"Ja, wir leben noch"

Walter Bender, Präsident für Software und Inhalte der "One Laptop per Child"-Initiative, über Fehler und Erfolge des Mega-Bildungsprojekts.

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Von
  • Larry Hardesty

Im Januar 2005 kündigte Nicholas Negroponte, Gründer des MIT Media Lab, seine "One Laptop per Child"-Initiative (OLPC) an. Die Idee klang zunächst utopisch: Den Bildungsstand der meisten Kinder in den armen Ländern der Welt zu stärken, indem man ihnen einen kostengünstigen Laptop zur Verfügung stellt. Besonders viel Aufmerksamkeit erzielte dabei der angedachte Preis des geplanten Rechners: Pro Gerät würden nur 100 Dollar anfallen, die Regierungen und Wohlfahrtsorganisationen übernehmen sollten.

Das Projekt wurde im großen Maßstab angegangen. Negroponte wollte anfangs erst gar nicht mit der Produktion starten, bevor nicht mindestens fünf Millionen Order aus der ganzen Welt vorliegen würden. Doch die Millionen-Bestellungen kamen nie zustande, manche Zusage wurde nicht eingehalten. Bis jetzt ist der mit Abstand größte Besteller das Land Peru mit rund 270.000 Geräten.

Doch Negroponte ließ sich nicht unterkriegen: Im November 2007 ging die Produktion des inzwischen "XO" getauften Gerätes dennoch los – mit rund 188 Dollar pro Stück zu einem etwas höheren Preis. Gleichzeitig legte das OLPC-Projekt ein Charity-Programm namens "Give 1 Get 1" auf: Zur Weihnachtszeit konnten Amerikaner und Kanadier für 399 Dollar eines der Geräte erwerben und gleichzeitig ein zweites Kindern in der Dritten Welt spenden.

Einigen Beobachtern kam die Aktion wie der Versuch vor, einem scheiternden Projekt schnell noch eine Geldspritze zu verpassen. Dann entschied sich im Januar auch noch der Chipriese Intel, die Initiative nach einer nur sechsmonatigen Mitgliedschaft wieder zu verlassen, wobei eine Intel-Version des XO, die eigentlich auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas vorgestellt werden sollte, gleich mit eingestampft wurde.

Das Hauptmotiv bei dem Streit sollen Intels Versuche gewesen sein, einen eigenen Billigrechner namens "Classmate PC" an den Mann zu bringen – und zwar auch in Ländern, die sich bereits ernsthaft für den XO interessiert hatten. Das OLPC-Projekt sah damit den Vertrag mit Intel verletzt, der eine Verächtlichmachung des XO durch das Partnerunternehmen verbot. Bei Intel sah man das naturgemäß anders und meint spitzfindig, nur die Manager der Firma seien daran gebunden gewesen, nicht jedoch die Verkaufsabteilung. All das führte zu Schlagzeilen – so titelte die "New York Times" bereits, Negropontes Projekt stehe vor dem Aus. Technology Review sprach mit Walter Bender, Präsident für Software und Inhalte beim OLPC-Projekt, über die Probleme der Initiative und die Gründe für Intels Abgang.

Technology Review: Herr Bender, welche Auswirkungen hat Intels Entscheidung auf Ihr Projekt?

Walter Bender: Gar keine. Intel hat nichts dazu beigetragen. Weder bei unserem aktuellen Produkt, dem XO, noch bei unserem Lernmodell oder bei unserer Software. Dass sie jetzt gegangen sind, kann uns eigentlich egal sein.

TR: Das ist aber nur das letzte Problem, das beim OLPC-Projekt auftaucht.

Bender: Welche meinen Sie?

TR: Große Verträge kamen nie zustande. Gab es nicht ursprünglich eine Mindestmenge an Maschinen, die die Regierungen abnehmen sollten?

