Das verständnisvolle Handy

Mit Hilfe der Software "Soundsense" sollen Mobiltelefone das Nutzerverhalten anhand von Geräuschen analysieren und so zum Helfer in allen Lebenslagen werden.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Kristina Grifantini

Sag mir, wo dein Handy ist, und ich sage dir, wer du bist: Seit einiger Zeit erfreut sich das so genannte Reality Mining mittels Mobiltelefonen bei Forschern großer Beliebtheit. Aus den Positions- und Bewegungsdaten von Millionen Handys gewinnen sie Muster, die für so unterschiedliche Probleme wie die Ausbreitung von Krankheiten, die gezielte Platzierung von Anzeigen, das persönliche Zeitmanagement oder den Umgang mit sozialen Netzwerken aufschlussreich sein können. Eine Forschungsgruppe vom Dartmouth College in Hanover im US-Bundesstaat New Hampshire möchte dem Handy jetzt auch noch soziale Kompetenz beibringen: Mit Hilfe des eingebauten Mikrofon soll das Gerät erfassen, was der Nutzer gerade erlebt. Dann könnte das Handy zum Beispiel den Klingelton automatisch ausschalten, wenn eine Situation es erfordert.

Grundlage ist eine Software namens „SoundSense“: Sie analysiert die Geräusche, die über das Mikrofon hereinkommen, und klassifiziert sie in verschiedene Kategorien wie „Stimme“, „Musik“ oder „Umgebungsgeräusche“. Kommt ein Geräusch häufiger vor, stuft SoundSense es als wichtiger ein. Der Nutzer wird dann aufgefordert, diese Einschätzung zu bestätigen, und kann dem Geräusch ein Etikett verpassen. Im Unterschied zu anderen ähnlichen Programmen lässt sich SoundSense auch auf ungewohnte akustische Signale trainieren.

Das Dartmouth-Team entschied sich für die Analyse akustischer Daten, weil die Positionsbestimmung mittels GPS in Innenräumen nicht immer gut funktioniert und Beschleunigungsmesser nur begrenzte Informationen liefern. „Wenn wir an Geräusche denken, kommt uns normalerweise nicht in den Sinn, dass sie Orte mit einer unverwechselbaren akustischen Signatur versehen können“, sagt Andrew Campbell, Informatiker und Leiter des Projekts. Das Programm ist klein genug, dass es auch auf durchschnittlichen Handys läuft und nur wenig Strom verbraucht. Um die Privatsphäre des Nutzers zu wahren, werden sämtliche Audiodaten direkt im Handy verarbeitet und auch nicht als Audio-Clips gespeichert. Geräusche, die ein Nutzer als privat kennzeichnet, werden von SoundSense ignoriert.

Im Test erkannte die Software, dass der Nutzer sich in einem Café aufhielt, auf dem Bürgersteig lief, sich die Zähne putzte und mit dem Rad oder dem Auto fuhr. Sogar die Geräusche eines Geldautomaten und eines Ventilators wurden richtig interpretiert. Die Testergebnisse werden in dieser Woche auf der Konferenz MobiSys 2009 in Krakau vorgestellt.

„SoundSense ist der erste Schritt hin zu einem System, das das Nutzerverhalten im Alltag lernt“, sagt Tanzeem Choudhury, der ebenfalls an dem Projekt beteiligt war. Entscheidend sei die Fähigkeit, neue Geräusche zu erkennen und zuzuordnen. SoundSense könnte auch anhand der für eine Person charaktischen Geräusche nach anderen Nutzern suchen, deren akustisches Profil ähnlich ist und auf gemeinsame Interessen hindeutet, sagt Choudhury. Das Handy könnte seinem Besitzer zudem anhand typischer Geräusche ein Feedback über seine täglichen Aktivitäten geben, etwa, ob er zu wenig Sport getrieben hat oder wie sein Zeitmanagement verbessert werden könnte.

Das SoundSense-Projekt nutze einen vielversprechenden, aber bislang kaum genutzen Ansatz, sagt Kurt Partridge vom Palo Alto Research Center (PARC), der ebenfalls eine Handy-Software zur Verhaltensanalyse entwickelt hat. „Ich glaube, viele sind sich noch gar nicht im Klaren darüber, wieviel Information eine audio-basierte Aktivitätsanalyse liefern kann und wie wenig Strom sie dabei verbraucht“, sagt Partridge. „Damit kann man viel mehr Aktivitäten unterscheiden und noch einen sozialen Kontext hinzufügen, was mit anderen Verfahren nicht möglich ist.“

Der Audio-Experte Dan Ellis von der Columbia University sieht darin gar eine neue Form des „Life Loggings“ – der digitalen Aufzeichnung des eigenen Lebens – entstehen, das eines Tages so alltäglich wie Email werden könnte. Man schaue zwar nicht ständig nach, welche Emails man verschickt hat, aber mit guten Programmen könne man bequem nachvollziehen, was man jemals rausgeschickt hat. „Eine kontinuierliche audio-basierte Aufzeichung durch ein persönliches Gerät könnte irgendwann ähnlich gefragt sein.“ (nbo)