"Der böse Samurai ist schon tot, ohne es zu merken"

Der frischgekürte Japan-Preisträger Dennis Meadows über die Illusion kurzfristiger Krisenmaßnahmen, die Parallelkrise des Produktivkapitals, zwei Szenarien …

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Von
  • Martin Kölling

Dennis Meadows, 66, hat 1972 im Auftrag des Club of Rome die Studie „Grenzen des Wachstums“ erstellt, die in 38 Sprachen übersetzt und zig millionenfach verkauft wurde. In seinem Report sagte er voraus, dass die Grenzen des Wachstums in den nächsten 100 Jahren erreicht würden, wenn das Wachstum von Bevölkerung, Industrialisierung und der Umweltverschmutzung anhält. Als Alternative zum Kollaps suggerierte Meadows, dass nachhaltiges Wachstum möglich sei. Für seine Verdienste erhielt Meadows am gestrigen Donnerstag den hoch dotierten Japan-Preis der Stiftung für Wissenschaft und Technik. Vor seiner Preisverleihung nutzte Meadows, Professor Emeritus der University of New Hampshire, im Foreign Correspondent's Club of Japan die Gelegenheit, zur aktuellen Wirtschaftskrise und der kommenden Krise nicht nachhaltigen Wachstums Stellung zu beziehen.

Seine These: Wir stehen vor der Herausforderung, zwei historische Krisen auf einmal zu bewältigen. Erstens wird die Phase des Hochwachstums von einer harten und langen Phase des Abbaus von Produktionsüberkapazitäten abgelöst. Zweitens müssen wir gleichzeitig die Gesellschaften auf eine nachhaltige Entwicklung umstellen, wenn wir die Folgen noch einigermaßen kontrollieren wollen. Leicht redigiert zeichnet TR Online seine Rede und seine Antworten auf Journalistenfragen auf.

Die Welt ist weniger nachhaltig als 1972

Ich beneide meinen Freund David Kuhl, den anderen Träger des Japan-Preises. In seiner Arbeit kann er Tag für Tag Fortschritt verzeichnen. Für mich gilt das Gegenteil, für mich ist die Geschichte seit 1972 rückwärts gelaufen. Die Welt ist weniger nachhaltig, als sie es damals war. Es ist unbefriedigend, eine theoretisch nachhaltige Gesellschaft aufzuzeigen, wenn du siehst, dass die reale Gesellschaft weiterhin einer falschen Politik folgt. Erst mit der Krise gibt es wieder vermehrt Interesse, und mehr Leute sagen, dass Meadows und seine Leute letztlich doch recht hatten. Aber wie ich gleich erklären werde, hat die jetzige Situation sehr wenig mit Grenzen des Wachstums zu tun. Die jetzige Krise ist sehr viel stärker verbunden mit dem Kondratjew-Zyklus, der von einer 50 bis 80 Jahre langen Wachstumswelle ausgeht. Es gibt eine Verbindung, die ist aber nicht groß.

Ich trage also immer noch die gleiche Botschaft vor und kriege daher die gleichen Fragen. Zum Beispiel: Wie sieht eine nachhaltige Gesellschaft aus? Meines Erachtens kommt die Edo-Periode in Japan [1603 bis 1668] einer nachhaltigen Gesellschaft sehr nahe. Für etwa 250 Jahre hatte eine belesene, verfeinerte Gesellschaft, eine mehr oder weniger stabile Bevölkerung und eine mehr oder weniger stabile Wirtschaft Bestand. Die Gesellschaft war auf erneuerbaren Energiequellen aufgebaut und sie war friedlich. Natürlich war die Lage damals grundsätzlich verschieden von der heutigen, als dass wir die Faktoren einfach übertragen könnten. Aber es gibt einige nützliche Lektionen. Ich bin ein Experte, denn ich habe viele Samurai-Romane gelesen und viele Samurai-Filme gesehen.

