Atomkraft-Abriss als Export-Hit

– und der willkommene Kompetenzsprung für einen internationalen Markt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Reimar Paul

Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit wird ein ganz besonderes Stück DDR-Geschichte abgewickelt: Der Rückbau des Atomkraftwerks Greifswald ist das weltweit größte Abrissprojekt dieser Art - und der willkommene Kompetenzsprung für einen internationalen Markt.

Der Zug von Greifswald verkehrt schon lange nicht mehr auf den Gleisen, die nach Osten hin im Nirgendwo enden. Auch der Bus nach Anklam macht hier nur alle paar Stunden Halt. Und während gut gebräunte Ostsee-Urlauber auf der Strandpromenade von Lubmin vom Aufschwung der Tourismusbranche künden, ist hier, ein paar Kilometer weiter südlich in der Lubminer Heide, Zerstörung angesagt: Mehr als zwei Millionen Tonnen Stahl und Beton müssen abgetragen, zerlegt, dekontaminiert werden – Hülle und strahlende Innereien des Atomkraftwerks Greifswald.

Der „Rückbau“ des Kraftwerks, wie Insider den Abriss im Jargon der Branche nennen, ist der größte einer kerntechnischen Anlage weltweit. Wenn die Schweißgeräte und Sägen 2013 nach 18 Jahren verstummen, wird das Projekt über drei Milliarden Euro gekostet haben. Vielleicht aber auch wesentlich mehr: Schon mehrmals musste die Kalkulation nach oben revidiert werden. Den ursprünglichen Plan, sämtliche Gebäude abzureißen und das 450 Hektar große Areal wieder zur Wiese zu machen, ließ die Bundesregierung deshalb bereits fallen. Nur noch die Innereien des Kraftwerks sollen ausgebaut, wenn möglich dekontaminiert und weggeschafft oder vor Ort eingelagert werden. Das AKW Greifswald war einmal das größte der DDR. Seine fünf Reaktorblöcke produzierten zeitweise rund zehn Prozent des in Deutschland Ost benötigten Stroms. Doch weil nach dem Atomunfall in Tschernobyl die sowjetischen Reaktoren nicht länger als sicher galten, beschloss die Bundesregierung nach der Wiedervereinigung, das AKW vom Typ WWER stillzulegen und abzubauen. Der Bau von drei weiteren, fast fertigen Blöcken wurde gestoppt. Fünf Jahre später begann in der Lubminer Heide der Abriss, der wenigstens einem Fünftel der ehemaligen AKW-Belegschaft bis auf Weiteres den Arbeitsplatz sicherte.

Denn die Ausschreibung für die Demontage des Atomkomplexes gewann der frühere Betreiber: Die Energiewerke Nord (EWN) sind der Rechtsnachfolger des „Volkseigenen Kombinats Kernkraftwerke Bruno Leuschner“. Weil das Bundesfinanzministerium jetzt alleiniger EWN-Gesellschafter ist, muss der Steuerzahler für die immensen Abrisskosten aufkommen. In der Lubminer Heide sind von einstmals bis zu 5000 Beschäftigten des Kombinats derzeit noch 850 bei den EWN in Lohn und Brot, weitere 160 arbeiten am Rückbau des zweiten abgeschalteten DDR-Atomkraftwerks Rheinsberg. „Die meisten sind natürlich nicht mehr in ihren alten Jobs tätig“, sagt der Öffentlichkeitsarbeiter Armin Lau, der 1977 im Kernkraftwerk Nord eine Lehre als Elektrotechniker begann und heute Fachbesucher und Journalisten durch das Labyrinth der Gänge und Hallen führt. Viele seiner Kollegen haben sich umschulen lassen oder studiert und zusätzliche Qualifikationen erworben wie er selbst. Wäre es nach Lau gegangen, der jahrelang als Schichtleiter die Einspeisung des erzeugten Stroms ins staatliche Netz überwachte, würden die Reaktoren in der Lubminer Heide wohl noch... (bs)