Die Ruhe vor dem Sturm

Wenn ein Bürgerforum als Indiz gelten kann, dann könnte die öffentliche Meinung zur Nanotechnik bei einem echten Vorfall kippen – die Nanocommunity muss glaubhaft machen, dass sie potenzielle Risiken energisch anpackt.

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Von
  • Niels Boeing

Vor einigen Tagen war ich eingeladen, vor dem ersten deutschen Bürgerforum zum Thema Nanotechnik den Advocatus Diaboli zu spielen: also einige Worte über potenzielle Nanorisiken zu verlieren. Dass dieses vom Bundesinstitut für Risikobewertung initiierte Forum hierzulande stattfindet, kann man nur gutheißen. Es war längst überfällig, nachdem Großbritannien 2005 mit der „Nanojury" mit gutem Beispiel vorangegangen war. Dabei war zweierlei bemerkenswert:

1. Die 18 nach demographischen Kriterien aus 6000 freiwilligen Kandidaten ausgewählten Bürger begnügten sich nicht damit, sehr konkret nach Nutzen, Risiken und Regulierung von Nanotechnik in Lebensmitteln, Textilien und Kosmetika (das ist der Schwerpunkt des Forums) zu fragen. Auch etwaige militärische Anwendungen, wirtschaftliche Umstände oder die Bedeutung von Nanotechnik für globale Probleme – Trinkwasserversorgung, Ernährungssicherheit – wurden angesprochen. Es waren genau die Fragen, die Nanoroadmaps, Forschungspläne oder Technikfolgenreports nicht beantworten können.

2. Das Vertrauen in Transparenz und Selbstregulierung der Industrie der Teilnehmer waren nicht besonders groß. Die Vertreterin der Kosmetikindustrie, die in ihrem Vortrag die seit Jahrzehnten praktizierten toxikologischen Sicherheitsvorkehrungen ihrer Branche erläuterte, hatte es da nicht leicht. Am Ende zeigte sie sich doch ein wenig „schockiert", dass Skandale aus Pharma- und Lebensmittelindustrie offenbar auch auf einen Industriezweig abfärbten, der selbst keine produziert habe.

Nun sind 18 Bürger nicht repräsentativ für „die" Öffentlichkeit. Aber es war ein Stimmungstest, der meine Vermutung bestätigte: Die öffentliche Meinung könnte immer noch kippen, wenn die Nanocommunity nicht glaubhaft macht, dass sie potenzielle Risiken energisch und offen anpackt.

Für einige sind die Schuldigen für fehlendes Vertrauen schon gefunden: die Medien. „Vertrauen wird geformt durch die Massenmedien und die Art und Weise, wie sie über neue Technologien berichten", schreibt etwa Dietram Scheufele in seinem Blog „nano | public". „Journalisten ziehen den Konflikt der Wissenschaft und die Debatte dem Diskurs vor."

Das ist denkbar simpel und vor allem ärgerlich. Aus zwei Gründen: Zum einen haben die Medien die Skandale der Vergangenheit (z.B. vertuschte AKW-Störfälle, BSE oder Lipobay) nicht erfunden. Zum anderen, und das ist noch wichtiger, gibt es ernsthafte Argumente gegen Technologien, die nichts mit deren wissenschaftlichen Grundlagen zu tun haben und die in den Medien dargestellt werden müssen.

Es spricht zwar alles dafür, dass zum Beispiel der Verzehr transgener Pflanzen unbedenklich ist. Über die mit der Einführung transgener Pflanzen verbundenen Tendenzen zur Monopolisierung von Technologien durch das Agrobusiness kann man aber sehr wohl streiten. Technik ist eben immer mehr als nur die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse – eigentlich eine Binsenweisheit. Die Fragen des Bürgerforums berührten genau diese „soziotechnischen" Zusammenhänge, um einen Begriff des Technikphilosophen Günter Ropohl aufzugreifen.

Es ist sechs Jahre her, dass Bill Joy mit seiner krassen Dystopie aus Gentechnik, Künstlicher Intelligenz und Nanotechnik für Unruhe sorgte. Blanke Sciencefiction, hieß es damals. Mag sein. Aber die Kommunikation über potenzielle Risiken der Nanotechnik ist seither dem bewährten Muster des „Deficit Model" gefolgt: Ein öffentliches Misstrauen gegenüber einer neuen Technologie wird sich dadurch erledigen, dass die Bürger einfach nur umfassend über sie aufgeklärt werden. Dass die eine Technologie auch ablehnen könnten, wenn sie sie verstanden haben, wird nach wie vor nicht Erwägung gezogen.

Das einzige potenzielle unmittelbare Risiko, das in der Nanotechnik derzeit bekannt ist, ist die Wirkung von künstlich hergestellten losen Nanoteilchen, die in der Natur nicht vorkommen. Toxikologen haben festgestellt, dass einige unter gewissen Umständen toxisch sein könnten. Es tut nichts zur Sache, dass in den wenigen Experimenten den Versuchstieren absurd hohe Dosen verabreicht wurden und dass viele Nanosubstanzen nicht toxisch sind. Fakt ist, dass einige wenige, die in gröberen Formaten ungefährlich sind, im Nanoformat toxisch wirken. Bislang hat es keine systematische Untersuchung über die Tausende von Substanzen gegeben, die in Forschungs- und Entwicklungslaboren als Kandidaten für neue Nanomaterialien gelten. Bis dahin gilt der Satz von Helmut Schmidt, einem Pionier der chemischen Nanotechnik, der jeder Panikmache unverdächtig ist: „Der Delinquent muss seine Unschuld beweisen."

Eine Mehrheit in Industrie, Behörden und Forschung sieht es bislang andersherum, so wie im Gerichtssaal: Dem Angeklagten muss seine Schuld bewiesen werden. Bis dahin müssen die existierenden gesetzlichen Regelungen genügen. Die Ironie dabei ist, dass dieselben Leute, die betonen, wie aufregend anders und neu Nanomaterialien seien, meinen, vor dem Gesetz würde es sich um alte Bekannte handeln. So äußert sich etwa die US-Behörde für die Zulassung von Medikamenten und Lebensmitteln FDA (die immerhin vor zwei Wochen eine Expertenanhörung abgehalten hat) auf ihrer Nano-Website, so äußerte sich kürzlich die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage von drei Bundestagsabgeordneten der Grünen (die allerdings bis zum vergangenen Jahr als Regierungspartner alle Chancen hatten, die Risiken von Nanopartikeln anzugehen).

Im kürzlich gestarteten Journal Nature Nanotechnology heißt es im Editorial: „Der Fortschritt, die Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von künstlich hergestellten Nanopartikeln anzugehen, ist peinlich langsam gewesen." Vielleicht zu langsam: Ein realer Nanovorfall, der sich anders als im Fall Magic Nano nicht als Fehlalarm entpuppt, könnte die fragile öffentliche Meinung zum Kippen bringen – und damit pauschal eine Technik diskreditieren, die phantastische Möglichkeiten bietet. Aber daran werden dann ja die Journalisten schuld sein, die darüber berichtet haben. (wst)