Es gibt da eine Szene, die in Samurai-Filmen immer wiederkehrt. Ich werde sie kurz schildern, weil sie für uns heute eine wichtige Botschaft bereit hält. Ein Samurai-Film handelt über die Interaktion zwischen einem guten und einem bösen Samurai, die zum Höhepunkt, der Schlacht, führt. Kurz vor Ende des Films stehen sich unausweichlich der gute und der böse Samurai gegenüber und liefern sich für etwa 30 Sekunden einen fürchterlichen Kampf. Die Schwerter fliegen so schnell, dass man gar nicht sieht, was passiert. Dann treten die Kämpfer zurück und starren sich finster an. Normalerweise blutet der gute Samurai, so dass man denkt, hoffentlich überlebt der arme Kerl. Doch dann fällt der böse Samurai tot um. Denn in der Schlacht ist er tödlich verwundet worden, und war schon tot, als er starrte, ohne es allerdings zu merken.

Das ist unsere Lage heute: Es gibt eine Menge starrende Riesen rund um die Welt – und sie wissen noch nicht, dass sie tot sind. Die großen Autohersteller, die Verbrennungsmotoren produzieren – sind tot. Sie brauchen noch einige Zeit, um umzukippen, aber sie sind vergangen. Die jungen MBA-Studenten, die 100 Millionen US-Dollar verdienen, nach dem sie aus der Schule gekommen sind – das ist erledigt und kommt zu unseren Lebzeiten nicht wieder. Aber sie versuchen verzweifelt, das System wieder in Form zu bringen und es wie eine lebendige Alternative aussehen zu lassen. Ich kann immer weiter reden, stabiles Klima, die Vorstellung, dass alle Armen so reich wie wir werden können – dies sind tote Konzepte. Wir geben für sie immer noch Lippenkenntnisse ab und gerade Milliarden an US-Dollars aus. Denn unsere derzeitige Führung ist aus den Giganten hervorgegangen und will nicht anerkennen, dass die Konzepte nicht mehr relevant sind.

Aber sie sind es nicht. Daher müssen wir uns nach etwas anderem umschauen. Und wir müssen es recht rasch finden. Die Veränderungen, die es in Japan in den letzten 150 Jahren gegeben hat, werden kleiner sein, als die in den nächsten 20, vielleicht 25 Jahren. Ich kann Ihnen nicht genau sagen, wie es in 25 Jahren aussehen wird. Aber ich weiß, dass die Bedingungen sich enorm von den heutigen unterscheiden werden. Alle Länder bewegen sich nun in eine Zeit phänomenalen Wandels. Die Politiker behandeln die jetzige Wirtschaftskrise, als ob sie nur ein Zwischenspiel sei. Und sie legen nahe, dass wir zur alten Lage zurückkehren können, wenn wir nur genug Geld ins System pumpen und die toxischen Vermögenswerte aus dem System ziehen. Aber das ist Fantasie. Dies sind erst die Anfangsstadien des Wandels – und es wird noch heftiger werden. Wir sind wirklich noch in einer friedlichen Periode. Die Banken sind immer noch in der Lage, ihre Bücher stark genug zu kochen, um kleine Gewinne vorzuweisen. Aber das wird sich ändern.

Unglücklicherweise kann ich mich nicht rühmen, die jetzige Periode vorhergesehen zu haben. Denn diese Periode kommt von einem anderen Phänomen als den Grenzen des Wachstums, nämlich der Selbstordnung von Produktivkapital oder dem Kondratjew-Zyklus. Als globale Gesellschaft haben wir mehr Produktionskapazitäten für Autos, Flugzeuge und Häuser aufgebaut als wir benutzen können. Wir haben die Schuldenblase geschaffen, um den Konsum noch für fünf bis zehn Jahre zu verlängern. Aber sie ist nun kollabiert, und wir finden uns jetzt in einer Zeit, die wenigstens einige Dekaden dauern wird, in der wir die Überschusskapazitäten abbauen müssen.

In der Vergangenheit gaben diese Phasen des Kondratjew-Zyklus Anstoß zur Entwicklung neuer Technologien. Und wir können hoffen, dass wir die Zeit nutzen können, um in eine andere Richtung aufzubrechen. Wir brauchen erneuerbare Energien, drastische Mittel zum Energie-Sparen, und mehr noch, wir müssen wirklich anfangen, an den psychologischen und gesellschaftlichen Aspekten einer nachhaltigen Gesellschaft zu arbeiten. Technik löst die Probleme nicht, sondern verschafft intelligent angestellt nur ein bisschen Zeit, um die wichtigen Punkte zu behandeln.