Bender: Ursprünglich schon. Wir haben sicher auf unserem Weg einige Fehler gemacht. Einer davon war, dass unser Modell ein bisschen zu unflexibel war. Teilweise basierte das auf falschen Vorstellungen unsererseits, welches Volumen wir brauchen, damit das Projekt anläuft. Und wir dachten, dass ein paar große Orders der beste Weg seien, das Ganze anzuschieben und nach vorne zu bringen.

Ein Teil unseres Teams sah das aber schon damals instinktiv anders. Die befürworteten einen Graswurzelansatz und einen Aufbau von unten statt von oben. Nun sieht es so aus, dass wir beides haben werden. Was wir da jetzt machen, ist auch eine gute Idee. Auf der einen Seite haben wir tatsächlich einige große Bestellungen. Vielleicht nicht ganz so große, wie wir es uns ursprünglich erhofft hatten, aber wir werden eine Viertelmillion allein in Peru absetzen. Und eine ähnliche Größenordnung ist in Uruguay geplant.

Das sind Beispiele eines "Top-Down"-Ansatzes. Aber es gibt eben auch viele Projekte "von unten". Wir haben gerade 100.000 solcher Rechner gebaut, die wir im Rahmen des "Geben"-Teils der "Give 1 Get 1"-Initiative verteilen werden.

TR: Was war das Ziel dieses Vorhabens?

Bender: Da gab es gleich zwei. Erstens wollten wir in Ländern eine Starthilfe haben, die sich die Rechner selbst nicht recht leisten konnten – Haiti, Ruanda, die Mongolei, Afghanistan, Äthiopien und Kambodscha gehören dazu.

Zweitens sollte die öffentliche Teilnahme an unserem Projekt verbreitert werden. Es gibt da sehr viele Leute, die mitmachen wollen, die Teil einer globalen Lernbewegung sein möchten. Die Anzahl der Menschen, die sich für unsere Mission engagieren, hat sich im letzten Monat dramatisch erhöht. Wir stellen fest, dass die Gemeinschaft stärker mitmacht, als wir uns das vorgestellt hätten. Da gibt es dann beispielsweise 40 Freiwillige auf der ganzen Welt, die für uns am Telefon sitzen.

TR: Ist das der Kundensupport?

Bender: Genau. Und der kommt von der Gemeinschaft und nicht von uns selbst. Einer der Gründe, warum wir den Rechner so billig machen konnten, ist unsere Kostenstruktur, die ohne diese Dinge auskommt. Wir sparen an allen Ecken. Dazu gehört auch, dass wir vorgesehen haben, dass sich die Menschen auf lokaler Ebene um dieses Problem kümmern. So kann beispielsweise ein Neunjähriger die Hauptplatine austauschen, das kann man sich auf YouTube ansehen.

Ein Beispiel: Wenn die Hintergrundbeleuchtung im Bildschirm meines Lenovo-Laptops, das so genannte Backlight, stirbt, muss ich es in die Fabrik zur Reparatur schicken, und dann wird der ganze Schirm ersetzt. Wäre das kein Garantiefall – und diese Garantie kostet mich mehr als einer unser XO-Laptops –, würde ich das Gerät wahrscheinlich wegwerfen und ein neues kaufen, weil es sich nicht mehr lohnt. Wenn das Backlight im XO seinen Geist aufgibt, muss man zehn Schrauben lösen und zwei Dollar für ein Ersatzteil investieren. Die zehn Schrauben und das billige Ersatzteil, das jedes Kind einbauen kann, sind aber noch nicht alles. Unser Gerät läuft nämlich sogar auch dann noch, wenn die Hintergrundbeleuchtung kaputt ist.

TR: Mit Umgebungslicht?

