Vergangene Woche hatten Wissenschaftler der Technischen Universität Delft ein System aus Transportkanälena beschrieben, die mit dem Protein Kinesin bedeckt sind. Dieses hat die Eigenschaft, andere Moleküle weiterzureichen, ähnlich wie bei Rockkonzerten manchmal Zuschauer über den Köpfen der Menge Richtung Bühne getragen werden. Kinesin ist seit langem ein Kandidat für Nanobeweger.

Mich erstaunt an diesen Beispielen, dass sie im Grunde Nanotechnik sehr ähnlich begreifen und kommunizieren wie die verpönte Fraktion der Molekularen Nanotechnologie um Eric Drexler. Der hatte 1992 in Nanosystems sich ausführlich mit Motoren, Förderbändern und Greifarmen beschäftigt und so den Spott seiner Kollegen zugezogen. James Tours Worte bei der Vorstellung des Nanoautos hätten allerdings auch direkt von Drexler sein können: „Wir wollen Dinge von unten – from the bottom up – konstruieren, Molekül für Molekül.“

Wenn man einmal davon absieht, dass solche Forschungsarbeiten bislang nur ein „Proof of Principle“ sind, bleibt immer noch die Frage: Wozu braucht man eigentlich Nanomotoren und Förderbänder? Klassische Grundlagenforschung ist es nicht, denn auch wenn die genannten Systeme von biologischen Beispielen motiviert sind, handelt es sich doch um nichtbiologische Systeme – vor allem aber um technische Artefakte. Ist es nur der berühmte männliche Spieltrieb, den Teile der Wissenschaftssoziologie vielen Forschern unterstellen? Geht es darum, Nanotechnik sexy zu verkaufen und so die nächste Runde an Fördergeldern zu versichern? Die Bereitschaft der Medien, sich auf so lustiges Zeug wie Nanoautos zu stürzen, ist ungebrochen.

Oder ist die Drexler’sche Vision mächtiger und verbreiteter, als unter Nanoforschern zugegeben wird? Ihre Metapher ist die molekulare Fabrik gewesen. Die wird heute nicht nur in biologischen Zellen erblickt, sondern auch in solchen Arbeiten wie den genannten aktiv zu nichtbiologischen Varianten vorangetrieben. Hierzulande können einem solche Strömungen in der Nanoforschung schon mal entgehen, weil die deutsche Nanotechlandschaft sehr von Chemie, Werkstoffwissenschaften und Analytik geprägt ist. Doch das sollte uns nicht daran hindern, uns endlich mit den Drexler’schen Konzepten und ihren Konsequenzen auseinanderzusetzen. Es gibt offenbar genug Leute, die ein Interesse daran haben, dass diese Konzepte nicht länger Sciencefiction bleiben. Ob die langfristig noch so lustig daherkommen wie Nanoautos, bezweifle allerdings stark. (wst)