1972 war unser Ziel, die Entwicklung zu verlangsamen. Nach einigen Indikatoren lag die damalige Gesellschaft bei 80 bis 85 Prozent, was nachhaltig war. Es gab noch Raum, um zu bremsen und die Kapazität des Planeten nicht zu überschreiten. Nun sind wir bei 135 bis 140 Prozent und die Wachstumsrate beschleunigt sich. Das Ziel ist daher nicht mehr, zu bremsen, sondern zu reduzieren. Das ist theoretisch möglich, aber in der Praxis wird es enorm schwer werden. Denn es konfrontiert uns mit vielen Problemen, bei denen wir kurzfristig Opfer bringen müssen, um langfristig Vorteile zu erhalten. Und das war noch nie ein besonders populäres politisches Programm.

Wir befinden uns derzeit in einer langfristigen Übergangsphase. Wir werden dadurch kommen, auf die eine oder andere Weise. Wenn wir es schaffen, zu wählen, und Glück haben, kommen wir durch mit intakten Grundwerten. Wenn wir nicht vorausschauen und kein Glück haben, wird es wirklich eine schreckliche Zeit. Wir bevorzugen das erste. Doch das erfordert eine langfristige Sichtweise. Meine Aufgabe ist, dies zu propagieren. Dafür werde ich meine fünf Minuten Ruhm nutzen, die mir diese Preisverleihung gewährt.

Auf Seite 2: Meadows zu "grünen" Konjunkturhoffnungen, der Krise des Produktivkapitals und dem Problem des Wohlstands.

Kurzfristige Krisenkosmetik

Frage: In den letzten Wochen hat sich die Gemütslage der Investoren geändert. Sie sind wieder positiver, und es braucht schon sehr schlechte Nachrichten, um die Aktienpreise zu drücken, während kleine gute Botschaften enorme Wirkung entfalten. Wie beurteilen Sie dieses Verhalten? Gibt es grüne Konjunktursprossen?

Meadows: Ich bin in Rente. Daher habe ich ein großes Interesse, weil ich mein Einkommen aus Investitionen erziele. Und ich habe festgestellt, dass die kurzfristigen Bewegungen am Markt aber auch gar nichts mit den langfristigen Problemen zu tun haben. Die Märkte werden für eine Reihe von politischen und finanziellen Zwecken manipuliert, die kurzfristig Erfolg abwerfen können. Langfristig verschwindet die Fantasie, und wir werden die Realität sehen. Aber bis dahin können Sie pleite oder reich sein.

Nun zu den grünen Sprossen. Ich glaube, die Zeichen der Stabilisierung kommen grundsätzlich von Politikern, hauptsächlich Präsident Barack Obama und seinem Stab, die entschieden haben, dass zu erzählen, wie schlecht die Dinge liegen, keinem nützlichem Zweck dient. Daher haben sie begonnen, darüber zu reden, wie gut die Lage ist. Es gibt eine Reihe von Mechanismen wie Investitionsauflagen für Hedgefonds, die greifen und sich tragen. Es ist ein reales Phänomen, weil die Menschen damit Geld verdienen oder verlieren. Aber es hat nichts mit der realen Entwicklung auf unserem Planeten zu tun.

Nicht nur eine Schuldenkrise, sondern auch eine des Produktivkapitals

Frage: Bitte erklären Sie Ihre Sichtweise von Kondratjew-Zyklen.

