Microblogging öffnet sich

Kommunikationsdienste wie Twitter feiern Nutzerrekorde. Ein neuer Konkurrent namens Identi.ca versucht nun, zentralen Plattformen Mitglieder abzujagen - mit Hilfe einer offenen Lösung auf Open-Source-Basis.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 2 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Erica Naone

Bislang wurden populäre Web 2.0-Kommunikationsdienste wie Twitter auf geschlossenen Plattformen betrieben. Seit Juli ist nun erstmals ein Open-Source-Konkurrent verfügbar. Identi.ca genannt, wird er vom kanadischen Unternehmen Control Yourself aus Montreal betrieben und nutzt die freie Softwarelösung Laconica. Chancen werden Identi.ca auch deshalb eingeräumt, weil Twitter seit Monaten mit Ausfällen seiner Technik kämpft.

Der Microblogging-Trend, bei dem Nutzer ihre aktuelle Stimmungslage oder ihr aktuelles Tun mit Hilfe kurzer Informationshäppchen an ein Netzwerk von Freunden weitergehen, findet immer mehr Anhänger. Laut der Twitter-Statistikseite "TwitDir" besitzen inzwischen über zwei Millionen Nutzer aus der ganzen Welt einen Twitter-Zugang. Doch trotz der Faszination, die das hippe Start-up aus San Francisco auslöste, werden die Nutzer regelmäßig mit Unzuverlässigkeiten konfrontiert: Bei Großereignissen wie der Vorstellung neuer Apple-Produkte oder wichtiger Tech-Konferenzen geht der Dienst offline oder ist nur eingeschränkt verwendbar. Twitters Techniker versuchen zwar, die Probleme in den Griff zu bekommen, denn inzwischen stehen der Firma Risikokapitalinvestitionen in Höhe von rund 20 Millionen Dollar zur Verfügung. Wirklich zu funktionieren scheint das allerdings noch nicht. Dennoch bleiben viele Nutzer loyal, weil sie ihre Freunde bei Twitter finden. Andere suchen sich hingegen Alternativen wie Google Jaiku, Pownce oder Plurk.

Twitter startete seinen kostenlosen Dienst im Oktober 2006. Die Idee dabei: Nutzer sollen die Frage "Was machst Du gerade?" mit einer 140 Zeichen langen Textbotschaft beantworten, die entweder per Web, Handy oder Instant Messaging eingegeben werden kann. Nutzer können diesen Nachrichtenstrom über eine öffentliche Zeitleiste ("public timeline") begutachten oder einzelnen Twitter-Nutzern folgen (als "Follower"). Gegenüber Entwicklern gab sich Twitter dabei stets offen: Eine Anwendungsschnittstelle (API) erlaubt es seit langem, eigene Programme zu schreiben, die die Daten des Dienstes nutzen und neue Funktionen ergänzen – populär ist beispielsweise der dezidierte Twitter-Client Twhirl. Neben der Verbreitung kleinster Details des täglichen Lebens dient Twitter inzwischen auch als Informationskanal bei Konferenzen, zur Organisation von Treffen und der Verteilung interessanter Links und Bilder.

Evan Prodromou, Gründer von Identi.ca, sieht Twitter inzwischen als eigene Kommunikationsform wie E-Mails, Weblogs oder Podcasts. "Ich begann damit, persönlich von Twitter als Kommunikationsmedium abhängig zu werden." Ihm sei dann aber klar geworden, dass der Dienst nicht so funktioniere, wie das im Internet eigentlich sein sollte. "Wenn eine Firma ein Kommunikationsmedium ganz für sich allein kontrolliert, wird das schnell schwierig. Das lässt sich im Web schwerlich auf Dauer aufrechterhalten." Deshalb sei es notwendig, eine freie Variante solcher Dienste zu schaffen, eben in Form einer Open-Source-Software.

Identi.ca begann als abgespeckte Version von Twitter und enthielt nur die grundlegendsten Funktionen: Web und Instant Messaging waren beispielsweise nutzbar, während die Nachrichtenübertragung per SMS noch fehlte. In den ersten zwei Wochen nach dem Start des Projekts hatte sich jedoch bereits eine kleine Entwicklergemeinschaft gebildet, die diverse Funktionen ergänzte: Nun ist auch eine Suchfunktion integriert sowie die Möglichkeit, Antworten auf eigene Nachrichten im gesamten Identi.ca-Angebot aufzufinden.

