Die Physik des Unmöglichen

Seit Jahrhunderten erklären Wissenschaftler Technologien für unmöglich, die später selbstverständlich werden. Um zu verstehen, was die Zukunft bringen könnte, dürfen wir nicht eindimensional denken, meint Technology Review-Essayist Michio Kaku.

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Von
  • Michio Kaku

Dieser Text ist der Print-Ausgabe 05/2009 von Technologie Review entnommen. Das Heft kann, genauso wie die aktuelle Ausgabe, hier online portokostenfrei bestellt werden.

Seit Jahrhunderten erklären Wissenschaftler Technologien für unmöglich, die später selbstverständlich werden. Um zu verstehen, was die Zukunft bringen könnte, dürfen wir nicht eindimensional denken, meint Technology Review-Essayist Michio Kaku.

Michio Kaku hat an der Harvard-Universität Physik studiert und 1972 am Lawrence Berkeley National Laboratory der University of California, Berkeley, promoviert. Als Wissenschaftler beschäftigt er sich hauptsächlich mit der Stringtheorie. Darüber hinaus hat er mittlerweile zahlreiche populärwissenschaftliche Bücher zu theoretisch-physikalischen Themen verfasst.

Fragen Sie die klügsten Menschen der Welt, die besten Wissenschaftler und Techniker unserer Zeit: Was ist unmöglich? Die Frage ist ja auf den ersten Blick ganz einfach, und die Antwort wird immer ähnlich ausfallen: Alles, was gegen die Naturgesetze verstößt.

Aber was bedeutet das konkret? Leider sind die Seiten der Geschichtsbücher voll von vernichtenden Urteilen berühmter Wissenschaftler über Technologien, die heute völlig selbstverständlich sind: William Thomson etwa, der Nachwelt besser bekannt als Lord Kelvin, der vielleicht berühmteste Physiker der viktorianischen Epoche, hielt Flugmaschinen, die schwerer als Luft sind, schlicht für unmöglich – genauso wie Röntgenstrahlen. Und er war davon überzeugt, dass die Erde unter keinen Umständen älter sein könnte als ein paar Millionen Jahre. Oder nehmen wir Lord Rutherford, den Entdecker des Atomkerns. Der erklärte die Idee der Atombombe für völligen Unsinn. Die in einem Atomkern enthaltene Energie sei einfach zu klein für den Bau einer Waffe, meinte er.

Natürlich gibt es auch Gegenbeispiele. Oft vertraten die einfallsreichsten Wissenschaftler Ideen, die selbst Science-Fiction-Autoren für zu bizarr gehalten hätten, frei nach dem von Albert Einstein formulierten Motto: "Wenn eine Idee nicht auf den ersten Blick absurd erscheint, taugt sie nichts." 1914 hatte der britische Schriftsteller H. G. Wells, neben Jules Vernes einer der großen Pioniere der Science-Fiction, in seinem Roman "Befreite Welt" beschrieben, wie ein Wissenschaftler 1933 das Geheimnis der Atombombe entdeckt. Der Physiker Leó Szilárd stolperte 1932 über die Geschichte, die ihn zur Idee der Kettenreaktion inspirierte. Damit begann im Folgejahr – genau wie von Wells vorhergesagt – die Entwicklung der ersten Atombombe. Die Kettenreaktion konnte die Energie, die durch die Spaltung eines einzigen Atomkerns beginnt, so stark vervielfachen, dass Rutherfords Einwand hinfällig wurde.

Robert Goddard, der Vater der modernen Raketenforschung, hielt trotz heftiger Kritik an seiner Entwicklung einer Theorie der Raketenantriebe für die Raumfahrt fest, obwohl ihm seine Gegner vorhielten, mangels Luft, an der die Rakete sich abstoßen könne, sei es ganz unmöglich, im All vorwärts zu kommen. Die Redakteure der "New York Times" schäumten 1921 gar: "Professor Goddard kennt das Verhältnis zwischen Aktion und Reaktion nicht und weiß auch nicht, dass man etwas Besseres als Vakuum braucht, an dem eine Reaktion erfolgen kann. Ihm scheint das grundlegende Wissen zu fehlen, das täglich in unseren High Schools gelehrt wird." Knapp 50 Jahre später brachte eine Rakete die ersten Menschen zum Mond.

Warum sollten sich also nicht auch andere, scheinbar absurde Ideen aus der Science-Fiction verwirklichen lassen? Die Serie "Raumschiff Enterprise" beispielsweise inspirierte den mexikanischen Physiker Miguel Alcubierre dazu, sich Gedanken zu überlichtschnellen Antrieben zu machen. Die Idee, dass Raum und Zeit miteinander verknüpft sind, hatte Albert Einstein zwar bereits 1915 vorgestellt (siehe Kasten). Erst Alcubierre fand aber eine exakte Lösung für Einsteins Gleichungen, die genau die aus den Fernsehserien bekannten Eigenschaften ermöglichte. Anders als in "Star Trek" werden dafür allerdings keine "Dilizium-Kristalle" benötigt, sondern ein völlig neuer Brennstoff – die sogenannte nega-tive Materie, die in der Natur bisher noch nicht entdeckt wurde.

