Forschen mit der Stechuhr

Die amerikanische National Science Foundation zieht andere Saiten auf: Sie will wissen, wieviel Zeit Forscher wirklich an den von ihr geförderten Projekten arbeiten.

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Von
  • Niels Boeing

Wenn Hand- und Geistesarbeiter aufeinandertreffen, müssen letztere bis heute viel Spott über sich ergehen lassen. Geistesarbeit? Ach was, Maloche, am besten mit Schwielen an den Händen, ist wahre Arbeit. Denken, lesen, telefonieren, diskutieren – alles Pillefitz.

Man könnte fast glauben, in der amerikanischen National Science Foundation (NSF) hätten Handarbeiter die Macht an sich gerissen. Die Institution, die jährlich sechs Milliarden Dollar an Forschungsgeldern auszahlt, hat nämlich eine Überprüfung von zunächst 30 US-Universitäten gestartet. Sie will wissen: Was machen die Wissenschaftler da eigentlich? Der NSF ist aufgefallen, das die wenigsten Forscher anständig Buch darüber führen, wieviel Zeit ihres Arbeitstages sie für welches NSF-finanzierte Forschungsprojekt aufbringen.

Nun kann man sich durchaus vorstellen, das es so mancher findige Wissenschaftler schafft, mit wohlklingenden Anträgen mehr Projekte finanziert zu bekommen, als er dann tatsächlich bearbeiten kann – jedenfalls normale menschliche Kapazitäten und ein gewisses Schlafbedürfnis vorausgesetzt. Der Caltech-Forscher Steven Low etwa hat allein fünf NSF-Finanzierungen an Land gezogen, für die er 50 Prozent seiner Arbeitszeit veranschlagt hat. 20 Prozent will er Forschung im Auftrag der US-Armee widmen, 30 Prozent sind für die Lehre reserviert. Dumm nur, dass er offenbar nur 18 Prozent seiner Zeit für drei der NSF-Projekte belegen konnte – was er in den 82 Prozent seiner Zeit wirklich gemacht hat, konnten die NSF-Spürhunde nicht ermitteln.

Vielleicht ist Low nur ein schwarzes Schaf, vielleicht tut man ihm auch einfach unrecht (außerdem hat er ja Mitarbeiter). Bemerkenswert an dieser Geschichte ist aber doch die dahinter aufscheinende Vorstellung, auch Geistesarbeit – oder modischer: Wissensarbeit – ließe sich in fordistische Arbeitsabläufe unterteilen. Wer je kreative und/oder wissenschaftliche Arbeit betrieben hat, wird darüber herzlich lachen können.

Aber diese Vorstellung liegt ganz im Trend der Zeit mit ihrem Geschwätz von der Wissensgesellschaft. Je wichtiger der „quartäre Sektor“ mit seiner „Wissensproduktion“ für die entwickelten Volkswirtschaften wird, desto mehr verflüchtigt sich die akademische Freiheit. Diese Entwicklung ist an sich nicht ganz neu.

Schon der gute alte Marx hat in den Grundrissen geschrieben: „Die Erfindung wird dann ein Geschäft und die Anwendung der Wissenschaft auf die unmittelbare Produktion selbst ein für sie bestimmender und sollizitierender Gesichtspunkt.“ Die Wissenschaft wird zum Zulieferbetrieb. Insofern wären Stechuhren für Forscher dann irgendwie konsequent. Ein Gutes hätte das auch: Die Geistesarbeiter müssten sich von den Handarbeitern nicht mehr verspotten lassen. (wst)