Meadows: Nikolai Kondratjew war ein sowjetischer Ökonom aus den 1920er Jahren. Er hat eine 50 bis 80 Jahre lange Welle aus Boom und Kollaps identifiziert. Er hat das Konzept allerdings nicht gut beschrieben. Ich habe eine andere Vorstellung, die ich Mitte der 1980er Jahre in einem Artikel veröffentlicht habe. Sie können sogar ein Spiel spielen, dass die Welle reproduziert. Die grundsätzliche Idee ist die Selbstordnung von Produktivkapital. In unserer Gesellschaft besteht das Produktivkapital aus Stahlwerken, Autos, Computern, Gebäuden und so weiter. Zur Vereinfachung konzentriere ich mich mal auf Stahlwerke. Die Leute werden reicher und wollen mehr Autos. Sie kaufen mehr, die Autohersteller wollen ihre Kapazitäten ausbauen und bestellen mehr Stahl. Die Stahlwerke bauen daher ihre Produktion aus. Dies beschäftigt mehr Menschen, die wiederum mehr Autos kaufen. Und dieser sich selbst verstärkende Kreislauf wächst, bis die Gesellschaft letztlich gesättigt ist. An diesem Punkt haben Sie allerdings gewaltig überinvestiert. Und an diesem Punkt sind wir jetzt.

Wir müssen daher das Produktivkapital auf irgendeine Art und Weise abarbeiten. Das letzte Mal, nach der Großen Depression, haben wir es durch den zweiten Weltkrieg gemacht. Das war ein enorm effizienter Weg, jede Menge Produktivkapital loszuwerden. Ich bin jetzt vielleicht ein wenig sarkastisch, aber in der Sache genau. Wir hoffen, dass wir diesmal einen friedlicheren und schnelleren Weg finden werden.

Die Subprime-Krise ist eine Kleinigkeit auf dieser Kurve, eine Ablenkung. In den frühen 90er Jahren, bevor die Schuldenkrise abhob, haben wir bereits das Ende unserer Kapazität erreicht, all die Produktion zu konsumieren. In dem wir jeden sich Geld leihen ließen, konnten wir das Wachstum für ein weiteres Jahrzehnt aufrecht erhalten. Doch nun ist auch diese Phase beendet. Wir sind mit der Schuldenkrise beschäftigt, wir sprechen nicht soviel über die zugrunde liegenden Überkapazitäten. Aber sie sind da. Das ist wie ein Krebspatient, der sich vor allem um seine Kopfschmerzen kümmert. Es ist ein interessanter Punkt, aber er hat keinen Zusammenhang mit den zugrunde liegenden Problemen.

Die falsche Definition von Wohlstand

Frage: In einem Ihrer Szenarien sprechen Sie davon, dass wir Wohlstand aufgeben müssen. Die Politiker versprechen uns jedoch, durch grüne Politik mehr Wohlstand zu schaffen. Was halten Sie davon?

Meadows: Das Problem ist nicht, dass wir mehr Wohlstand wollen. Das Problem ist, dass wir Wohlstand durch materiellen Besitz definieren. Es gab Gesellschaften und Menschen, die dachten, ihnen ginge es besser nicht nur durch mehr Güter, sondern durch den Erwerb von Weisheit, Verständnis, mehr Freunden oder besserer Gesundheit. In diesem Fall können wir fast unbegrenzt reicher werden. Nur wenn wir Autos wollen, größere Häuser oder nach Hawaii in den Urlaub fliegen wollen, gibt es einen Widerspruch.

Sie weisen allerdings auf einen wichtigen Punkt hin: Politiker versuchen heute, die Probleme mit einer Politik zu lösen, die die Probleme verursacht haben. Das wird nicht funktionieren. Es ist leider einer dieser toten Samurai. Es ist eine interessante Frage, wie lange wir brauchen, bis wir verstehen werden, dass wir in eine andere Richtung gehen müssen, anstatt das Finanzsystem oder die Konsumgüterindustrie wieder zu errichten. Ich befürchte, dass die wohlhabenden Gesellschaft den Großteil ihrer Ressourcen aufgebraucht haben werden, bevor wir das richtige Verständnis gewinnen. Wir können ein paar Billionen Dollar drucken, aber wir können nicht zig Billionen Dollar drucken, ohne enorme Folgen für unsere Volkswirtschaften zu erleiden.

Auf Seite 3: Meadows zu Festungsgesellschaft vs. Ökotopia und der Möglichkeit des Zusammenbruchs.

Festungsgesellschaft vs. Ökotopia

Frage: Wie wird die Welt in 25 Jahren aussehen, wenn wir die richtige oder die falsche Wahl treffen?

