Mit Marihuana-Extrakten gegen den "Superbug"

Ein Bestandteil von Cannabispflanzen zerstört im Labor multiresistente MRSA-Bakterien - ganz ohne High.

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Von
  • Nora Schultz

Substanzen, die sich aus Cannabispflanzen gewinnen lassen, könnten womöglich bald konventionelle Antibiotika beim Kampf gegen multiresistente Bakterien unterstützen. Die so genannten Cannabinoide scheinen sich an den Mechanismen wenig zu stören, die gefährliche "Superbugs" wie MRSA nutzen, um aktuelle Gegenmittel zu umgehen. Forscher aus Italien und dem Vereinigten Königreich glauben, dass so beispielsweise eine auf Cannabis-Extrakten basierende Creme zur Behandlung schwerer Hautinfektionen genutzt werden könnte.

Die antibakteriellen Eigenschaften der Cannabis-Pflanze sind schon lange bekannt und wurden in den Fünfzigerjahren bereits für die Behandlung von Tuberkulose und anderer schwerer Krankheiten erwogen. Die Nutzung von Cannabinoiden als Antibiotika-Ersatz kam bislang allerdings noch nicht weit, weil nicht genug über die aktiven Inhaltsstoffe der Pflanze bekannt war. Ihr Ruf als weiche Droge half ebenso wenig.

Giovanni Appendino von der Universität Piemonte Orientale und Simon Gibbons von der Hochschule für Pharmakologie der University of London haben sich die alten antibakteriellen Kräfte von Marihuana nun nochmals angesehen und seine Fähigkeiten als MRSA-Killer systematisch untersucht.

MRSA ist die Abkürzung von Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus-Stämmen. Diese Bakterien können schwer zu behandelnde Infektionen hervorrufen, die auf viele Antibiotika nicht mehr ansprechen. Viele gesunde Menschen tragen S. aureus auf ihrer Haut, doch es kommt zu Problemen, wenn multiresistente Stämme Personen mit einem schwachen Immunsystem infizieren, was üblicherweise durch offene Wunden geschieht. Im schlimmsten Fall verbreitet sich das Bakterium dann durch den ganzen Körper und erzeugt lebensbedrohliche Infektionen.

Doch es kommt noch schlimmer: Die Resistenzen von MRSA und anderen Superbugs nehmen rapide zu. Gegen einige Stämme kann nicht einmal mehr Vancomycin etwas ausrichten, ein enorm starkes Antibiotikum, das normalerweise als letzter Notnagel gilt, wenn nichts anderes mehr hilft.

Im Labor stellten Appendino und Gibbons nun aber fest, dass Extrakte von fünf wichtigen Cannabinoiden in Bakterienkulturen von sechs MRSA-Stämmen ähnlich wirkten wie bislang Vancomycin und andere Antibiotika. Die Abtötungswirkung war mindestens genauso effektiv.

"Die Cannabinoide zeigten sogar eine herausragende Aktivität gegenüber dem MRSA-Stamm, der besonders große Mengen von Proteinen produziert, die ihnen eine Resistenz gegen viele Antibiotika verleihen", sagt Gibbons. Diese Proteine, erklärt er, erlauben es den Bakterien, unerwünschte Stoffe aus dem Inneren der Zelle "aufzusaugen und dann einfach wieder auszuspucken".

Praktischerweise erwiesen sich von den fünf Cannabinoiden, die die Forscher untersuchten, zwei als besonders stark, die nicht psychoaktiv sind. Ein High bekommt man von ihnen also nicht. "Das heißt, dass wir billige Hanfpflanzen verwenden könnten, die eigentlich zur Faserproduktion eingesetzt werden und nicht für die Herstellung weicher Drogen dienen können."

Um herauszufinden, wie die Cannabinoide MRSA abtöten, manipulierte das Forscherteam verschiedene chemische Gruppen innerhalb des Wirkstoffes. Die meisten Veränderungen beeinflussten die antibakterielle Wirkung nicht, der Rest schien nur zu steuern, wie gut das Cannabinoid von der Bakterienzelle aufgenommen wird.

"Alles deutet darauf hin, dass diese Wirkstoffe von der Pflanze entwickelt wurden, um selbst eine Verteidigungswirkung gegenüber Bakterienzellen zu haben", meint Gibbons. Der Mechanismus, mit dem das funktioniert, bleibt jedoch zunächst ein Rätsel. "Wir testeten, ob die Cannabinoide gewöhnliche Angriffspunkte von Antibiotika nutzen, etwa die Fettsäuresynthese oder die DNA-Gyrase, doch das tun sie nicht." Ihre starke Wirkung als Bakterienkiller weise aber auf einen sehr spezifischen Mechanismus hin. "Wo der liegt, vermögen wir derzeit noch nicht zu sagen."

Appendino und Gibbons meinen aber, dass sich die untersuchten Cannabinoide schnell zu Behandlungsverfahren gegen Hautinfektionen umsetzen lassen, so lange nur nicht psychoaktive Varianten verwendet werden. "Die praktischste Anwendung wäre wohl die Behandlung von Geschwüren und Wunden in Krankenhäusern durch ein Auftragen, um Antibiotika zu entlasten", meint Appendino. Ob die Cannabinoide auch in Form von Injektionen oder Pillen verwendet werden können, ist unklar; Blutwasser könnte ihre Wirkung außer Kraft setzen.

Frank Bowling von der University of Manchester, der MRSA-infizierte Wunden erfolgreich mit alternativen Methoden wie Maden behandelt hat, hält ein solches Behandlungsverfahren für sehr begrüßenswert. "Alles was MRSA von der Wunde nimmt und die Verbreitung im Körper unterbindet wäre fantastisch. Die Vorzüge gegenüber Antibiotika mit starken Nebenwirkungen, gegen die bereits Resistenzen gebildet werden, wären groß." Noch müssten Appendino und Gibbons aber demonstrieren, dass die Cannabinoide auch sicher sind. Appendino sieht das nicht als Problem an: Das Aufbringen von Cannabiswirkstoffen auf der Haut habe in der europäischen Medizin eine lange Tradition. Allergien seien nicht bekannt.

Mark Rogerson von der britischen Pharmafirma GW, die Cannabinoid-basierte Wirkstoffe entwickelt, die gegen starke Schmerzen bei MS oder Krebs helfen sollen, sieht in der Entdeckung einen weiteren Beweis dafür, wie breit Cannabis-Produkte in der Medizin angewendet werden könnten. "Eine solche Pflanze ist fast schon eine Mini-Pharmaindustrie." Bestehende Medikamente könnten aber wohl nicht zur Behandlung von MRSA verwendet werden, weil Formel und Dosierung der dort verwendeten Cannabinoide wahrscheinlich nicht passten.

Appendino und Gibbons haben noch eine weitere Idee: Sie glauben, dass der antibakterielle Effekt auch zur Konservierung von Kosmetika und Toilettenartikeln verwendet werden könnte. "Derzeit nutzt man hier besonders gerne Paraben oder chlorierte Phenole, wenn man auf Nummer sicher gehen will", sagt Appendino. Die Substanzen seien aber nicht sonderlich umweltfreundlich und stünden unter dem Verdacht, hormonell zu wirken. Da alle wichtigen Cannabinoide ähnlich gut wirken, müssten die einzelnen Substanzen nicht einmal sauber getrennt werden. Teilgereinigtes Cannabinoid-Mixturen aus nicht psychoaktiven Pflanzen könnten somit zu billigen und leicht verwendbaren Alternativen chemischer Konservierungsstoffe werden, hoffen Appendino und Gibbons. (bsc)