Nano ist öko

Seit einigen Monaten beschäftigt mich ein beunruhigender Gedanke: Der Nanotechnik fehlt eine wirklich große Storyline. Sie ist bislang so dröge wie ein Mainframe-Rechner in den frühen Siebzigern.

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Von
  • Niels Boeing

Seit einigen Monaten beschäftigt mich ein beunruhigender Gedanke: Der Nanotechnik fehlt eine wirklich große Storyline. Sie ist bislang so dröge wie ein Mainframe-Rechner in den frühen Siebzigern.

Wie bitte? Hatten wir nicht schon fast einen Nanohype in den letzten Jahren? Hat nicht der „Godfather of Nanotech“ Richard Feynman 1959 eine große Story erzählt? Hat nicht Eric Drexler eine zumindest lange nachwirkende Vision von Nanofabriken und –robotern entworfen? Hören wir nicht in diversen Communiqués aus Wirtschaft und Politik von den Milliardenmärkten, die die Nanotechnik eröffnen wird?

Ja, schon. Aber ich behaupte: Das sind die falschen Geschichten. Die falschen Kontexte. Feynman – dessen Rede „There’s plenty of room at the bottom“ erst Jahrzehnte später zum „Gründungsakt“ der Nanotechnik umgedeutet wurde – extrapolierte aus der Technikeuphorie der fünfziger Jahre. Ihn trieb die Faszination einer radikalen Miniaturisierung an. Drexler dachte in Maschinen und ähnelte damit gar dem Denken des 19. Jahrhunderts. Und hinsichlich der Milliardenmarktrhetorik sind wir längst alle abgestumpft.

Winzige Maschinen, die abgefahrene Dinge anstellen und nebenbei den Wohlstand mehren: Das ist die Logik des ehrfürchtigen Staunens, die die Wissenschaftskommunikation der Vergangenheit geprägt hat, gepaart mit der auch nicht mehr ganz frischen Beschwörung der Globalisierungschancen.

Der eigentlich relevante Kontext, in den eine neue Vision von der Nanotechnik gestellt werden müsste, ist ein ganz anderer: die Herausforderung des Klimawandels, der Umbau des Energiesystems, der Stopp der Ressourcenverschwendung, die Lösung des heraufziehenden Trinkwasserproblems.

Nanotechnik bedeutet: Materie mit einer bisher nicht gekannten Präzision und Effizienz einsetzen, ja Materie neu programmieren.

In Ansätzen ist das bereits erkennbar. In Nanosolarzellen werden neue Materialien so zusammengesetzt, dass sie eine Art künstliche Photosynthese ermöglichen. Eines Tages könnten sämtliche Oberflächen etwa von Gebäuden in Licht- und damit Energiesammler umgewandelt werden. Membranen mit Nanoporen oder Nanopartikeln filtern Verunreinigungen aus dem Wasser und verwandeln es in Trinkwasser. Anstatt in den sich ausweitenden Trockengebieten der Erde Meerwasser in energiefressenden Fabriken zu entsalzen, könnten kleine handliche Nano-Trinkwasserfilter daraus die nötigen Tropfen nur aufgrund ihrer materiellen Struktur liefern. Neue, auf molekularer Ebene getunte Kunststoffe sind hart wie Stahl, leicht und trotzdem im Wesentlichen aus Biomasse herstellbar. Sie könnten in zahlreichen Geräten und Fortbewegungsmitteln zum Einsatz kommen. Nanomaterialien könnten auch Computer energieeffizienter machen oder Schadstoffe beseitigen. All das würde zusätzlich CO2-Emissionen reduzieren helfen.

Diese Anwendungen sind für sich genommen bereits auf dem Weg. Man kann manchmal auch schon darüber lesen. Aber sie werden bislang nicht als die große Story verkauft, um die es geht: Nano ist öko. Vor allem anderen. Davon bin ich absolut überzeugt.

Diese Story muss jetzt unter die Leute. Im heraufziehenden Ökoboom würde sie sofort verstanden, vorausgesetzt natürlich, sie wird glaubwürdig erzählt, das heißt: ohne mögliche Risiken zu verschweigen. Hochglanzbroschüren hatten wir nun schon zuhauf.

Ansonsten ist zu befürchten, dass die Nanotechnik mit ihrem enormen Potenzial zwischen langweiligen Produktmeldungen, hübschen Knoffhoff-Anekdötchen und aufgeregten Katastrophendebatten versickert. Sehr old school, sehr 20. Jahrhundert. Verschenkt.

2010: Nano ist Öko. (wst)