Meadows: Um mir diese Frage zu beantworten, lese ich viele Geschichtsbücher. Meine eigene Arbeit gibt mir da nicht viele Einsichten. Ich kenne die Probleme, aber ich weiß nicht, wie die Zukunft aussehen wird. Eine Möglichkeit ist die Festungsgesellschaft. In der gibt es eine kleine Anzahl von reichen und mächtigen Menschen und Einrichtungen, die sehr hart daran arbeiten, ihren Status zu erhalten. Wenn sie Erfolg haben, können sie ihren Status eine Zeit lang aufrecht erhalten, während der Großteil der Gesellschaft absackt. Letztes Jahr hatten die 500 reichsten Menschen mehr Einkommen als die ärmsten 400 Millionen.

In einer anderen Option, locker als Ökotopia bezeichnet, kommen die Menschen auf regionaler Basis zusammen und beginnen soziale Netzwerke zu formen, mit geteilter Verantwortung und Vision. In dieser Gesellschaft ist der materielle Wohlstand niedriger, aber der spirituelle Lebensstandard höher. Aber es gibt viele andere Möglichkeiten.

Die Wild Card in all dem ist allerdings der Klimawandel. Egal, ob Sie in einer Festungsgesellschaft oder im Ökotopia lebst, Sie brauchen zu essen. Und durch die Klimaveränderungen werden wichtige Anbauregionen wahrscheinlich weniger produktiv. Es ist wahrscheinlich, dass einige heute nicht so produktive Regionen mehr abwerfen werden. Aber dafür gibt es absolut keine Garantie. Der Klimawandel führt einige wichtige Unsicherheiten in die Gleichung ein, die die Wissenschaft noch nicht voll versteht. Die Wissenschaft kann eine Umschlagpunkte und Rückkopplungen identifizieren. Aber es ist wie ein Erdbeben. Wir wissen einfach nicht, wann es kommt.

Die Möglichkeit des Zusammenbruchs

Frage: Das Buch „Kollaps: Warum Gesellschaften überleben oder untergehen“ vom amerikanischen Geografie-Professor Jared Diamond stellt Japans Tokugawa-Herrschaft in der Edo-Zeit ebenfalls als Vorbild hin. Sie haben gesagt, dass wir unser Verhalten ändern müssen. Die Antwort der Militärregierung der Tokugawa-Herrscher war eine autoritäre, auf Befehlsgewalt aufgebaute, dirigistische Gesellschaft ohne Raum für individuelle Autonomie und persönliche Freiheit, mit einer äußerst rigiden Klassenstruktur. Das ist ein ziemlich extremer Weg, Stabilität zu wahren. Haben Sie vielleicht irgendwelche Ideen parat, welche Systeme uns ermöglichen würden, die richtige Wahl zum Aufbau einer nachhaltigen Gesellschaft zu treffen, etwas, was uns derzeit mit unseren bestehenden Institutionen nicht zu gelingen scheint?

Meadows: Jared Diamonds Buch ist sehr interessant. Es war – wenigstens für ein paar Monate – ein sehr wichtiges Buch in den USA. Denn es rief für einen Moment in Erinnerung, dass der Zusammenbruch eine Möglichkeit ist. Wir denken normalerweise nicht darüber nach. Und jetzt tun wir es wieder nicht. Ich empfehle die Lektüre. Aber er schildert nur, wie einige Gesellschaften kollabiert sind, aber bietet keine Theorie an.

Meine Botschaft: Die Menschen fragen, wenn uns Demokratie und Marktwirtschaft zum Kollaps geführt haben, müssen wir dann Demokratie und Marktwirtschaft aufgeben und nach dem Modell der Sowjetunion oder Tokugawa-Japan greifen, um eine nachhaltige Gesellschaft aufzubauen? Ich weiß nicht, wie die Regierungssysteme aussehen werden. Ich weiß nur, dass sie in den verschiedenen Ländern unterschiedlich aussehen werden. Die kulturellen und wirtschaftlichen Ressourcen Japans bieten dem Land andere Möglichkeiten als Nigeria oder Großbritannien.

