Deutschland - Japan 1:0 (Halbzeitstand)

Japan und Deutschland wetteifern um den Titel des Öko-Weltmeisters. Doch Japans Titelträumen droht ein Rückschlag.

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Von
  • Martin Kölling

Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende August zehn Jahre nach dem Abschluss des Kyoto-Protokolls nach Japan reist, werden Japans Umwelt- und Wirtschaftsplaner wohl hinter ihren Schreibtischen mit den Zähnen knirschen. Denn Merkels Besuch wird Japan, das sich gerne als globaler Top-Lieferant von Ökoprodukten positionieren will und Deutschland dabei als Hauptkonkurrenten sieht, das Scheitern im Klimaschutz deutlich vor Augen führen.

Vor zehn Jahren formulierte Merkel als Umweltministerin im japanischen Kyoto das Kyoto-Protokoll, und sie wird es sich nicht nehmen lassen, zum Jubiläum am 31. August in eben jenem Kyoto ihre ganz persönliche Bilanz zu ziehen. Die ihrer Gastgeber fällt wenig schmeichelhaft aus. So hatte Deutschland bis 2004 sein Ziel, die Kohlendioxid-Emissionen zwischen 2008 und 2012 um 21 Prozent unter den Wert von 1990 zu senken, mit 17,8 Prozent fast schon erreicht. Japan wird hingegen das eigene 6-Prozent-Ziel verfehlen, gestand die Regierung vorige Woche ein. Bis 2004 stieg Japans Kohlendioxidausstoß um 6,5 Prozent und bis 2005 sogar um 7,8 Prozent. Zwar sinken die Treibhausgas-Emissionen seither, doch sie werden 2010 im besten amtlichen Szenario immer noch um 0,9 Prozent über denen von 1990 liegen.

Auch wenn Deutschland der Zusammenbruch der ostdeutschen Industrie dabei half, während Japans Konzerne ins Ausland ausgelagerte Produktion teilweise repatriierten – diese Schmach wurmt Japans Bürokraten. Schließlich trägt das Land das Kyoto-Protokoll wie einen diplomatischen Orden seit zehn Jahren auf der Brust. Gleichzeitig brüstet sich die Nation ihrer vermeintlich ach so energieeffizienten Produktion und Produkte wie dem Toyota Prius. Außerdem gelten Solarzellen, umweltfreundliche Autos, Maschinen, Haushaltsgeräte und Kraftwerke in der langfristigen Regierungsvision „Innovation 25“ und der Strategie, zu einer der führenden Umweltnationen des 21. Jahrhunderts zu werden, als Produkte, die das Land dominieren will. Japans Klimaschutzvorschlag “Cool Earth 50“, mit dem die globalen Treibhausgas-Emissionen bis 2050 halbiert werden sollen, unterstrich Japans Führungsanspruch im Klimaschutz. Dass ausgerechnet der Schirmherr des Kyoto-Protokolls die Pläne nicht erfüllt, ist nicht gerade Image-fördernd.

Dementsprechend knurrig üben sich die Bürokraten im federführenden Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (Meti) nun in Aktivismus. Schon vor zwei Jahren sagte mir ein Meti-Planer selbstkritisch, die Selbstverpflichtung der japanischen Industrie sei wie eine riesige schwarz Kiste. „Dieses Jahr haben wir sie geöffnet und waren sehr negativ überrascht.“ Dabei wird die Industrie bis 2010 ihre Treibhausgas-Emissionen nach amtlicher Prognose um neun Prozent abbauen. Doch das reicht nicht aus, um den sage und schreibe 40-prozentigen Anstieg in den Büros und Haushalten wettzumachen.

Für diese Emissionsexplosion können Japans Bürokraten den schwarzen Peter nicht weiterreichen. Denn Jahre lang haben sie zum Schutze ihrer maroden Bauindustrie der rasanten Hinwendung vom traditionellen und Energie sparenden zum westlichen und Energie-aufwändigen Lebensstil zugesehen, ohne die Isolierungsnormen in den Baurichtlinien angemessen an den Wandel anzupassen, sprich drastisch zu verschärfen.

