Gebrüll in der falschen Höhle

Kann man Informatiker in Kurz-Kursen zu Wissenschaftsjournalisten ausbilden, die die Informatik endlich adäquat in den Medien unterbringen?

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Gordon Bolduan

Verzweiflung ist die Quelle für so manches, auch für den Angriff nach vorne. Den wagte Reinhard Wilhelm , Professor für Informatik an der Universität Saarbrücken, und wissenschaftlicher Direktor der renommierten Forscher-Begegnungsstätte Dagstuhl im Saarland. Jedoch Ort und Richtung waren falsch gewählt.

Wilhelm beklagte öffentlich die nur unzureichende Darstellung von Themen aus der Computerwissenschaft in deutschen Medien. Als Ort für diese Schelte wählte er den Tag des Wissenschaftsjournalismus in Berlin, begegnete somit in der Höhle des Löwen den Chefredakteuren von ZeitWissen & Co. Dabei punktete der Professors, der in seiner Freizeit ebenso provokativ für das Kulturmagazin Saarbrücker Hefte schreibt, nicht nur durch seine überspitzten Formulierungen, sondern auch mit seinem kunstvollen Aufbau, der an das Werbemodell AIDA erinnert: Erst für Aufmerksamkeit (Attention) sorgen, Interesse (Interest) wecken, zum Wunsch (Desire) verleiten, „Action“ folgen lassen. Auf dem Podium sitzend erklärte Wilhelm bereits mit den ersten Worten die später folgende Diskussionsrunde „Die Geisteswissenschaften - Stiefkind des Wissenschaftsjournalismus?“ für überflüssig. „Ich könnte weinen, wenn ich das im Programm lese. Die haben doch den ganzen Feuilleton!“, so der Professor. Über mehrere Wochen habe er in den von ihm gelesenen Tages- und Wochenzeitungen Informatik-Artikel gezählt. Das Ergebnis lautete: Vier. Für ihn noch gravierender, die mit dem Stichwort Informatik (IT) versehenen Artikel hätten rein gar nichts mit derselbigen zu tun gehabt „Der Bericht über das iPhone ist ein Wirtschaftsflüchtling und hätte in das Ressort Wirtschaft gehört. Die andere Variante: Sciencefiction über Roboter, die Senioren den Po abputzen und sie dabei im passenden Dialekt über ihr Tun aufklären.“, entzürnt sich Wilhelm. Das Publikum lachte und fragte nach den wahren IT-Themen. Wilhelm warf als „schönen Fachbegriff“ die so genannte Byzantinische Vereinbarung in die Runde. Darunter verstehen Informatiker vordergründig die Überlegungen zweier fiktiver Generäle, die vor dem Problem stehen, einen gemeinsamen Angriffszeitpunkt auszumachen, wobei sie sich mittels Boten durch das Feindesland zwischen ihnen verständigen. Hintergrund ist die Fehlertoleranz bei Kommunikationsprotokollen für verteilte Systeme wie zum Beispiel Peer-to-Peer Netzwerke.

Danach begann Wilhelm mit der „Action“: Er habe die Geduld verloren und wolle nun Informatiker in Kurz-Kursen zu wohlmöglich besseren Journalisten ausbilden. Nach diesem sprichwörtlichen Angriff klappte selbst so manchem Redakteur der Kiefer runter. Verständlich, denn Wilhelms Vorhaben ist genauso absurd wie IT-fremde Akademiker zu Entwicklern von sicherheitskritischen Anwendungen auszubilden. Für einen sehr guten Artikel – nur hier bleiben die transportierten Fakten in Erinnerung – bedarf es mehr als hübscher Fachbegriffe und lustiger Beispiele.

Überschriften, die auffallen, Einstiege, die in den Artikel hineinsaugen, sind nur ein kleiner Teil des Handwerkzeugs und dennoch bereits eine Kunst für sich. Ohne sie würde der König Leser verständliche Erklärungen schwieriger Sachverhalte nicht mal eines Blickes würdigen. Die Bedeutung des journalistischen Handwerks steigt expotenziell mit der Länge des Artikels und den erschwerten Arbeitsbedingungen. Selbst schreibende Informatiker werden keinen roten Teppich, ausgerollt in die Redaktionen der Republik, vorfinden. Auch für sie ist ein Blockseminar über journalistische Darstellungen keine Abkürzung auf dem harten Weg zu Routine und Inspiration, wie ein Thema durch den richtigen Blickwinkel und Strukturierung zur mitreißenden Geschichte wird.

Dennoch war das Brüllen in der Höhle der Löwen nicht völlig falsch, nur kann Wilhelm, sein Engagement in allen Ehren, in der seinigen weitaus mehr bewirken. Sicherlich wären ihm einige seiner Studenten sehr dankbar, wenn sie neben Vorlesungen über effiziente Algorithmen, Programmierparadigma, Kommunikationsprotokolle, sich auch daran versuchen könnten, IT-Technologien gesellschaftskritisch zu diskutieren und mit einem gewissen Witz darzustellen. Sprachgefühl und Kommunikationsfähigkeit sind bereits jetzt Wünsche an den Informatiker in spe: Im Gespräch mit dem Kunden benötigt er sie für das Erfassen von Anforderungen an eine neue Software, sowie bei der technischen Dokumentation, die nicht nur im so genannten Pflichtenheft stattfindet. Ohnehin existiert bereits in einem Skript zu Software-Engineering ein Verweis auf Wolf Schneider, dem Stilistik-Papst im Journalismus. In ihrer Arbeitsweise sind Wissenschaftsjournalist und Informatiker ähnlich: Beide abstrahieren, drücken in wenigen Zeilen komplizierte Sachverhalte aus, auch wenn die Syntax verschieden sein mag. Und die nötige Leidenschaft und das Durchhaltevermögen erhält man nicht in einem Crash-Kurs – ganz besonders, wenn der Arbeitsmarkt die Zeilen in Programmcode überdurchschnittlich bezahlt. Wilhelm muss also nicht brüllen. Mit klaren Worten muss er anregen, dass Studenten das gesamte Studium über auf hohem Niveau journalistisch arbeiten. Denn ein auf beiden Seiten umfassend ausgebildeter Journalist ist das Mindeste, was die Disziplin Informatik verdient. Schließlich hat sie wie die großen Naturwissenschaften unser tägliches Leben durchdrungen. Ein erster, kleiner Schritt in die richtige Richtung könnte sein: Studenten, die Einleitungen ihrer wissenschaftlichen Arbeiten so schreiben zu lassen, dass sie zum Weiterlesen reizen. (wst)