Kolumne: Skandal "Burnout"

Burnout in unseren Unternehmen ist ein Skandal. Erst werden Mitarbeiter in den Burnout geschickt, und wenn sie dort angekommen sind, werden sie gefeuert. Jeder Burnout-Fall ist das Versagen des Firmenchefs, meint Heise-resale-Kolumnist Damian Sicking.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Damian Sicking

Liebe Burnout-Opfer- und -Täter,

wahrscheinlich kennt jeder von uns einen, der vom Burnout-Syndrom betroffen ist. Mancher leidet wohl auch selbst darunter oder hat es getan. Viele Betroffene schämen sich deswegen, weil sie es als eigene Schwäche empfinden, und versuchen ihre Krankheit zu verbergen. Das macht die Sache natürlich noch schlimmer. Über Burnout ist viel geschrieben worden. Gerade hat die Wirtschaftswoche diesem Thema wieder einen langen Beitrag gewidmet. Auf den Artikel "Tipps gegen das Burnout-Syndrom bei ITlern" Ende September hier auf dieser Seite gab es mehr als 430 Leserkommentare. Ein deutliches Indiz für die Allgegenwärtigkeit des Themas.

Ich muss das, was geschrieben worden ist, über Ursachen von Burnout, den Verlauf und was man dagegen tun kann, nicht wiederholen. Was mich nervt, ist, dass es in den Artikeln immer nur um die Frage geht, was der Einzelne dagegen tun kann, welche Vorbeugemaßnahmen es gibt etc. Als ob Burnout ein individuelles Problem, das Problem des Betroffenen wäre. Aber Burnout ist so wenig ein individuelles Problem, wie Doping im Radsport ein individuelles Problem ist. Alles nur Einzelfälle? Von wegen! Wenn in einem Unternehmen ein Burnout-Fall auftaucht, dann ist es immer auch und vor allem ein Problem des Unternehmens. Dass in unseren Betrieben so viele Menschen unter Burnout leiden, ist – pathetisch gesprochen – eine Sünde der Unternehmenschefs. Dass wir uns mit dem Thema überhaupt beschäftigen müssen, das ist der eigentliche Skandal

In vielen Unternehmen wird der Burnout der Mitarbeiter, ich will nicht sagen, gefördert, aber billigend in Kauf genommen. Die Anforderungen an die Mitarbeiter sind vielfach extrem. Vor allem die Angehörigen des Mittleren Managements sind – neben den Fachspezialisten – davon betroffen. Die Computerwoche hat kürzlich unter der Überschrift "Mehr leiden als leiten" die Situation vieler Mittelmanager sehr zutreffend beschrieben: "Abteilungs- und Bereichsleiter bekommen völlig unrealistische Ziele gesetzt, Projektleiter sollen beim Kunden Versprechen erfüllen, die sie selbst nie gegeben hätten. Wer so etwas versucht, muss den Druck, der auf ihm lastet, an die eigenen Mitarbeiter weitergeben und wird in irgendeiner Form auf Gegendruck stoßen. Mittlere Manager arbeiten in einem Sandwich, gegen das von oben und unten gepresst wird." Das können die wenigsten lange aushalten, ohne Schaden zu nehmen.

Unterstützt werden die Firmenchefs – sofern sie sich überhaupt mit der Frage befassen, was Sie ihren Mitarbeitern zumuten können – von Beratern und Psychologen. Diese nämlich wollen herausgefunden haben, dass die Mitarbeiter an der Grenze ihrer jeweiligen Belastbarkeit am produktivsten sind. Das mag sogar stimmen. Die Frage ist aber: Wie lange kann man an der Grenze leben? Wie erkennt man überhaupt die Grenze? Und wie erkennt man, dass man sie überschritten hat. Und was geschieht, nachdem man sie überschritten hat? Pause? Regeneration? Den Akku wieder aufladen? Kann sich heute keiner leisten. Viele Mitarbeiter müssen heute, bildlich gesprochen, jeden Tag einen Marathon laufen. Zeit zur Erholung? Keine! Entweder man läuft oder man ist draußen.

Der größte Skandal besteht aber darin, wie Unternehmen mit ihren ausgebrannten Mitarbeitern umgehen. Statt ihnen zu helfen, die Krise zu überwinden und wieder gesund und motiviert zu werden und Spaß am Leben zu empfinden, spucken sie sie aus. Sie entlassen sie. Wenn die Mitarbeiter Glück haben, bekommen sie eine Abfindung, wenn sie Pech haben, werden sie rausgemobbt. Es ist an Menschenverachtung kaum zu überbieten: Erst schicken die Unternehmen ihre Mitarbeiter durch die extremen Anforderungen in den Burnout, und wenn die Mitarbeiter dort angekommen sind, bekommen sie einen Tritt und sind draußen. Das ist das letzte!

Ich weiß, dass nicht alle Unternehmen so sind. Aber es gibt sie. Und völlig klar ist auch, dass der Druck heute, wo viel von Rezession gesprochen wird, noch einmal erhöht wird. Und die Mitarbeiter haben keine Wahl. Natürlich haben sie eine Wahl, aber nur eine digitale: Entweder sie nehmen am Spiel teil, oder sie nehmen nicht teil. Das ist die einzige Wahl, die sie haben. Entscheiden Sie sich für die Teilnahme am Spiel, haben den Rest nicht mehr in der Hand. Entweder sie laufen den Marathon, oder sie stehen am Straßenrand.

Muss das so sein? Das will ich nicht glauben. Ja, wenn der Firmenchef auf Teufel-komm-raus eine Kapitalrendite von 25 Prozent haben will, dann muss das vielleicht so sein. Oder wenn der Vorstand zu schwach ist, seinen amerikanischen Bossen zu sagen "Nein, zehn Prozent Umsatzrendite nach Steuern ist nicht machbar". Aber ich lass mir den Glauben nicht nehmen, dass es möglich ist, ein Unternehmen dauerhaft erfolgreich zu führen, ohne dass die Mitarbeiter krank werden. Es MUSS möglich sein. Und ich bin sicher, dass es Firmenchefs gibt, Unternehmer zumeist, denen es wichtig und ein persönliches Anliegen ist, dass ihre Mitarbeiter gesund sind und morgens gerne in den Betrieb kommen. Geschäftsführer und Vorstandschefs, die so etwas wie eine Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeiter und die jeden Burnout-Fall in ihrem Unternehmen als ihr eigenes Versagen empfinden. Ist das eine altmodische Vorstellung? Ich behaupte: Nein!

Beste Grüße

Damian Sicking

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