Dass die Japaner ihre Tradition gegen westlichen Komfort eintauschen, kann ich nur zu gut verstehen. Denn wie ich aus meinem ersten von inzwischen sieben Jahren in Tokio weiß, dienen Wände und Fenster nur als Wind- und Wetterschutz. Die Wände meines Apartments schienen miserabel isoliert. Die Fenster waren mit Einfachverglasung und Alu-Rahmen eine einzige Wärmebrücke. Und durch das Ventilatorloch in der Küche pfiff im Winter der Wind. Außen- und Innentemperatur unterschieden sich nur minimal. Weder Klimaanlage noch Heizung waren im Mietpreis inbegriffen und so lebte ich wie Japaner in den drei Nachkriegsjahrzehnten quasi im Einklang mit der Natur. Aus eigenem Erleben kann ich den Sinn in dieser leichten Bauweise verstehen. Denn so kühlen die Innenräume in den langen, heißen Sommern wenigstens ein bisschen aus. Und den zum Glück extrem sonnigen, nicht so langen und nicht so kalten Tokioter Winter konnte ich klassisch japanisch meistern. Der einzig wohlig warme Raum in der 40-Quadratmeter-Bleibe waren etwa 0,3 Kubikmeter unter dem Küchentisch. Bei dem handelte es sich um einen traditionellen Kotatsu, einen kniehohen Tisch, unter dessen Platte eine elektrische Heizschlange und eine dicke Decke befestigt sind.

Vom Gemütlichkeitsfaktor ähnelt der Kotatsu einem Kachelofen. Die Beine steckt man unter die „Tischdecke“, den Oberkörper in eine wattierte Jacke. So fühlt man sich angenehm warm, auch wenn vor dem Mund eine Atemfahne steht. Und vor dem Sprung ins Bett heizt man den Körper im heißen Bad noch einmal kräftig durch. Doch wehe dem, der zwischen Kotatsu und Bad aufstehen muss.

Um die Kälte ein wenig zu mindern, griffen Japaner gewöhnlich zu Kerosinöfen, die Strahlungswärme und Abgase in die Raumluft entlassen. Mit der Ersetzung der Hock- durch Sitzklos ab den 1970er Jahren kamen beheizte Klobrillen dazu. Doch mit dem Einzug westlicher Tisch- und Sofakultur gehen auch Japaner immer mehr dazu über, die Raumluft heizen, zum Beispiel mit ihren Klimaanlagen (wobei das mit den neuen sehr energieeffizienten Geräten an sich keine so große Klimasünde mehr wäre, wenn denn Wände und Fenster die Wärme im Raum halten und nicht umgehen in die Natur weiter leiten würden). Und plötzlich schlägt der einst so Energie-sparende in einen extrem verschwenderischen und Umwelt belastenden Lebensstil um.

Mit einem Trommelfeuer der Initiativen wollen die Planer nun den Verschwendern das Sparen beibringen. Die Regierung will zusätzlich zu den bisherigen 35 weitere 30 Industriegruppen zu freiwilligen Treibhausgas-Senkungszielen zwingen, darunter auch Schulen, Krankenhäuser und Zeitungsverlage. Außerdem werden mehr Produkte dem sehr wirkungsvollen Top-Runner-Programm zur Steigerung der Energieeffizienz unterworfen. Und als Höhepunkt ihres eigenen Umdenkens will die Regierung plötzlich sogar Investitionen von Privatleuten und Unternehmen in eine verbesserte Isolierung von Häusern und Bürogebäuden steuerlich teilweise absetzen lassen. Erste Unternehmen rechnen sich daher sogar schon einen Markt für Hightech-Isolierung wie Vakuumdämmplatten aus. Auch die Architekten setzen auf neue Bau- und Belüftungstechniken. Neue Trends sind Fassaden- und Dachbegrünungen. Doch bis Japan einen neuen, umweltverträglicheren Lebensstil entwickelt hat, werden noch Jahre vergehen. (wst)