Neben dem Nachbau der Standard-Twitter-Funktionen hat Prodromou aber noch andere Pläne: Der Open-Source-Kern von Identi.ca, Laconica, enthält einige wichtige Ergänzungen. Die Software ist so gestaltet, dass jeder, der einen Microblogging-Dienst anbieten möchte, das Paket einfach nur auf seinem Server installieren muss. Dennoch existiert eine übergeordnete Kompatibilitätsschicht: Laconica macht es möglich, dass Nutzer, die auf unterschiedlichen Servern angemeldet sind, dennoch miteinander kommunizieren können.

Um dies zu erreichen, erstellte Prodromou ein Konzept namens OpenMicroBlogging. Daraus soll bald ein Standard werden, der beschreibt, wie Microblogging-Dienste miteinander interagieren können. Die Technik setzt dabei stark auf die Authentifizierungslösung OAuth. Mit diesem Softwarestandard ist es möglich, Servern Zugang zu bestehenden Informationen eines Nutzers im Web zu erteilen, dessen sensible Passwörter aber verdeckt zu lassen. Prodromou träumt dabei von einem locker verbundenen, weltweiten Microblogging-Netzwerk, das Daten untereinander austauscht, aber dennoch nicht auf die Server einer einzelnen Organisation angewiesen ist.

Obwohl Laconica derzeit die einzige Microblogging-Software ist, die OpenMicroBlogging unterstützt, hofft Prodromou, dass bald auch andere Projekte hinzu stoßen. Doch selbst ohne weitere Unterstützung funktioniert die Technik bereits: Jeder kann sich Laconica herunterladen, Kontakt zum Rest des Netzwerks aufnehmen und mit dem offenen Microblogging vom eigenen Server aus loslegen.

Ryan Paul, Journalist und Open-Source-Entwickler, der am Projekt Gwibber arbeitet, der ersten Microblogging-Desktop-Lösung, die Identi.ca unterstützt, hält die Unterstützung solcher Programme für besonders wichtig. "Ohne Clients wird sich die Technologie nur schleppend durchsetzen." Deshalb unterstützt Gwibber auch nicht nur Identi.ca, sondern beherrscht auch andere Microblogging-Dienste wie Twitter, Jaiku und die Status-Komponente des sozialen Netzwerks Facebook. Noch läuft Gwibber allerdings nur auf Linux-Rechnern. Laconica selbst findet Paul gut, obwohl sich das Projekt noch in einer frühen Phase befinde. Es sei aber ein guter Startpunkt für Standards wie OpenMicroBlogging. "Ein Standard allein ohne Code ist niemals sinnvoll." Mit Programmierbeispielen sei es nun aber möglich, einen Standard stets der tatsächlichen Nachfrage der Nutzer anzupassen.

Pete Prodoehl, Technologieblogger und früher Nutzer von Twitter und Identi.ca, meint, dass er den freien Dienst aus zwei Gründen ausprobiert habe: Erstens frustrierten die technischen Probleme bei Twitter, zweitens seien Open Source-Projekte eigentlich immer spannend. Inzwischen konnte er immerhin 100 Abonnenten ("Subscribers") bei Identi.ca einsammeln (bei Twitter hat er 700 "Follower") und begann damit, einen "Twitter-freien Freitag" einzuführen, an dem er seine Freunde auffordert, einfach mal die Konkurrenz auszuprobieren. Damit sich Identi.ca durchsetzen könne, müsse der Dienst aber über alle Funktionen verfügen, die man von Twitter und Co. kenne, sagt Prodoehl. Besonders wichtig sei die Möglichkeit, leicht eigene Client-Programme zu erstellen.

Identi.ca-Schöpfer Prodromou hofft nun, dass OpenMicroBlogging bald mehr Anhänger findet. Gleichzeitig will er den Funktionsumfang von Laconica verbessern. Dabei hat er das gleiche Problem wie Twitter selbst: Noch existiert kein klares Geschäftsmodell für die Web 2.0-Kommunikationsdienste. Prodromou erwägt, so Geld zu verdienen, wie das bereits andere Open-Source-Experten tun: Er will Firmen dabei helfen, eigene Dienste auf Basis der freien Software aufzusetzen. Außerdem kann er sich zusätzliche Premiumfunktionen gegen Gebühr oder eine Werbefinanzierung für Identi.ca vorstellen. (bsc)