Ich glaube nicht, dass das Kontinuum von Demokratie bis Autoritarismus die wichtigste Dimension ist. Die wichtigste Dimension ist Zeithorizont. Wenn es einen kurzsichtigen Diktator gibt, kann der Diktator das Land in kurzer Zeit in den Kollaps führen. Wenn die Demokratie kurzsichtig ist, kann es katastrophal enden. Die Frage ist, welchen Zeitrahmen für die Kosten-Nutzen-Analyse wir anlegen, wenn wir zwischen Handlungsmöglichkeiten wählen. Die meisten unserer Probleme resultieren nicht aus Ignoranz über die langfristigen Folgen, wir verstehen sie gut genug. Sie entstammen der Illusion, dass wir rechtzeitig ein- und aussteigen können, bevor der Schaden eintritt.

Die Beteiligten an der Hypothekenkrise in den USA waren meines Erachtens im großen und ganzen recht gut darüber im Bilde, was passieren würde. Aber sie waren sich sicher, rechtzeitig den Absprung finden zu können. Sie hatten eine kurzfristige Sichtweise, während sie etwas taten, das langfristige Schaden hatte. Politisch müssen wir daher darüber nachdenken, wie wir eine langfristige Perspektive zurück in den Entscheidungsprozess bringen. Bisher waren weder Demokratien noch Diktaturen sehr gut darin.

Auf Seite 4: Meadows zur Instabilität von Wachstum und zur Unmöglichkeit, Nachhaltigkeit aus kurzfristigem Denken oder über das Bruttoinlandsprodukt erreichen zu wollen.

Exponentielles Wachstum ist inhärent instabil

Frage: Könnten Sie uns Ihre Einstellung zur Bedeutung von Wachstum erläutern?

Meadows: Ich habe 1972 eine grundsätzliche Entscheidung getroffen: Verschwende nicht deine Energie damit, auf die Kritiker zu reagieren, sondern arbeite mit den Verständnisvollen. Ich habe mich daher nicht mit der Bedeutung von Wachstum auseinander gesetzt. Das war vielleicht falsch. Aber andere haben es getan, mit größerem Geschick als ich, aber mit weniger Einfluss, als sie sich erwünscht haben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich einen Unterschied gemacht hätte.

Aber Sie haben recht: Wachstum ist zum heiligen Gral geworden. Die Meinung, dass der Markt weise Entscheidungen trifft, ist die Grundlage moderner ökonomischer Theorie. Wenn Sie das wegwerfen, müsste eine Reihe von Nobel-Preisträgern ihre Preise zurückgeben. Und sie wollen das nicht tun, und argumentieren daher viel lieber mit Ihnen. Aber ich dachte naiv, dass es offensichtlich wäre, dass physisches Wachstum nicht ewig auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen weiter gehen könnte. Ich habe mir nicht vorstellen können, dass wir darüber diskutieren müssen. Der Hauptpunkt unseres Buches betraf auch nicht die Grenzen, sondern die Dynamik von Wachstum. Wir haben gezeigt, das exponentielle Expansion bei beschränkten Ressourcen inhärent instabil ist.

Viele Leute argumentieren, dass wenn man die Grenzen erreicht, die Entwicklung abbremsen wird und alles in Ordnung ist. Wir sagen nein. Die jüngste Geschichte mit den Aktien- und Immobilienmärkten zeigt, dass unsere Systeme inhärent instabil sind. Und – auch wenn wir es noch nicht bemerken – unsere Systeme der Energienutzung, unsere Behandlung von landwirtschaftlichen Nutzflächen, unsere Nutzung von Grundwasser sind inhärent instabil. Sie werden uns mit dem gleichen Mechanismen aus Überschuss und Zusammenbruch konfrontieren, dessen Zeuge wir derzeit in den Schuldenmärkten werden.

Außerdem haben wir gesagt, dies würde bald und nicht erst in 300 Jahren passieren. In unserem Buch haben wir vorgesagt, dass das Wachstum um 2010 abschwächen und zwischen 2020 und 2070 den Gipfel erreichen würde. Es passiert. Und es scheint wie beim Klimawandel zu sein. Die Dinge geschehen schneller, als wir erwartet haben.

