Kulturkampf um den Klimawandel

Jetzt mal ohne Schaum vorm Mund: vier Anmerkungen zu CO2, Klimageschichte, Komplexität und Ideologie.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Niels Boeing

Der Klimawandel treibt die Debattenkultur derzeit wieder zu Höchstleistungen. „Die grosse Klima-Hysterie“ frotzelt das Lichtenstein-inspirierte Cover der letzten Spiegel-Ausgabe (Respekt für das Motiv), und in den Online-Foren – auch auf den Heise-Servern – spürt man manchmal förmlich den Schaum vorm Mund aus dem Bildschirm tropfen. Genug der Süffisanz: Hier sind vier betont unaufgeregte Anmerkungen zum Klimawandel.

1. Ich bin immer wieder erstaunt, wie hartnäckig sich die Meinung hält, ein Zusammenhang zwischen der Erwärmung der Erdatmosphäre und einem ansteigenden CO2-Gehalt sei eine bloße Vermutung. Dieser Einwand wird nicht selten mit einem eigenartigen Enthüllungsgestus vorgetragen. Physikalisch unstrittig ist, dass CO2 von der Erdoberfläche abgestrahlte Infrarot- oder Wärmestrahlung bestimmter Wellenlängen absorbiert. Weil die anschließende Reemission in alle Raumrichtungen erfolgt, wird zwangsläufig ein Teil der emittierten Infrarotstrahlung wieder Richtung Erdoberfläche zurückgeschickt. Diese Eigenschaft teilt es mit einigen anderen Gasen und erzeugt den Treibhauseffekt. Dabei ist CO2 für etwa 22 Prozent des gesamten Treibhauseffekts auf der Erde verantwortlich, der etwa 33 Grad ausmacht und die globale Durchschnittstemperatur von –18 auf für uns wohnliche 15 Grad anhebt. Der Anteil des CO2 liegt bei 7,2 Grad. Erhöht sich der CO2-Gehalt der Atmosphäre, muss das also eine leichte Temperaturerhöhung zur Folge haben. Strittig ist nur, wie stark die von anderen kühlenden Effekten (beispielsweise Schwebeteilchen oder Wolkenbildung) abgeschwächt oder gar kompensiert wird. Sonst nichts.

Vor der industriellen Revolution lag der CO2-Gehalt bei 0,028 Prozent und ist seitdem auf derzeit 0,038 Prozent gestiegen. Sollte er sich auf das Doppelte des vorindustriellen Niveaus, also 0,056 Prozent, erhöhen, würde der gesamte Treibhauseffekt nach aktuellen Berechnungen um mindestens 1,5 Grad zunehmen.

2. Es wird öfter darauf hingewiesen, dass es zum Beispiel in den vergangenen 10.000 Jahren mehrmals zu Erwärmungen gekommen ist. Beispiele sind das „römische Klimaoptimum“ in der Antike und das „mittelalterliche Klimaoptimum“ zwischen 1000 und 1300. Wie kann das sein, wenn der CO2-Gehalt in dieser Zeit relativ konstant bei 0,028 Prozent lag? Kein Klimaforscher bestreitet, dass es auch andere Auslöser für eine Erwärmung gibt. Der Wichtigste war in der Vergangenheit die Veränderung der Intensität, mit der die Sonne Energie abstrahlt. Daraus folgt allerdings weder, dass das auch bei der in den letzten Jahrzehnten deutlicher werdenden Erwärmung der Fall ist, noch, dass der CO2-Gehalt zweitrangig wäre. Der entscheidende Punkt ist, dass der innerhalb von nur 250 Jahren um knapp 36 Prozent angestiegen ist – auf einen Wert, den es zum letzten Mal vor 650.000 Jahren gab. Es ist dieses rasante Tempo, dass den Klimaforschern Kopfzerbrechen bereitet.

3. Die Klimaforschungsgemeinde ist wiederholt kritisiert worden, sie habe die Bedeutung des CO2 zu sehr in den Mittelpunkt des Klimaschutzes gestellt. Diese Fixierung sei eine politisch motivierte Vereinfachung, die der Wissenschaft nicht zustehe. Das ist kein unberechtigter Einwand. Räumen Forscher andererseits ein, dass sie das komplexe System Klima noch nicht vollständig verstehen – und das tun sie eigentlich ständig –, wird auch hier voreilig der Schluss gezogen, das CO2 sei überbewertet. Dahinter zeigt sich für mich ein grundlegenderes Problem: Das Phänomen komplexer Systeme ist bislang nicht in unser Alltagsweltbild eingegangen, das nur überschaubare Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge kennt. Komplexe Systeme haben aber die Eigenschaft, dass in ihnen Zustandsänderungen mitunter sehr abrupt eintreten können, wenn ein Parameter einen bestimmten Schwellenwert überschreitet. Nur kann man den nicht ohne weiteres im Voraus berechnen. Es muss nicht, aber es könnte sein, das ein CO2-Gehalt oberhalb eines kritischen Wertes eine nachhaltige Veränderung des Klimas auslöst. Wie geht man mit dieser Möglichkeit um? Nach dem Vorsorgeprinzip wäre sie Grund genug, präventiv zu handeln – also die CO2-Emissionen möglichst schnell zu reduzieren, um einen Anstieg schnellstmöglich zu stoppen.

4. Das Vorsorgeprinzip läuft jedoch der vorherrschenden Auffassung zuwider, als guter Grund für wirtschaftliche Entscheidungen seien nur Marktsituationen akzeptabel. Eine Regulierung von CO2-Emissionen ist selbstverständlich eine wirtschaftliche Entscheidung von enormer Tragweite. Wo aber sollte ein Marktsignal herkommen, dass sie nötig macht? CO2-Emissionen können natürlich nie als Kostenpunkt in einer Bilanz auftauchen. Hier offenbart sich für mich ein ideologischer Kern des Klimawandel-Bashings, denn das Gebot, in Märkte nicht „von außen“ einzugreifen, gilt als unantastbar. Da überrascht es nicht, dass Klimaforschern, die mit einer physikalischen Denkweise an das CO2-Problem herangehen, ihrerseits ideologische Absichten unterstellt werden. In manchen Polemiken kann man geradezu den Eindruck gewinnen, als handele es sich bei ihnen um eine neue, besonders subtile Spielart „linker“ Politik.

Es ist höchste Zeit, die Debatte um den Klimawandel ohne all diese Verkürzungen zu führen. (wst)