Die Datenklimakatastrophe

Für die Privatsphäre gibt es keinen Bestandsschutz mehr. In sanften, kleinen Stücken schwindet sie.

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Von
  • Peter Glaser

Als der Informationsdienst Lexis-Nexis vor zwei Jahren bekanntgab, dass sich Unbekannte Zugang zu den persönlichen Dossiers von etwa 32.000 Datenbankkunden verschafft hatten, klang das noch spektakulär. Kurz zuvor vermeldete die US-Firma ChoicePoint ebenfalls einen Sicherheits-GAU. Über Tarnfirmen hatten sich Kriminelle Zugriff auf 145.000 ausführliche Kredit-Datensätze von Privatpersonen verschafft. Firmen wie ChoicePoint sammeln die persönlichen Daten von Abermillionen Amerikanern und verkauften sie an das FBI, das US-Justizministerium und an große Konzerne. Am Erfolg dieser Branche ist in den USA kurioserweise ein Datenschutzgesetz schuld: Der Privacy Act von 1974 untersagt es den Behörden, Daten zusammenzustellen, die nicht unmittelbar ihre Arbeit betreffen – den privaten Datensammlern ist keine solche Beschränkung auferlegt.

Inzwischen sind Meldungen über solche digitale Desaster alltäglich geworden. Und wenn abertausende Bürger von solchen erheblichen Datenverlusten betroffen sind, ohne dass man von schlimmeren Folgen als ein bisschen Kreditkartenmissbrauch gehört hätte, ist doch schwer einzusehen, weshalb man sich wegen ein paar kleiner Online-Durchsuchungen aufregen sollte. Oder?

Dass sich Widerstand gegen Online-Durchsuchung und Vorratsdatenspeicherung nur verhalten formiert, liegt unter anderem an der Salami-Taktik, mit der die Freiheit des Einzelnen beschnitten wird. Die schwindenden Scheibchen bleiben abstrakt. Die Wände, die uns umgeben, werden nach und nach durchlässiger und poröser. Unsere Kultur wurzelt in dem hohen Wert, den wir dem Individuum zumessen. Privatsphäre ist der Humus, auf dem dieser Wert gedeiht. Angriffe auf diese Grundlage folgen inzwischen der selben Strategie, nach der auch moderne Kriege geführt werden: Nicht mehr die große Heere gewinnen die Schlacht, sondern kleine Einheiten.

Dieser sachten Entwicklung hin zu einem Überwachungsstaat begegnen immer mehr Menschen affirmativ. Der Romanheld in Jonathan Franzens Welterfolg “Die Korrekturen” sieht sich mit den Wünschen seines jugendlichen Sohnes nach Überwachungstechnik konfrontiert :Die vom Kinderzimmer aus kontrollierbare Kamera in der Küche bringt den Vater im Lauf der Geschichte noch in Schwierigkeiten). Unsere Gesellschaft scheint von einer unbändigen Lust am Exhibitionismus erfasst worden zu sein. Vor ein paar Jahren war Big Brother Synonym für Überwachung und Kontrolle. Als 1984 der Apple Macintosh eingeführt wurde, gab es einen Werbespot mit einer Menschenmenge, die dem Großen Bruder lauscht und einer jungen Frau, die ihm einen Hammer ins Gesicht schleudert. Mit den gleichnamigen Containershows hat sich das Ganze in unterhaltsame Sozialpornographie verwandelt – die Leistung der Teilnehmer besteht darin, alles zu zeigen.

Was die Privatsphäre betrifft, gibt es für sie keinen Bestandsschutz mehr. Stattdessen zeigt sich die verhängnisvolle Tendenz, sie mit immergleichen Argumenten a la “Wer nichts zu verbergen hat, braucht sich nicht zu fürchten” durchlässiger und brüchiger zu machen. Was für die Erdatmosphäre im Großen gilt, gilt für die vielen kleinen menschlichen Privatsphären genauso – sie sind gefährdet durch unverantwortliche Eingriffe. (wst)