Trickreiche Nanotruhe

Dänische Forscher haben aus DNA-Strängen eine würfelförmige Box konstruiert, deren Deckel sich mit Hilfe molekularer Schlüssel öffnen lässt. Sie könnte als programmierbare Medikamentenfähre, aber auch als logisches Gatter dienen.

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Von
  • Jocelyn Rice

Kohlenstoffbänder für die Datenverarbeitung (1 Bilder)

Nanobänder aus Graphen

Die Gruppe um Hongjie Dai von der Stanford-Universität hat verschiedene Graphen-Bänder produziert. Je schmaler sie sind, desto besser können sich Stickstoffatome anlagern, die die zusätzlichen Elektronen für einen n-Kanal-Transistor beisteuern. (Bild: Hongjie Dai)

Die Kunst, winzige dreidimensionale Objekte aus DNA-Strängen zu bauen, ist inzwischen unter dem Begriff „ DNA-Origami“ bekannt. Forscher von der Universität Aarhus in Dänemark ist nun ein wichtiger Schritt hin zu funktionalen Nanostrukturen gelungen: Sie konstruierten eine Nanotruhe, deren Deckel sich mit einer Art molekularem Schlüssel öffnen und schließen lässt.

„Eine sehr schöne molekulare Struktur“, lobt John Reif, der an der Duke University selbst an einer künftigen DNA-Nanorobotik forscht, die Arbeit. „Zum ersten Mal haben wir eine Nanostruktur, die über eine programmierbare und kontrollierbare Abdeckung verfügt.“ Die Box sei zunächst nur ein Proof of Principle, was mit dem Ansatz des DNA-Origami noch möglich sei, sagt Jørgen Kjems, der das Projekt am Zentrum für DNA-Nanotechnologie der Universität Aarhus leitet. Der winzige Container könnte sich aber für verschiedene Anwendungen weiterentwickeln lassen, zum Beispiel als Medikamentfähre, aber auch als logisches Gatter für eine Nanoelektronik.

Bereits in den frühen achtziger Jahren entdeckte Ned Seeman von der Universität New York, inspiriert von M. C. Eschers Bildern, dass DNA-Moleküle – die Träger des genetischen Codes in Lebewesen – sich in einer wässrigen Lösung auch als Baumaterial nutzen lassen. Sie bestehen aus zwei verdrillten Strängen, die über Paare von je zwei Molekülen zusammengehalten werden: Zum einen verbinden sich die Basen Adenin (A) und Thymin (T) miteinander, zum anderen Guanin (G) und Cytosin (C). Nimmt man einen einzelnen Strang, der die Basen ACTCA enthält, kann sich an dieser Stelle ein anderer Strang anlagern, der das Gegenstück TGAGT enthält. Der Rest der Stränge baumelt weiterhin frei herum und könnte mit anderen passenden Strängen verbunden werden – diese Enden werden „Sticky Ends“ genannt („klebrige Enden“). Auf diese Weise konstruierte Seeman 1991 aus sechs Einzelsträngen den ersten, allerdings noch starren DNA-Würfel.

Für ihre Box nutzten Kjems und sein Team ein Virus, um einen Einzelstrang mit der passenden Basenfolge herzustellen. Die hatten sie zuvor am Computer so entworfen, dass der Strang sich von selbst in die gewünschte Form falten kann, wenn man noch einige kürzere DNA-Stücke hinzufügt. Sie bewirken, dass der Strang so knickt, dass sechs fast quadratische Flächen entstehen: die Seiten einer würfelartigen Struktur, von denen eine als Deckel dient. Die Länge beträgt 42 Nanometer, Breite und Höhe liegen bei 36 Nanometern.

Damit sich der Deckel schließt, entwarfen Kjems und seine Mitarbeiter zwei molekulare Schnäpper. Dabei handelt es sich um zwei weitere DNA-Einzelstränge mit Sticky Ends. Die haften normalerweise an zwei der oberen Kanten, so dass die Deckelfläche geschlossen ist. Gibt man jedoch zwei weitere DNA-Stränge in die Lösung, deren Basenfolge genau komplementär zu den Sticky Ends der Schnäpper ist, lösen diese sich von der Box und verbinden sich mit den neuen Strängen. Ergebnis: Die Deckelfläche hebt sich und die Box öffnet sich. Ihr Zustand lässt sich mit Hilfe von zwei Farbstoffmolekülen anzeigen, von denen eines am Deckel und das andere am Rand sitzt. Bei geschlossenem Deckel, wenn sie dicht beeinander liegen, leuchten sie rot. Sind sie voneinander entfernt, leuchten sie grün – die Box ist also geöffnet.

Die technische Herausforderung bei solchen DNA -Objekte sei nicht der Entwurf der passenden Einzelstränge, sondern der Nachweis, dass sich aus ihnen auch tatsächlich die gewünschten Objekte gebildet haben, sagt Paul Rothemund vom California Institute of Technology. Er hat 2006 ein einfaches Verfahren vorgestellt, um faltbare Basenfolgen am Rechner zu konstruieren, und dafür den Begriff „ DNA-Origami“ geprägt. Die dänischen Forscher nutzten verschiedene Abbildungsverfahren für ihre Box, darunter die Kryoelektronentomographie (Ergebnis siehe Bild). Das Ergebnis findet Rothemund „sehr überzeugend“. Jetzt könnten sie herumexperimentieren, was sich mit der Box anfangen ließe.

Jørgen Kjems hat da bereits einige Ideen. Man könnten den Deckel mit einem molekularen Mechanismus versehen, der zum Beispiel auf Gensequenzen anspringt, die für Krebs oder bestimmte Viren charakteristisch sind. Dann öffnet sich der Deckel, und ein im Innern mitgeführtes Medikament wird in die feindliche Zelle entlassen.

Rothemund hält die dänische DNA-Box für interessanter als die meisten bisherigen Ansätze für Medikamenten-Nanocontainer (im Fachjargon auch „Drug Delivery“ genannt), weil die Möglichkeiten, den beweglichen Deckel molekular zu programmieren, unerschöpflich seien. „Diese Programmierbarkeit bietet kein anderes Drug-Delivery-Konzept.“

Bis die Technologie sich für Therapien nutzen lässt, dürften allerdings noch Jahre vergehen. Zwar sind die Wände der Nanotruhen stabil genug, um große Moleküle im Innern zu halten, und selbst Ribosomen oder sehr kleine Viren könnten darin Platz finden. Aber noch haben die Forscher das Beladen nicht ausprobiert. Bislang haben sie die Boxen nur im Reagenzglas erzeugt. Wie wirksam und wie sicher sie in Organen funktionieren, lässt sich noch nicht sagen.

Aber auch ohne Fracht könnten die DNA-Boxen nützlich sein, zum Beispiel als nanoelektronische Bauteile. Weil der Schnäppermechanismus mit zwei verschiedenen Molekülen funktioniert, könnte man sie als UND-Gatter nutzen, sagt Kjems. Nur wenn beide molekularen Schlüssel vorhanden sind, leuchtet die Kiste grün. Mit einigen unaufwändigen Veränderungen in der molekularen Struktur ließen sie sich auch zu NICHT- oder ODER-Gattern umbauen. „Im Prinzip“, freut sich Kjems, „könnten wir aus ihnen auch einen DNA-Computer bauen.“

Das Paper zur Nanotruhe:
Ebbe S. Andersen et al., "Self-assembly of a nanoscale DNA box with a controllable lid", Nature, Vol. 459, 7. Mai 2009, S. 73-77 (Abstract, Volltext nur mit Abo). (nbo)