Nachhaltigkeit hat keine kurzfristige Lösung

Frage: Sie haben gesagt, dass Sie keine Lösungen parat haben. Aber was glauben Sie sollten wir wählen, wenn wir uns auf den rechten Weg begeben wollen?

Meadows: Ich weiß nicht, was die Lösung ist. Aber wir sollten uns auf den Zeithorizont konzentrieren. Nachhaltigkeit hat keine kurzfristige Lösung. Es gibt kein Programm zur Nachhaltigkeit, dass zwischen heute und der nächsten Wahl gut aussieht. Oder das morgen große Gewinne abwirft. Solange wir ein System haben, dass sich vorrangig mit Wahlen und kurzfristigen Gewinnen abgibt, werden wir keine nachhaltige Entwicklung haben. Wir werden uns vielleicht nachhaltig entwickeln, aber es wird uns aufgezwungen werden und sich einer Art entfalten, die wir uns nicht ausgesucht haben.

Es ist faszinierend wie sich der Zeithorizont unserer Gesellschaft verkürzt hat. In den Präsidentschaftswahlen werden die beiden Kandidaten immer interviewt. In den 50er Jahren hatten die Kandidaten in den Sechs-Uhr-Nachrichten drei bis vier Minuten Zeit für ihre Antworten. Nun sind es 15 Sekunden.

Vom Bruttoinlandsprodukt führt kein Weg in die Nachhaltigkeit

Frage: Sprechen wir noch mal über Wachstum und Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit ist ein schlüpfriger Begriff. Einige sagen, eine Gesellschaft könne nachhaltig sein und gleichzeitig ein wachsendes Bruttoinlandsprodukt (BIP) vorzeigen. Einige sagen, man brauche Nullwachstum. Und in Europa gibt es einige, die sagen, die entwickelten Nationen müssten das BIP senken. Welche Verbindung gibt es zwischen Bruttoinlandsprodukt und Nachhaltigkeit?

Meadows: Der überwältigende Reiz des Begriffs Nachhaltigkeit ist, dass niemand weiß, was er bedeutet. Daher kann jeder den Begriff für seine eigenen Ziele nutzen. Aber es gibt eine grundsätzliche Fehleinschätzung. Nachhaltigkeit ist kein Zielort, sondern wie man reist. Es ist ein dynamisches Konzept und wird daher Unterschiedliches in verschiedenen Orten und Zeiten bedeuten. Viele Menschen fragen, ob Atomkraft nachhaltiger als Windkraft ist. Das ist eine unsinnige Frage. Es hängt vom Verhältnis der Gesellschaft zur Technik ab. Es hängt davon ab, wie ich eine Technik nutze, und nicht so sehr von der Technik selbst.

Das BIP ist ein Maßstab aus Flüssen durch die Gesellschaft. Früher maß es vorrangig Güterflüsse, nun stärker Dienstleistungen und Informationen. Ich nutze meine Zeit nicht, das BIP anzugreifen. Denn die meisten Menschen, die sich auskennen, verstehen, dass es nicht für die heutigen Probleme eignet. Der beste Weg, zum BIP beizutragen, ist, so aus dem Fenster zu springen, dass ich nicht sterbe. Wenn ich sterbe, trage ich nicht viel zum BIP bei. Wenn ich mich allerdings so verletze, dass ich mehrere Monate im Krankenhaus liege, trage ich wirklich zum BIP bei.

Es gibt Menschen, die das BIP modifizieren wollen, damit es auch Nachhaltigkeit misst. Aber ich denke: Sobald Sie das BIP als Ausgangspunkt akzeptieren, haben Sie die Diskussion schon verloren. Es gibt keinen Weg, vom BIP auf nachhaltige Entwicklung zu kommen. Man kann das BIP nicht ignorieren, weil es im politischen Prozess so wichtig ist. Aber Sie sind besser beraten, es zur Seite zu legen, und zu überlegen, wie die Gesellschaft nachhaltig werden kann, und dann zu schauen, wie sich das im BIP ausdrückt. BIP ist ein politisches Instrument. Sobald wir wissen, was wir wollen, können wir einen Preis für die Dinge festlegen. Und das BIP steigt, obwohl die Gesellschaft nachhaltig wird. (nbo)