Kybernetische Kakofonie

Blogs, E-Mail und Mobiltelefonie haben unsere Vorstellungen von Privatheit und Intimität auf den Kopf gestellt. Wie überleben wir als solche Informationsnomaden eigentlich?

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Peter Glaser

Blogs, E-Mail und Mobiltelefonie haben unsere Vorstellungen von Privatheit und Intimität auf den Kopf gestellt. E-Mails entsprechen nicht mehr verschlossenen Briefen, sondern Postkarten, die jeder lesen kann, an dem sie vorbeilaufen. Mobiltelefone haben dazu geführt, dass Menschen in aller Öffentlichkeit Gespräche führen, für die sie noch vor nicht allzu langer Zeit einen Raum aufgesucht und die Tür hinter sich geschlossen hätten. Zunehmend häufig nimmt man an Gesprächen teil, an denen man gar nicht teilnehmen möchte.

Anonymität und Pseudonymität eröffnen im Netz neue Freiräume. Fremde begegnen sich online und tragen manchmal bereits nach kurzer Zeit ihr Herz auf der Zunge. Viele Menschen finden online eine Intimität, die ihnen offline nicht möglich ist. Aus Worten kann sich eine tiefe Vertrautheit ergeben – oder ein ziemliches Durcheinander. Online-Kommunikation kann wie eine Wahrheitsdroge wirken, genauso macht sie Menschen aber auch zu digitalen Münchhausens. Digital sind wir alle schön.

Die große Verheißung des Internet, sich in die Jetzt-Sofort-Alles-Maschine zu verwandeln, erinnert an das, was in Märchenbüchern Zauberei heißt. Jeder Wunsch soll augenblicklich in Erfüllung gehen. Den Haken an der Sache hat der Kulturwissenschaftler Lewis Mumford beschrieben: "Nichts kann die menschliche Entwicklung so wirkungsvoll hemmen wie mühelose, sofortige Befriedigung jedes Bedürfnisses durch mechanische, elektronische oder chemische Mittel. In der ganzen organischen Welt beruht Entwicklung auf Anstrengung, Interesse und aktiver Teilnahme – nicht zuletzt auf der stimulierenden Wirkung von Widerständen, Konflikten und Verzögerungen. Selbst bei den Ratten kommt vor der Paarung die Werbung."

Nomaden – arabisch "Die keine Wege brauchen" – entprechen der zeitgemäßen Vorstellung, wie man sich durch eine digital verstärkte Welt bewegen sollte. Die neuen Möglichkeiten, die moderne Kommunikationsmittel bieten, empfinden aber bei weitem nicht alle Menschen als Zugewinn. Zu vieles scheint unausgegoren und gleichzeitig zu geschehen. Viele fühlen sich in dieser intensivierten Wahrnehmung der Gegenwart gefangen.

Bruce Mehlman, ein Experte für Technologiefragen im US-Handelsministerium, sieht das positiv. Die vielen Kommunikations-Gadgets, die uns heute umschwirren, Handy, Laptop, iPod, Organizer, schaffen nach seinem Empfinden keine kybernetische Kakophonie, sondern tragen zur Harmonie im Leben des Nutzers bei.

Man sei zum Beispiel nicht mehr so ans Büro gekettet wie früher und könne mehr Zeit zu Hause verbringen. Sein fünfjähriger Sohn liebt es, mit dem Vater Luftkämpfe mit Lego-Flugzeugen zu führen. Für Mehlmann hat das Spiel auch eine nützliche Seite: Während er mit einer Hand sein Flugzeug führt, kann er mit der anderen telefonieren. Gewöhnlich lässt er seinen Sohn gewinnen, aber manchmal entscheidet Vati die Luftschlacht für sich. Der Junge braucht dann ein paar Minuten, um sein Flugzeug wieder zusammenzubauen. "Währenddessen kann ich meine Mails auf meinem Blackberry checken", erklärt Mehlman. (wst)