Auf die Nanowaage gelegt

Forscher aus Berkeley haben aus einer Kohlenstoff-Nanoröhre einen ultra-empfindlichen Sensor konstruiert, der erstmals bei Zimmertemperatur einzelne Atome wiegt

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Katherine Bourzac
  • Niels Boeing

Einer der Grundgedanken der Nanotechnik ist, technische Konzepte aus der Makrowelt auf atomare Dimensionen zu verkleinern. Dazu gehören auch Sensoren, die die Masse kleinster Stoffmengen bestimmen und diese damit identifizieren können – im Idealfall sogar für einzelne Moleküle oder Atome. Eine solche „Nanowaage“ hat jetzt die Gruppe von Alex Zettl an der Universität Berkeley vorgestellt.

Sie besteht aus einer Kohlenstoff-Nanoröhre (Nanotube) und kann nach Angaben der Forscher einzelne Goldatome wiegen. Bisher habe man für winzige Massen bei sehr tiefen Temperaturen operieren müssen, um das thermische Rauschen herausfiltern zu können, sagt Zettl. „Wir haben jetzt erstmal eine Einzelatom-Auflösung bei Zimmertemperatur geschafft!“

Die Nanowaage ist ein typisches Beispiel für das neue Anwendungsgebiet der Nanoelektromechanischen Systeme (NEMS). Das Konzept ist einfach: Eine doppelwandige Nanoröhre wird am einen Ende in der negativen Elektrode verankert. Gegenüber dem freiliegenden Ende befindet sich die zweite, positive Elektrode. Wird an beide Elektroden eine Gleichstrom-Spannung aus einer Batterie angelegt, fließen Elektronen von der negativen Elektrode zur freien Spitze der Nanotube und springen von dort zur positiven Elektrode.

Wird die Röhre zusätzlich Radiowellen ausgesetzt, versetzt die Magnetfeldkomponente der Wellen die Nanoröhre in Schwingungen. Der gemessene Strom variiert dann in Abhängigkeit von der Frequenz der Schwingungen. Tunet man nun die Frequenz der Radiowellen auf die Resonanzfrequenz der Röhre, schwingt die besonders heftig – und in diesem Fall fällt die Stromstärke auf ein Minimum.

Sobald sich ein einzelnes Goldatom an die Nanotube anlagert, verändert sich deren Resonanzfrequenz. Zettl vergleicht den Effekt mit einem Sprungbrett im Schwimmbad. Wenn ein Schwimmer vor dem Sprung in die Knie geht und Schwung holt, federt das Brett mit, allerdings recht träge. Unmittelbar nach dem Sprung, wenn die Masse des Schwimmers das Brett verlassen hat, schwingt es hingegen viel schneller. Derselbe Effekt tritt auch bei der Nanowaage auf: Die Resonanzfrequenz der Röhre sinkt unter dem Gewicht des Goldatoms. Die Folge: Weil die Resonanzfrequenz und die Frequenz der Radiowelle nicht mehr übereinstimmen, erhöht sich die Stromstärke wieder. Diese Veränderung lasse sich mit einer hinreichend empfindlichen Elektronik genau bestimmen, so Zettl – und aus ihr kann dann die Masse des Goldatoms errechnet werden. Die beträgt 3.25 x 10-25 Kilogramm, die Empfindlichkeit der Anordnung ist nach Angaben der Forscher sogar noch geringer: etwa 40 Prozent der Atommasse von Gold.

Die Nanowaage ist damit eine clevere Anwendung des "Nanoradios", das Zettl und seine Kollegen im Oktober 2007 vorgestellt hatten. Die Anordnung aus Nanoröhre und Elektroden ist die gleiche. Um es als Radio zu benutzen, hatten die Berkeley-Forscher einen Lautsprecher dazu geschaltet. Nach erfolgreichem Tuning von Radiowellen auf die Resonanzfrequenz der Röhre ertönte plötzlich der Beach-Boys-Song „Good Vibrations“ – bei anderen Frequenzen hingegen nur das bekannte Radiorauschen, wie die Forscher in einem Video dokumentierten. Diesen Effekt nutzen sie auch in der Nanowaage: „Wir spielen das Nanoradio und bewerfen es mit Atomen. Die können wir dann gewissermaßen hören“, flachst Zettl.

Goldatome habe man nur als „Proof of Principle“ gewählt. Als nächstes wollen er und seine Kollegen mit dem System auch komplexere Moleküle wie Proteine nachweisen. Langfristig könnte die Nanowaage eingesetzt werden, um winzige Spuren von B-Waffen-Agenzien aufzuspüren, oder zur Heimdiagnose an ungefilterten Blutproben.

Micheal Roukes, Nanoforscher und Biophysiker am California Institute of Technology, beurteilt die Arbeit von Zettls Gruppe allerdings skeptisch. Es sei zwar richtig, dass Nanotubes hervorragende Massesensoren seien. Nachdem er die Daten von Zettls Gruppe – veröffentlicht in Nature Nanotechnology – durchgesehen hat, glaubt er aber, dass die Forscher ihre Messergebnisse nicht korrekt interpretiert hätten. „Sie haben noch nicht die Auflösung erreicht, um einzelne Atome nachzuweisen.“ Vielmehr habe sich auf den Röhren ein ganzer Haufen von Goldatomen angelagert. Die Tatsache, dass Nanotube-Sensoren bei Zimmertemperatur betrieben werden können, sei jedoch viel versprechend.

Zettls Mitarbeiter und Co-Autor Kenneth Jensen sieht noch weitere Vorteile. Im Unterschied zur Massenspektrometrie müssten die Proben vor der Messung nicht ionisiert werden, was etwa Proteine zerstören könne. Zudem nehme die Empfindlichkeit mit größeren Probemassen zu, so dass sich die Nanowaage gerade auch für Riesenmoleküle wie DNS-Stränge eigne. Und: „Unser System ist so klein, dass man es auf einen Chip packen kann.“

Mehr zu Nanoelektromechanischen Systemen (NEMS):
NEMS für MEMS", TR-Interview mit Alex Zettl.
(nbo)