Die Nano-Makro-Frage

Die Nanotechnik hat ein großes Ziel: die Verwandlung des Nanokosmos in eine elegante, ausgefeilte Maschinerie. Wie aber integriert man viele Nanobauteile zu komplexeren Makroobjekten? Von der Antwort wird der große Erfolg der Nanotechnik abhängen.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Niels Boeing

Die Nanotechnik hat einen blinden Fleck, der in Forschungsprogrammen, Branchenanalysen und Medienberichten selten thematisiert wird: die gezielte und vor allem schnelle Integration von Nanostrukturen zu funktionsfähigen, komplexeren Mikro- oder Makroobjekten. Während Forscher nanostrukturierte Schichten und Suspensionen von Nanopartikeln schon recht gut beherrschen, gleicht die Montage von molekularen Objekten zu Nanodevices bisher dem vorsichtigen Gefummel von Dreijährigen, die ihre ersten Legosteine zusammensetzen. Da müssen etwa einzelne Nanotubes, die eine Diode oder einen Transistor abgeben sollen, immer wieder aufwändig mit Kraftmikroskopen hin und her bugsiert werden.

Klar, dass man so keine nanoelektronischen Chips fertigen kann, die aus Hunderttausenden oder gar Millionen molekularen Bauteilen bestehen müssen. Doch genau diese Integration ist das eigentliche Paradigma der Nanotech-Gemeinde: die Verwandlung des Nanokosmos in eine elegante, ausgefeilte Maschinerie. Alles andere ist, wie vor allem Chemiker immer wieder gerne betonen, eigentlich nur eine Weiterentwicklung der Chemie. Aber was die Natur auf der Zellebene in Millionen von Jahren entwickelt hat, lässt sich nicht in kurzer Zeit für nichtbiologische Systeme umsetzen.

Diesen blinden Fleck enthält man der Öffentlichkeit, die man für die neueste Stufe der Technik begeistern will, denn auch gerne vor. Auf der anderen Seite ist die Versuchung groß, Fortschritte bei der Selbstorganisation von Nanobausteinen – dem einzigen bisher zur Verfügung stehenden Integrationsverfahren – zu übertreiben. So geschehen etwa bei einer Veröffentlichung theoretischer Physiker der Universität Princeton vor einigen Monaten. „Nanotech-Entdeckung könnte radikale Auswirkungen haben“, verkündete die entsprechende Pressemitteilung der Universität vollmundig. Die drei Wissenschaftler wollten ein mathematisches Modell gefunden haben, mit dem sich beliebige geordnete Strukturen auf der Nanoebene anfertigen lassen – der heilige Gral der Nanotechnik. Doch schnell machte sich in der Community Enttäuschung breit, und Richard Jones, Autor des derzeit besten Nanotech-Blogs „Soft Machines“, urteilte, es handele sich „um die schlechteste Pressemitteilung, die ich seit einiger Zeit gesehen habe“.

Ein wirklich ernst zu nehmender Schritt auf dem Weg zu einer funktionierenden Integration ist hingegen kürzlich Forschern am Thomas-Watson-Forschungszentrum von IBM gelungen (Abstract des Papers in Nano Letters, Abo für Volltext erforderlich). Der Clue ist ein Molekül, dessen eines Ende an Kohlenstoff-Nanotubes bindet, das andere beispielsweise an Aluminiumoxid. Die IBMler stellten zunächst mittels Photolithographie ein Schaltungsmuster aus Aluminiumoxid auf einem Siliziumchip her. Darauf gaben sie dann eine Lösung mit Nanotubes, an deren Enden sich jeweils eines der Moleküle befand. Die banden dann an Endstellen der Aluminiumoxid-Struktur und legten damit die Nanotubes wie Brücken dazwischen. Die Brückenkopfmoleküle wurden anschließend durch Erhitzung entfernt. Auf diese Weise konnten sie eine ausgedehnte Struktur von halbwegs exakt platzierten Nanotube-Bauelementen herstellen.

Diese clevere Technik ist zurzeit neben der Self-Assembly von DNA-Gerüsten das einzige Verfahren, mit dem eine massiv parallele Positionierung von Nanobauteilen – etwa zu Nanotube-Chips – machbar sein könnte. Bis zu einer routinemäßigen Fertigung von echten Nanodevices dürften aber noch einige Jahre ins Land gehen. Allen Reden von der bevorstehenden „zweiten Industriellen Revolution“ zum Trotz: Der Fortschritt vollzieht sich auch in der Nanotechnik in vielen kleinen, beharrlichen Schritten der Ingenieurskunst. (wst)