Twitters Wachstumsschmerzen

Der populäre "Microblogging"-Dienst leidet in regelmäßigen Abständen unter Ausfällen und eingeschränkter Verfügbarkeit. Ein Komplettumbau der Infrastruktur soll die Probleme nun lösen.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • John Borland

Wie jeder Twitter-Süchtige weiß, leidet der Dienst quasi seit seinem Bestehen an mehr oder weniger langen Ausfallerscheinungen: Mal funktioniert das komplette Angebot gar nicht, mal sind nur einzelne Teilfunktionen nutzbar. Pro Monat können das durchaus einige Stunden, manchmal auch Tage sein – für einen inzwischen sehr populären Internet-Dienst eigentlich völlig inakzeptabel.

Zahlreiche Nutzerbeschwerden und eine Abwanderung zu Konkurrenzdiensten sind deshalb inzwischen zu beobachten und es gibt sogar einige Drittentwickler, die sich dafür entschieden haben, ihre Twitter-Projekte wegen der Probleme einzustellen. (Dabei lebt der Dienst auch von den zahllosen Programmen, die seine Bedienung teils deutlich vereinfachen.) Twitter reagiert inzwischen: Die Firma gibt sich zunehmend offen im Hinblick auf die Probleme. Das Management erläuterte außerdem kürzlich in groben Zügen, wie man die Architektur des Dienstes vollständig neu aufbauen will, um die Stabilität deutlich zu verbessern.

Einen Zeitplan oder wirkliche technische Details nennt Twitter allerdings nicht. Mitbegründer Biz Stone sagte allerdings vor kurzem in einem Interview, dass die Veränderungen bereits laufen und die Nutzer schon jetzt von ihnen profitieren können. "Wir verbessern das System organisch. Damit einher geht auch, dass die Plattform schrittweise stabiler wird."

Twitter erlaubt es seinen Nutzern, 140 Zeichen lange Nachrichten einzugeben, die dann an andere Nutzer weitergeleitet werden – auf Computer, aber auch auf Handys. Laut den Ingenieuren der Firma wurde der Dienst ursprünglich mit der Technologie und den Verfahren aufgebaut, die man aus Redaktionssystemen (Content Management System, CMS) kennt. Solche Systeme nutzen normalerweise eine Datenbank, um Inhalte, die publiziert werden sollen, zu organisieren – egal ob sie nun für das Web oder eine Printpublikation gedacht sind. Das CMS, das für Technology Review verwendet wird, enthält so beispielsweise verschiedene Datenbankeinträge für den Titel dieses Berichts, den Namen des Autors, das Erscheinungsdatum und so weiter. Ergo: Obwohl ein solches System es Nutzern erlaubt, Inhalte zu erstellen und öffentlich zu publizieren, ist es doch eigentlich nicht für den Echtzeitdatenaustausch von Nachrichten gedacht.

Twitter wuchs hingegen schnell zu einem echten Kommunikationsnetzwerk heran – mit seinem ganz eigenen Mitteilungsstil und der Möglichkeit, Gruppen von Nutzern schnell zu informieren. Die verschiedenen "Hacks", die die Twitter-Ingenieure verwendeten, um aus einem CMS ein Kommunikationssystem zu bauen, begannen bald, bedenklich zu knirschen.

Die Probleme mit Twitter wurden und werden in der Internet-Fachwelt lang und breit diskutiert. Die Technologie war ursprünglich mit Hilfe des in Web 2.0-Kreisen populären "Ruby on Rails"-Entwicklungssystems erstellt worden, das als besonders leistungsfähig in Sachen Programmierbarkeit gilt. Der Ruf, was das Verhalten unter Last anbetrifft, ist allerdings schlechter: Die Datenbank-Anbindung gilt als zu langsam – Twitter deshalb inzwischen als oft herumgereichtes Musterbeispiel. Probleme bereitete dem Dienst außerdem die ursprüngliche Datenbankstruktur mit der Open-Source-Lösung MySQL, die in der Ursprungsform nicht optimiert war, ein derart komplexes, schnelllebiges Netzwerk an Nutzern zu bewältigen, die den Nachrichten Tausender anderer User folgen.

Die Reaktion des Twitter-Teams auf die Probleme war für die Nutzer eher unangenehm: So schaltete man Funktionen wie die Nutzung des Dienstes über Instant Messaging ab (zum Teil über Wochen) oder deaktivierte die Möglichkeit, auf Nachrichten zu antworten, was die Kommunikation untereinander deutlich störte. Die Firma veränderte außerdem mehrfach und eher undurchschaubar die Zugriffsmöglichkeiten, über die externe Anwendungen Twitter-Daten abfragen dürften. Diese Beschränkungen der Programmierschnittstelle (API) nervte die Entwickler, die dem Dienst seit langem die Stange halten.

