"Google muss reguliert werden"

Ein internationaler Forschungsbericht unter der Leitung der TU Graz warnt in dramatischen Worten vor der Macht der großen Suchmaschine. Technology Review sprach mit dem Studienleiter, dem Informatikprofessor Hermann Maurer, über das Google-Papier.

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Knapp 190 Seiten umfasst ein Ende des vergangenen Jahres erschienener Forschungsbericht, der Arbeiten von sechs Wissenschaftlern aus Deutschland und Österreich zur Macht der großen Suchmaschine zusammenfasst - und die Probleme, die die "Googlisierung" der Gesellschaft mit sich bringt, analysiert.

Hermann Maurer, Informatikprofessor an der TU Graz, stand dem Projekt vor. Er sieht Google ähnlich wie seine Kollegen äußerst kritisch, glaubt, dass der Konzern inzwischen eine nahezu universelle (Informations-)Macht angehäuft hat. Im Interview mit Technology Review erläutert er den Forschungsbericht und erklärt, warum er denkt, dass der Staat Google baldmöglichst regulieren sollte.

Technology Review: Herr Maurer, hat Google sich schon bei Ihnen gemeldet? Was sagt man zu den Vorwürfen in Ihrer Studie?

Maurer: Google hat sich nicht gerührt. Es wundert mich ein bisschen.

TR: Sie fordern die EU auf, Googles Monopol als Suchmaschine zu brechen. Wie soll das gehen? Bislang sind staatlich finanzierte Projekte, einen hiesigen Konkurrenten aufzubauen, kläglich gescheitert.

Maurer: Erstens: Man könnte ein Anti-Trust-Verfahren einleiten, was wegen des Kaufs des Online-Werbers Doubleclick von der EU ja gerade geprüft wird. Es geht aber nicht um die Suchmaschine Google, sondern um das "Imperium", das die Firma aufgebaut hat. Das heißt: Man könnte Suchmaschine und andere Aktivitäten bei Google trennen.

Zweitens: Man könnte viele Spezialsuchmaschinen einrichten, zum Beispiel vier pro EU-Land. Eine für Maschinenbau, eine für Gärtner, eine für Medizin, eine für Tourismus, und so weiter, und so fort. Und dann ein Portal, auf dem der Nutzer aussucht, wofür er sich heute interessiert. Von da aus wird er dann durchgeschaltet. Diese Suchmaschinen wären besser als Google (weil sie eine fachspezifische Terminologie verwenden könnten). Das habe ich der EU-Kommission und dem EU-Parlament vor einem Jahr empfohlen.

Die Kosten lägen unter 100 Millionen Euro. Der sinnlose Versuch "Quaero" der Franzosen frisst 500 Millionen, das ebenfalls mehr oder minder sinnlose "Theseus" aus Deutschland fast genauso viel. Ich habe die Idee auch dem Berliner Wirtschaftsministerium vorgeschlagen – ohne Erfolg.

Möglich wäre beispielsweise die Verwendung der europäischen Suchtechnologie FAST aus Oslo gewesen. Diese einmalige Chance hat sich Europa aber entgehen lassen. FAST wurde ja kürzlich von Microsoft für 1,2 Milliarden Dollar gekauft.

TR: Ist den Nutzern bewusst, wie viele Daten Google über sie sammelt? Muss hier mehr Aufklärung betrieben werden?

Maurer: Sicher ist dieses Bewusstsein nicht da, Aufklärung ist wichtig – auch darüber, dass, selbst wenn man einen Dienst nur kurz verwendet, immer mitgespeichert wird. Google besitzt so über jeden von uns und jede Organisation ein Dossier, das jenseits von Werbung viel wert ist. Ob das Google heute schon verwertet, wissen wir nicht.

Die Versuchung müsste nur da sein. Was ist, wenn Regierung X fünf Millionen Euro anbietet, um diese Informationen von 100 Oppositionellen zu bekommen? Wäre Google nicht fast schon dumm das abzulehnen, schließlich wurden die Daten ja legal gesammelt? Nur müsste der Konzern dafür sorgen, dass das sehr im Geheimen geschieht, sonst würde er an Glaubwürdigkeit verlieren.

TR: Formt Google eine eigene Wirklichkeit der Welt?

Maurer: Ja. Beispielsweise, in dem manche Sites künstlich tiefer, andere künstlich besser gerankt werden. Wieder eine große Versuchung für Google wäre es, gegen Geld Suchergebnisse "opportunistisch" zu reihen. Auch hier gilt: Wenn das Google je machen würde, dann mit Vorsicht, ein zu offensichtliches Fehlranking würde das Image beschädigen.

