Schraubenzieher oder Schraubendreher?

Mir wurde kürzlich von einem Leser vorgeworfen, ich hätte fahr- und nachlässigerweise von "Stundenkilometern" statt von "Kilometern in der Stunde" geschrieben. Nun, ich stehe dazu. Und es kommt noch dicker: Ich sage sogar "Schraubenzieher".

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Mir wurde kürzlich von einem Leser vorgeworfen, ich hätte fahr- und nachlässigerweise von "Stundenkilometern" statt von "Kilometern in der Stunde" geschrieben. Nun, ich stehe dazu. Und es kommt noch dicker: Ich sage sogar "Schraubenzieher" zum Schraubenzieher.

Bevor nun die Schraubendreher-Fraktion in die Tasten greift und empört korrekten Sprachgebrauch einfordert, ein paar Worte dazu: Der ewige Streit zwischen Schraubenzieher- und Schraubendreher-Sagern beruht meines Erachtens darauf, dass erstere es für ausreichend halten, wenn Begriffe ihren Gegenstand eindeutig benennen, während letztere es für nötig halten, ihn zu beschreiben. Dabei sind beschreibende Begriffe keineswegs per se präziser als benennende. Es gibt bei "Schraubenzieher" keinerlei Verwechselungsgefahr. Ich jedenfalls bekam nach der Bitte um einen Schraubenzieher noch nie eine Wasserrohrzange in die Hand gedrückt.

Ich gehe sogar noch weiter und behaupte: Schraubenzieher ist in einem neutralen Text nicht nur eine gleichwertige, sondern eine bessere Wortwahl als Schraubendreher. Das liegt daran, dass Begriffe eine denotative und eine konnotative Bedeutung haben. So bezeichnen "Venus", "Morgenstern" und "Abendstern" jeweils den gleichen Himmelskörper, doch der mitschwingende stilistische oder emotionale Gehalt ist ein anderer. Die Denotation ist bei "Schraubenzieher" und "Schraubendreher" ebenfalls identisch. Der Unterschied liegt in der Konnotation: Schraubenzieher ist hier neutral ("unmarkiert" im Linguisten-Jargon), während "Schraubendreher" etwas pedantisch-besserwisserisches anhaftet. Wer also die Aufmerksamkeit auf den Inhalt und nicht auf die Wortwahl eines Textes lenken möchte, ist mit "Schraubenzieher" besser bedient. Es sei denn, man legt Wert auf einen gewissen Stallgeruch des Textes.

Wenn man das Prinzip der beschreibenden Bezeichnung konsequent weiterführt, landet man schnell bei der Behördensprache – die Ampel wird dann zur "Lichtzeichenanlage", die Kuh zur "raufutterverzehrenden Großvieheinheit". Diese Umständlichkeit bringt keinerlei Zugewinn an Präzision gegenüber umgangssprachlichen Ausdrücken. Selbst wenn umgangssprachliche Bezeichnungen mehrdeutig sind, geht ihre Bedeutung meist eindeutig aus dem Zusammenhang hervor – wie beim Satz: "Rohöl kostet bald mehr als hundert Dollar pro Barrel." Man zeige mir einen Leser auf diesem Planeten, der jetzt an Hongkong- oder Neuseeland-Dollar denkt.

Voraussetzung ist allerdings, dass man nicht mutwillig missverstanden wird. Darauf muss man als Journalist schon vertrauen dürfen. Wenn man anfängt, seine Texte auch gegen mutwilliges Missverstehen wasserdicht zu machen, landet man irgendwann bei der Sprache von Patentschriften, in denen offenbar aus irgendwelchen Gründen die Benutzung von Pronomen verboten ist. Eine Patentanmeldung für eine Giraffe läse sich ungefähr so:

"Die Erfindung besteht aus einem Tier mit einem braun gefleckten Körper. Am vorderen Ende des braun gefleckten Körpers der Erfindung ist ein langer braun gefleckter Hals. Am oberen Ende des langen braun gefleckten Halses am vorderen Ende des braun gefleckten Körpers der Erfindung ist ein braun gefleckter Kopf. An der Oberseite des braun gefleckten Kopfes am oberen Ende des langen braun gefleckten Halses am vorderen Ende des braun gefleckten Körpers der Erfindung ist ein Hörnerpaar."

Das ist doch mal eine klare Aussage. Aber möchten Sie so etwas wirklich lesen? (wst)