Nanofrische für das Fleisch

Der Einsatz der Nanotechnik bei Lebensmitteln steht erst am Anfang, wie eine neue Studie zeigt. Um so besser: Die Lebensmittelindustrie hat noch alle Möglichkeiten, ein Debakel wie beim Genfood zu verhindern.

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Von
  • Niels Boeing

Ein uralter Mythos, der die Prognosen über die künftigen Segnungen der Nanotechnik eingefärbt hat, ist das Füllhorn: ein abgebrochenes Horn, das seinem Besitzer alles spendet, was dieser begehrt. Zeus schenkte es der Nymphe Amaltheia aus Dankbarkeit für die Ziegenmilch, mit der sie den Göttersprössling aufzog. In Neil Stephensons Nanotech-SF-Roman "Diamond Age" speist es die proletarischen Massen. Die können sich an öffentlich aufgestellten Materie-Compilern kostenlos zum Beispiel Nano-Sushi ziehen, das blitzschnell aus den molekularen Zutaten zusammengefügt wird.

Da läuft einem nun nicht gerade das Wasser im Mund zusammen, und für den Bonvivant französischer Prägung muss es gar wie der ultimative Horror industriellen produzierten Essens erscheinen. Tatsächlich hat die Lebensmittelindustrie die Anwendungsmöglichkeiten der Nanotechnik längst ausgelotet. Mc Donald's etwa hat erst kürzlich den Verpackungshersteller Ecosynthetics beauftragt, seine Burgerboxen mit einer Nanopartikel haltigen Schutzschicht zu produzieren. Nestlé experimentiert schon seit längerem mit Nanokristallen in Speiseeis, die dessen Konsistenz verbessern sollen.

Die israelische Firma Nutralease entwickelt gar Nanocontainer aus Lipiden, in denen Aromastoffe eingekapselt werden können. Im Kaffeepulver könnten die dafür sorgen, dass der Wachmacher beim Aufbrühen einen noch intensiveren Geschmack entfaltet. Vor allem letzteres hat die NT-Wachhunder der kanadischen ETC Group schon im vergangenen Jahr auf den Plan gerufen, die eine unheimliche Allianz aus Genfood und Nanotechnik heraufziehen sehen.

Das Geschäft mit nanotech-optimierten Lebensmitteln steht allerdings erst am Anfang, wie die britischen Marktforscher von Cientifica in einer kürzlich vorgestellten Studie zeigen: Der Umsatz liegt derzeit bei 410 Millionen Dollar jährlich und soll bis 2012 auf 5,8 Milliarden Dollar steigen.

Und im Unterschied zum Stephenson'schen Füllhorn und zu den Befürchtungen der ETC Group wird Nanotechnik vor allem am Anfang der Produktionskette zum Einsatz kommen: Nämlich bei Verpackungen - transparente Folien mit dem UV-Blocker Titandioxid etwa könnten Lebensmittel länger frisch halten - und Sensoren zum Nachweis der Produktqualität. Nanosensoren sind so empfindlich, dass sie schon wenige Moleküle detektieren können. Vielleicht bleiben uns eines Tages mit ihrer Hilfe Gammelfleischskandale erspart, wenn innerhalb von Minuten selbst niedrigste Bakterienkonzentrationen nachgewiesen werden können.

Sogar ganz am Anfang der Nahrungskette, auf dem Acker, könnte Nanotechnik Einzug halten. Forscher aus Mexiko und Indien arbeiten an Nanoherbiziden, die im Boden das Wachstum von Unkraut im wahrsten Sinne des Wortes im Keim ersticken sollen. Ziel ist, herkömmliche chemische Herbizide überflüssig zu machen.

Laut Cientifica forschen derzeit rund 400 Unternehmen der Lebensmittelindustrie an Nanotech-Anwendungen. Leider mit einer gewissen Geheimniskrämerei. Was alles in der Entwicklungspipeline ist, darüber gibt es im Wesentlichen nur Spekulationen.

Klar ist aber: Von Sensoren abgesehen, werden die neuen Segnungen vor allem auf Nanopartikeln beruhen. Welches Eigenleben die führen werden, ist derzeit noch nicht abzusehen. Will die Lebensmittelindustrie nicht einen ähnlichen Sturm der Entrüstung wie beim Genfood auslösen, sollte sie jetzt schon anfangen, der Öffentlichkeit ihre Nanofood-Pläne vorzustellen. (wst)