TR: Der Autor und Internet-Unternehmer John Batelle hat Google einmal als "Database of Intentions" bezeichnet – eine Datenbank unserer Wünsche, weil wir wie selbstverständlich die intimsten Details in das Suchfeld eintippen. Meinen Sie, den Google-Gründern war beim Aufbau der Firma klar, dass man einen solchen Status erreichen würde?

Maurer: Nein. Ich glaube, der Erfolg kam auch für die Erfinder unerwartet.

TR: Google hat ein klares Ziel: die Informationen der Welt zu organisieren – und zwar alle. Das ist ein großes Projekt. Probleme für die Privatsphäre entstehen auch dadurch, dass es nun möglich wird, Dinge miteinander zu verknüpfen, die zuvor einfach nicht verknüpfbar waren, weil sie nicht maschinenlesbar vorlagen. Brauchen wir ein ganz neues Datenschutzrecht?

Maurer: Im Prinzip ja, denn die Datenschutzgesetze zum Beispiel in Österreich oder in Deutschland sind ein Witz. Die Polizei muss sich daran halten, Google nicht. Nur: so ein internationales Recht wird genauso schwierig durchzusetzen sein wie etwa das Kyoto-Protokoll.

Also muss man es anders lösen, etwa mit den erwähnten Kartellverfahren oder Spezialsuchmaschinen oder mit einer allgemeinen Internet-Gesetzgebung, die wir in der Studie erwähnen. Aber es ist nicht nur die Verletzung der Privatsphäre, die gefährlich ist. Google weiß mehr über die Zukunft als je jemand seit dem Orakel von Delphi gewusst hat: das könnte der Konzern ausnutzen, um beispielsweise gewaltig am Aktienmarkt zu profitieren. Das ist wieder so eine Verlockung.

TR: Google hat doch aber das Image, mit den Daten der Nutzer vorsichtig umzugehen – so sind etwa keine großen Fälle bekannt geworden, in denen das Unternehmen die Suchgeschichte einzelner User offengelegt hätte - obwohl sie gespeichert werden.

Maurer: Natürlich nicht. Google könnte mit den Infos, die sie haben, viel Geld verdienen. Sobald jemand beweisen könnte, dass das wirklich geschieht, wäre das Vertrauen weg.

TR: Google selbst sagt, man halte sich an den Schutz der Privatsphäre. So würden Sucheingaben inzwischen nach 18 Monaten teilweise anonymisiert, früher wurden sie ewig aufbewahrt. Meint der Konzern es ernst?

Maurer: Wenn der Druck groß genug ist, wohl schon. Es wird aber immer, auch von Ihnen hier, nur über die Privatsphäre spekuliert. Es geht aber um viel mehr.

Ein paar Beispiele: Der Konzern könnte Erpressern helfen – warum, glauben Sie, ist in Den Haag auf Google Earth der Königspalast ausradiert? (Damit man ihn nicht so leicht ausspionieren kann.) Google könnte die Aktienmärkte ausnutzen. Google könnte Informationen verkaufen, die andere (Politiker, Personalchefs, ...) für ihre Entscheidungen ausnutzen.

Google macht zwar nichts Illegales, aber mit den Daten von Google kann viel Illegales gemacht werden. Wir haben Gesetze für die Zulassung von Medikamenten, eine Schulpflicht und vieles mehr. Die Regierungen haben noch nicht erkannt, dass das Internet so wichtig geworden ist, dass man auch hier eingreifen und regulieren muss.

TR: Wenn man Google etwa mit Facebook vergleicht, wo die Nutzer intimste Details sogar freiwillig eingeben und deren Verwendung etwa zu Werbezwecken offensichtlich noch schamloser verläuft – ist die große Suchmaschine dagegen nicht harmlos?

Maurer: Nein. Denn Facebook verwenden nicht alle, Google viel mehr. Allerdings ist der Exhibitionismus in Facebook natürlich auch gefährlich.

TR: Sie werfen Google eine Monopolstellung vor. Andererseits hindert das Unternehmen doch niemanden daran, konkurrierende Dienste aufzubauen. Der Nutzer entscheidet letztlich, was er verwendet.

Maurer: Das war bei Microsoft oder IBM auch so. Wenn man einmal so mächtig ist wie Google, ist es nicht mehr leicht, dagegen anzukämpfen.

TR: Wo sehen Sie Google in den nächsten 10 Jahren, falls der Staat entscheidet, nicht zu regulieren?

Maurer: Als einen Machtfaktor, der stärker als jeder Staat ist. Und als einen Monopolisten, der nicht akzeptierbar ist. (bsc)