Bender: Sie sagen es. Und das kaputte Display meines Lenovo, das dann auf dem Müll landet, enthält auch noch Quecksilber. Unseres nicht. Wir haben über all diese Dinge nachgedacht. Das ist kein einfacher Hack und keine wissenschaftliche Übung. Wir haben es hier mit einer sehr ernsten Sache zu tun. Niemand bekommt das auf der Welt derzeit besser hin als wir. Und wir hoffen, dass der Rest des Planeten von dem, was wir da tun, lernen kann und dann eines Tages sogar noch besser wird als wir. Das ist Teil unseres Plans.

TR: Heißt das, dass Sie vorhaben, Ihre Technologie an andere Hersteller zu lizenzieren?

Bender: Mit dieser Frage kämpfen wir gerade. Wir brauchen einen Wirtschaftswissenschaftler, der das für uns herausfindet. Ich weiß nicht, ob es nicht besser für die Kinder wäre, wenn wir all das, was wir heute machen, frei veröffentlichen würden – für alle und egal für welchen Zweck. So könnten vielleicht schneller mehr Laptops in die Hände der Kinder gelangen.

TR: Aus Ihrer Perspektive heißt das, dass das Projekt auch dann noch ein Erfolg wäre, wenn gar keine Rechner mehr von den Initiatoren hergestellt werden, sondern die Technologie in einem Dutzend unterschiedlicher Geräte landet?

Bender: Ja. Aber ich glaube, es ist noch zu früh, das zu tun. Der Grund ist ganz einfach: Wenn wir den Druck nicht aufrechterhalten, gehen die Preise hoch, die Maschinerie ist nicht mehr so effizient, und wir kommen schließlich wieder zur bekannten "größer, schneller"-Entwicklung. Wir müssen weiter dafür sorgen, dass die Industrie ehrlich bleibt – bis wir allen gezeigt haben, dass dieser neue Weg tragfähig ist. Wenn nicht, läuft es wieder wie üblich: Nächstes Jahr kommt dann die neue Intel-Maschine heraus, die sowohl teurer als auch leistungshungriger ist. Und das hilft den Bedürfnissen der Kinder überhaupt nicht.

TR: Wenn man mit dem XO herumspielt, wirkt er aber durchaus langsam.

Bender: Er ist sicher langsam im Vergleich zu dem Laptop, den Sie gerade mit sich herumtragen. Aber der Maßstab, an dem wir uns orientieren, ist nicht ein Spiel wie "Grand Theft Auto". Unser Maßstab ist das Lernen. Die Textverarbeitung ist schnell genug, um meinen Eingaben zu folgen. Die Videokamera funktioniert problemlos, das Musikprogramm ebenfalls. Es ist eine völlig ausreichende Plattform für Kids, die etwas lernen wollen. Jede Entscheidung, die wir treffen, orientiert sich daran. Und schließlich geht es darum, dass einem ein schneller Prozessor nicht hilft, wenn einem dann der Strom fehlt, das Ding anzuschalten.

TR: Da wäre dann auch noch die Frage, ob Laptops wirklich das Hilfsmittel sind, in das Regierungen so viel investieren sollten.

Bender: Nicholas Negroponte sagt das immer gerne so: Ersetzen Sie das Wort "Laptop" einfach durch das Wort "Bildung". Stellen Sie sich dann die Frage, ob wir diesen Kindern Bildung zukommen lassen sollten. Antworten Sie dann: "Nein, das brauchen die nicht, das ist ein Luxus"?

Was wir immer wieder betonen, ist Folgendes: Der Laptop ist der effizienteste Weg, den wir kennen, den Kindern ein echtes Lernen zu ermöglichen. Uns interessiert der Laptop an sich nicht, wir interessieren uns für die sich daraus ergebenden Bildungschancen. Und es hat sich nun einmal aus fast 50 Jahren Forschung durch Wissenschaftler wie Seymour Papert, dem berühmten Bildungstheoretiker, gezeigt, dass ein Rechner eine wunderbare Maschine ist, um damit zu denken. Der Computer ist ein sehr mächtiges Werkzeug. Und er wird das Leben dieser Kinder dramatisch zum Besseren wenden. (bsc)