It’s the end of the Net as we know it?

Beim Streit über Durchleitungsgebühren für Inhalte-Anbieter wird das Ende des Internets an die Wand gemalt. Aber war das Netz je offen, neutral und frei?

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Niels Boeing

Die heftige Debatte in den USA über Durchleitungsgebühren für Inhalte-Anbieter im Internet könnte man in Abwandlung eines alten R.E.M.-Songs „It’s the end of the Net as we know it“ betiteln, wenn man den Gebührengegnern glaubt. Wenn das Internet nicht mehr für jeden offen und gegenüber Inhalten neutral sei, käme das seinem Untergang gleich. „Ich glaube fest daran, dass wir die Offenheit des Internets erhalten müssen. Im Kern geht es um die Freiheit des Internets“, sagt Michael Copps, Mitglied der Federal Communications Commission (FCC) mit Demokratischem Parteibuch, im cnet-Interview.

Ich würde gerne Copps und den Aktivisten von „savetheinternet.com“ Recht geben. Aber nüchtern betrachtet machen sie sich etwas vor. Sicher, auch ich als Privatperson kann eine Website, einen Blog aufsetzen, gar einen eigenen Server aufstellen, und schon bin ich Teil des Cyberspace. Doch das bedeutet noch lange nicht, dass das Netz offen, neutral und frei ist – wahrscheinlich war es das nie.

Internetzensur ist in einigen Ländern an der Tagesordnung. Die Arbeitsweise des für einen großen Teil der Nutzer wichtigsten Tores zum Web, Google, ist intransparent. Der A-Rootserver des Internet befindet sich auf US-Territorium und wird von der Firma Verisign betrieben. Auch die „Netzregierung“ ICANN befindet sich in den USA und verdankt ihren Auftrag einem Vertrag mit der US-Regierung. Und das Internet ist auch nicht unzerstörbar, wie es die Mär von der Gründung als atomkriegsresistentes Kommunikationsnetz besagt – Forscher um Albert László-Barabási haben schon vor Jahren gezeigt, dass geschickt angesetzte Angriffe es in Inselnetze fragmentieren könnten. Wer Visualierungen der Datenströme betrachtet, stellt sofort fest, dass es einige wichtige Backbones und viel Peripherie auf dem digitalen Globus gibt. Hinzu kommen noch die ungebrochene Konzentration von Netzwerkbetreibern und Webdienstleistern und die kapitalintensive Veränderung zu einem Web der Maschinen mittels Web Services, die die Vision vom demokratischen Many-to-Many-Netz längst zum Traum von gestern haben werden lassen. Daran ändert meines Erachtens auch die Web-2.0-Euphorie nichts.

Den „Mythos Netz“ besonders gründlich zerlegt hat der Informatiker und Publizist Rainer Fischbach in seinem aktuellen gleichnamigen Buch, das als Hintergrundlektüre zur laufenden Debatte empfohlen sei. Darin zeigt er, dass die Cyberspace-Enthusiasten das Internet als reales Kommunikationsnetz weder semantisch, technisch, historisch noch ökonomisch verstanden haben – oder vielleicht gar nicht verstehen wollen. Von der großen Gleichheit aller Netzknoten kann auch keine Rede sein: Der Adressraum des Internets ist seit Mitte der 1990er hierarchisch organisiert. Und den Vertretern der kalifornischen Ideologie um Kevin Kelly, Esther Dyson oder auch John Perry Barlow ebenso wie postmodernen Theoretikern wie Manuel Castells oder Norbert Bolz attestiert er eine geistige Nähe zum italienischen Futurismus am Anfang des 20. Jahrhunderts, der eine militante Technisierung der Gesellschaft feierte. Die Version 2.0 kommt im Gewande von Hightech und Neoliberalismus daher.

Angesichts dieser Befunde ist der Slogan „Save the Internet“ gut gemeint, aber irreführend. Das, was hier gerettet werden soll, müsste erst einmal existieren. Man sollte aber den Streit um Durchleitungsgebühren und die Bewegung des Web 2.0 zum Ausgangspunkt nehmen, eine wirkliche Debatte über die Zukunft des Internet zu führen. Dann könnte es eines Tages vielleicht offen, neutral und frei sein. (wst)