Doch nach zwei besonders schlimmen Monaten im Mai und im Juni, in denen die Probleme besonders häufig vorkamen und über lange Perioden vorhielten, scheint sich in letzter Zeit etwas zu tun. Dank frischem Risikokapital, neu eingestellten Ingenieuren und dem Aufkauf einer gut funktionierenden, externen Twitter-Suchmaschine (etwas, was Twitter selbst nie recht hinbekam) gewinnt das Unternehmen Vertrauen zurück. "Wir überlegen derzeit, ob wir mit unserer Entwicklung für Twitter weitermachen sollen", sagt Brian Breslin, Firmenchef von Infinimedia, einer Firma, die vor wenigen Monaten aufgrund der Probleme bei Twitter die Programmierung seiner populären Twitbin-Erweiterung für den Browser Firefox eingestellt hatte. "Ich denke, die Firma unternimmt die richtigen Schritte und geht dabei auch sinnvollerweise vorsichtig vor."

Doch auch jetzt noch kommen Ausfälle vor, die durch kurzfristige Lösungen behoben werden müssen. Erst kürzlich war Twitter mehrere Stunden nicht mehr erreichbar, weil es "ungeplante Wartungsarbeiten" geben musste. Auf längere Sicht soll deshalb nun "das gesamte existierende System Komponente für Komponente ausgetauscht werden – mit einer Software, die vollständig neu entwickelt wird", wie Twitter-Ingenieur Alex Payne sagt.

Die Abhängigkeit von Ruby on Rails soll ebenfalls verringert werden. "Wir werden zu einem einfacheren, eleganteren, dateibasierten Ansatz wechseln", sagt Payne. Die schwierig zu handhabende Datenbank sei hoffentlich bald Vergangenheit. "Wir werden zwar nicht ganz von vorne beginnen", sagt Stone, "doch wir experimentieren mit unterschiedlichen Ansätzen. Bereits jetzt haben wir uns in einigen Bereichen weit von der alten Datenbank entfernt".

Der erwähnte Aufkauf der Twitter-Suchmaschine, Summize genannt, gibt dem Dienst neue Filter-Funktionen, die es bis dato nicht gab. Fünf Ingenieure wechseln von dem einst unabhängigen Anbieter zu Twitter. "Die sind für uns von unschätzbarem Wert, was unsere Bemühungen um eine bessere Verlässlichkeit und Stabilität anbetrifft", sagt Stone. Die große Frage ist allerdings, ob all diese Neuerungen ausreichen, um mit der weiter wachsenden Nachfrage mitzuhalten.

Eran Hammer-Lahav, aktuell Evangelist für offene Standards bei Yahoo, kennt die Probleme, hat selbst an solchen Systemen gearbeitet, als er einen eigenen Microblogging-Dienst namens Nouncer aufsetzen wollte. Twitter sei in der wenig beneidenswerten Lage für ein Start-up, einen Kommunikationsdienst anzubieten, der hohe Ansprüche an die Verlässlichkeit stelle, ohne tatsächlich zu wissen, wie stark die Nutzernachfrage tatsächlich werde. "Twitter kontrolliert das Produkt nicht, die Leute, die es benutzen, kontrollieren es. Die Frage ist nicht, wie man einen Microblogging-Dienst theoretisch skalieren kann. Die Frage ist, wie man einen Microblogging-Dienst auf das Maß skalieren kann, wie es die Twitter-Nutzer brauchen."

Stone will deshalb die Infrastruktur so aufbauen, dass sie sich für diese Ungewissheit als flexibel genug erweist. "Das können wir erreichen, in dem wir all die kleinen Teile identifizieren, die das Ganze bilden." Damit könne Twitter auch auf neue Herausforderungen reagieren: "Ich stelle mir einen Schwarm von Vögeln vor, die sich um ein Objekt bewegen und von einer Sekunde auf die andere ihre Flugrichtung wechseln."

Twitter hat das große Glück, dass all die Probleme bislang kaum negative Einflüsse auf das Wachstum des Dienstes hatten. Er ist beliebt wie eh und je. Laut dem Twitter-Statistikdienst Twitdir versorgt die Firma bereits mehr als zwei Millionen Nutzer. Auch die Besuche auf der Twitter-Website nehmen in den letzten Monaten stark zu, wie die Web-Marktforscher von Hitwise festgestellt haben. "Die Leute sind mit Twitter inzwischen so verflochten, dass sie mit den Problemen klarkommen müssen", meint Entwickler Breslin. (bsc)