Werbeblocker: "Adware ist Malware mit einer Rechtsabteilung"

Auf Einladung eines EU-Abgeordneten lieferten sich Vertreter von Adblocking-Software einen Schlagabtausch mit Vertretern der Werbeindustrie. Anti-Adblocker-Firmen arbeiten mittlerweile daran, Werbeblocker technisch auszuhebeln.

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Werbeblocker
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
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Die derzeit laufenden Rechtsstreitigkeiten um Adblock Plus haben mittlerweile auch in Brüssel für Aufmerksamkeit gesorgt. Der österreischische Abgeordnete des Europaparlaments Josef Weidenholzer hatte deshalb am Mittwoch eine informelle Diskussion in Brüssel organisiert, um die Argumente der Gegner anzuhören und eventuellen Handlungsbedarf auszuloten.

In einer informellen Diskussion trafen Adblock-Hersteller und Gegner aufeinander.

Ben Williams von Adblock-Plus-Hersteller Eyeo präsentierte das Acceptable-Ads-Modell, das "nicht-nervende" Werbung gegen Zahlung durch die Werbefilter passieren lässt, als zukunftsorientierten Kompromiss: "Eine Block-Rate von 100 Prozent hat keine Zukunft", erklärte Williams in Brüssel. Mit dem Adblock-Plus-Modell sei man über eine Lösung gestolpert, die derzeit gut funktioniere.

Blaise Vignon vom Retargeting-Spezialisten Criteo betonte hingegen die Wichtigkeit der Werbeeinnahmen für die Betreiber von Webseiten. So arbeite sein Unternehmen mit 10.000 Publishern zusammen. Allein 2014 habe die Online-Werbebranche 133 Milliarden Dollar umgesetzt.

Vignon gestand zwar ein Problem mit belästigender Werbung ein: "Werbeblocker sind ein nützliches Indiz dafür, dass Nutzer bestimmte Werbeformen ablehnen", sagte er. Die derzeitigen Block-Raten von teilweise über 50 Prozent seien aber extrem. Zudem erlaubten es die verbreiteten Adblocker nicht, zwischen den verschiedenen Werbeformen zu unterscheiden. Welche Werbung durch wen aussortiert werde, sei intransparent.

Moderator Alexander Hanff warf den Werbeanbietern vor, bei der Selbstregulierung zu versagen. So verstießen viele Anbieter gegen die InfoSoc-Richtlinie der EU, indem sie Daten ohne ausreichendes Einverständnis der Nutzer sammelten. Entgegen der Darstellung der Werbeindustrie seien auch technische Daten wie IP-Adressen als persönliche Daten zu behandeln.

Hatte die Werbebranche in den vergangenen Jahren ein generelles Problem mit Werbeblockern eher heruntergespielt, drängen nun Spezial-Anbieter auf den Markt, die ein aggressiv gegen Adblocker vorzugehen versprechen und Werbung entweder durch die gängigen Filter schleusen oder Nutzer solcher Software von bestimmten Inhalten aussperren. So ging im Juni mit Sourcepoint das Angebot des Ex-Google-Managers Ben Barokas an den Markt, das "Premium-Anbietern" die Monetarisierung ihrer Inhalte trotz Werbeblockern verspricht.

In Brüssel stellte Sourcepoint-Mitgründer Matt Adkisson die steigenden Block-Quoten als akuten Rückschritt dar: "Das Internet entwickelt sich zurück zu den Walled Gardens, die wir 1995 hatten". Statt eines offenen Internets beförderten Werbeblocker geschlossene Angebote wie einst AOL. So könnten Werbeblocker vielleicht 99 Prozent der Werbung blockieren. Bei voll integrierten Angeboten wie Facebook seien sie jedoch letztlich chancenlos. Folge sei, dass die Inhalte immer mehr in solche abgeschotteten Plattformen verlagert werden, auf denen mit Werbung Geld verdient werden könne. So habe Apple nicht aus Zufall parallel zu der Ankündigung einer Werbeblocker-Funktion für Safari auch eine eigene News-Plattform ankündigte.

Adkisson bezweifelte, dass Adblocker wirklich eine freie Entscheidung der Nutzer seien. So hatte ein Online-Video-Anbieter, der seine Nutzer mit Hilfe von Sourcepoint zur Deinstallation von Adblockern aufgefordert hatte, zu vielen Anfragen von Kunden geführt, die keine Ahnung hatten, dass sie einen Filter installiert hatten. Auf die Frage, wieso seine Firma gegen den expliziten Wunsch der Nutzer vorgehe, Werbung zu blockieren, antwortete er, dass die Nutzer die Möglichkeit hätten, die Angebote solcher Betreiber nicht mehr zu besuchen.

Insbesondere Matt Adkisson (links) wurde hart angegangen. Seine Firma will die Werbefilter durchbrechen.

Scharf angegegangen wurde Adkisson von Roi Carthy vom israelischen Unternehmen "Shine", das Werbeblocker in der Infrastruktur von Mobilprovidern installieren will. Er portraitierte die Online-Werbebranche als mafiöse Industrie, die nur Schaden anrichte: "Wir haben festgestellt, dass Werbung die Nutzer mehr beeinträchtigt als Viren", sagte Carthy. Deshalb sei die als Anti-Viren-Spezialist gestartete Firma auf Adblocking umgestiegen. "Adware ist Malware mit einer Rechtsabteilung", schimpfte Carthy. Die Adtech-Firmen kämpften mit Fachleuten auf NSA-Niveau gegen die Interessen der normalen Nutzer.

Noch in diesem Jahr sollen erste Provider die auf Deep Packet Inspection basierende Filtersoftware von Shine einsetzen: "Die Software ist fertig und ausgereift", betonte Carthy. Auf die Frage, wie er den Eingriff in den Datenverkehr mit europäischem Recht vereinbaren könne, wiegelte Carthy ab: So werde Deep Packet Inspection heute schon an vielen Stellen eingesetzt. Zudem sei man nicht nur mit europäischen Providern in Verhandlungen. Im Gespräch mit heise online räumte Carthy ein, das das Shine-Angebot Lösung auch Whitelists ermögliche und von Providern zur Durchsetzung eigener Werbeplattformen eingesetzt werden könne. Was die Netzbetreiber mit der Lösung machten, sei deren Entscheidung. (jo)