Wem gehören die Nanotubes?

In der noch jungen Nanotechnik ist ein unguter Patentwettlauf in Gang gekommen. Stattdessen bräuchten wir eine Open-NT-Bewegung.

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Von
  • Niels Boeing

"Wenn es noch kein Patentsystem gäbe, wäre es unverantwortlich, seine Einrichtung auf der Basis unseres heutigen Wissens über seine ökonomischen Konsequenzen zu empfehlen." Dieses Urteil fällte 1958 der aus Österreich stammende Ökonom Fritz Machlup in einer Studie über das Patentwesen für den US-Senat. Welche absurden Züge es seither angenommen hat, ist hinlänglich bekannt: Von Amazons One-Click-Shopping bis zu Tieren und Pflanzen reicht die Palette inzwischen patentierbarer „Erfindungen“.

Dass der Drang, frühzeitig zu patentieren, auch die Nanotechnik erreicht hat, kann da nicht überraschen. Allein beim US-Patentbüro liegen derzeit 2700 Patentanträge, die noch nicht entschieden sind. Tatsächlich konstatieren Beobachter einen regelrechten Nanopatentboom. „Diese Landbesetzermentalität hat nicht nur überlappende Patente hervorgebracht, der Wettlauf, überstürzt alles, was irgendwie ‚nano’ ist, zu patentieren, hat auch einen Haufen ungerechtfertigt breiter Patente gebracht“, urteilte der Biotechberater Raj Bawa bereits vor einem Jahr im Nanotech-Magazin Small Times. Das sei vor allem die Nanomedizin gefährlich, weil Investoren abgeschreckt würden.

In einer Phase, in der die Nanotechnik vielerorts noch nicht über das Laborstadium hinausgekommen ist, könnte gerade das Instrument, das Innovation fördern soll, zu einem Hindernis für ihre weitere Entwicklung werden. Einen Vorgeschmack gibt eine kürzlich eingereichte Klage von DuPont Air Products Nanomaterials (DA Nanomaterials) gegen Cabot Microelectronics. Der Witz hierbei: Cabot hat nicht etwa ein Patent der DuPont-Tochter verletzt, sondern es umgekehrt abgelehnt, DA Nanomaterials ein Lizenz auf sein eigenes Patent zu erteilen. Denn Cabot hatte DA Nanomaterials darauf aufmerksam gemacht, dass die Herstellung von dessen Schleifmaterial, mit der die Oberflächen von Silizium-Wafern extrem plan gemacht werden, offenbar ein Cabot-Patent verletze. Cabot will nun seinerseits klagen. Und hier geht es nur um bereits kommerziell eingesetzte Technologien.

Angesichts der Tatsache, dass die Nanotechnik zum einen quer durch alle Disziplinen geht, zum anderen in Form neuer Materialien in immer mehr industrielle Prozesse Einzug halten wird, dürfte es demnächst ordentlich knallen.

IBM hat zum Beispiel im US-Patent Nr. 5.424.054 eine „hohle Kohlenstofffaser mit einer Wand, die im Wesentlichen aus einer Einzellage von Kohlenstoffatomen besteht“, schützen lassen. Diese Beschreibung trifft exakt auf eine einwandige Kohlenstoffnanoröhre zu, gemeinhin als „Nanotube“ bezeichnet und als eins der kommenden Wundermaterialien der Nanotechnik gefeiert, das in Sensoren, Schaltkreisen, Displays und anderen Konzepten angewendet wird oder werden soll. Nanotubes sind aber mitnichten von IBM erfunden worden. In Verbrennungsprozessen entstehen sie seit Jahrtausenden, wurden von der Wissenschaft aber erst 1991 zweifelsfrei nachgewiesen.

Seit Jahren wird immer wieder auf das revolutionäre Potenzial von Nanotechnik für den technischen Fortschritt der nächsten Jahrzehnte hingewiesen, von dem angeblich die ganze Menschheit profitiere. Doch wenn jede beliebige Anordnung von Atomen prinzipiell patentierbar wird, wird daraus nichts. Auf die bekannte Digital Divide wird eine Nanotech-Divide folgen, die die Kluft zwischen internationalen Konzernen und Industrieländern und dem Rest noch vertieft. Da kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, bei der Nanotechnik gehe es nur um die konsequente kapitalistische „Inwertsetzung von Materie“, die bislang natürliche und damit frei verwendbare Bausteine mehr und mehr dem Zugriff der Allgemeinheit entzieht.

Wie man es anders macht, zeigt die Initiative „OpenWetWare“. Die Plattform stellt der Community der Synthetischen Biologie, die man getrost als Nanobiotechnologie bezeichnen kann, brandneues Knowhow zu Verfügung.

So wie die Free-Software/Open-Source-Bewegung die Entwicklung frei nutzbarer Software hervorbrachte, die vor allem IT-Innovationen in Schwellen- und Drittweltländern zugute kommt (Beispiele sind der indische Simputer, der brasilianische Volkscomputer, aber auch das 100-Dollar-Laptop), müsste daraus eine breite „Open Nanotechnology“-Bewegung entstehen. Dann, und nur dann, könnte die Nanotechnik tatsächlich einen herausragenden Beitrag zu einer nachhaltigen globalen Entwicklung leisten. (wst)