Antimaterie hingegen, ebenfalls bekannt aus derselben SF-Serie, wurde nicht etwa von Gene Roddenberry, dem Schöpfer von "Star Trek", erfunden. Diese Ehre gebührt dem britischen Physiker Paul Dirac, dessen relativistische Beschreibung der Quantenmechanik bereits 1931 eine neue, eigentümliche Art von Materie vorhersagte, die vollkommen identisch sei mit der uns bekannten Materie, bis auf den entscheidenden Unterschied, dass alle Teilchen genau die entgegengesetzte elektrische Ladung besitzen wie normalerweise: Ein Anti-Elektron ist also positiv geladen, ein Anti-Proton negativ. Heute können wir mit Teilchenbeschleunigern wie dem Large Hadron Collider tatsächlich Antimaterie-Strahlen erzeugen und sie zum Beispiel für medizinische Zwecke nutzen.

Bis heute stimuliert die Science-Fiction neue physikalische Entwicklungen: Über die Unsichtbarkeit, die schon die antiken Griechen diskutiert haben, habe ich früher selbst in meinen Optikkursen erzählt, sie sei unmöglich. Dafür müsste man Licht gewissermaßen um ein Objekt herumwickeln und es auf der Rückseite des Objektes neu formieren, ähnlich wie ein Bach um Steine fließt. Das ist nicht möglich, so dachte man jedenfalls.

2006 demonstrierten Forscher der Duke University in North Carolina und vom Imperial College in London, dass Mikrowellen sich mithilfe solcher Materialien wie Wasser um ein Objekt herumleiten und dahinter wieder vereinigen lassen, wodurch das Objekt unsichtbar wird. Im August 2007 zeigten Wissenschaftler von der University of California in Berkeley, von der Universität Karlsruhe und vom Ames Laboratory in Iowa, dass man Laserlicht im sichtbaren Bereich auf der mikroskopischen Ebene auf ähnliche Weise um Gegenstände falten kann. Auch wenn es noch viele Jahrzehnte dauern wird, bis die Technik perfektioniert ist – das Prinzip ist bewiesen, und Harry Potters Tarnumhang steht nicht mehr außer Frage. Es gibt nur noch kleinere Hindernisse zu umschiffen: Zum Beispiel könnte der Zauberschüler, würde er in einen Zylinder dieses Metamaterials gesteckt, nicht hindurchsehen. Also müsste man zwei Gucklöcher hineinstanzen – dann würden aber Außenstehende zwei in der Luft schwebende Augen sehen. Zudem müsste es für jede Frequenz ein anderes Metamaterial geben.

Ist also letztendlich alles möglich, wenn die Wissenschaftler nur genügend Fantasie beweisen? Um etwas Ordnung in die Beantwortung dieser Frage zu bringen, habe ich "Unmöglichkeit" in drei Kategorien eingeteilt: Unsichtbarkeit gehört für mich zu den "Unmöglichkeiten ersten Grades". Das sind Entwicklungen, die nur scheinbar die bekannten physikalischen Gesetze verletzen, in den kommenden Jahrzehnten oder Jahrhunderten aber dennoch möglich werden könnten. Die in der klassischen Science-Fiction gern verwendeten Dinge wie Strahlenwaffen, Lichtschwerter, intelligente Roboter, Raumschiffe und Antimaterie-Antriebe verletzen nicht die Gesetze der Physik und stellen daher hauptsächlich ein Ingenieursproblem dar.

Bei "Unmöglichkeiten zweiten Grades" dagegen handelt es sich um Techniken, die zwar heute unmöglich sind, allerdings in einigen Jahrtausenden möglich werden könnten. Das berühmteste Beispiel dafür ist die Zeitreise, die schon seit Jahrhunderten die Fantasie von Science-Fiction-Autoren angeregt hat: Der Astrophysiker Stephen Hawking hat zwar versucht zu beweisen, dass Zeitreisen unmöglich sind: Sie verletzten ein grundlegendes Gesetz der Physik, das er die Chronologie-Schutzhypothese nannte und das "die Geschichte sicher für Historiker machen" würde. Nach einigem Aufwand musste er jedoch schließlich zugeben, dass er seine Hypothese nicht beweisen kann.

Wenn Zeitreisen prinzipiell möglich sind, muss die Physik aber auch eine Lösung finden für die in Science-Fiction-Werken häufig vorkommende Frage des Zeitparadoxons. So wäre es zum Beispiel möglich – Zeitreisen vorausgesetzt –, dass man zu seinem eigenen Vater oder Sohn oder zur eigenen Mutter oder Tochter wird. Eine Frau könnte sich beispielsweise zu einer Geschlechtsumwandlung entschließen, dann als Mann in der Zeit zurückreisen und mit sich selbst als Teenager-Mädchen ein Techtelmechtel anfangen. Würde das Mädchen schwanger und bekäme sie eine Tochter, mit der der Mann anschließend weiter in die Vergangenheit reiste, könnte das Baby zum ursprünglichen Teenager und später zu der Frau vom Anfang der Geschichte heranwachsen.

Die Lösung dieses Paradoxons kann man in Science-Fiction-Geschichten mit Paralleluniversen entdecken – ein Konzept, dass sich auch in der Quantentheorie wiederfindet. Wenn die Zeit ein Fluss ist, dann wäre der neue Kniff dabei, dass der Zeitfluss Strudel hat und sich sogar in zwei Flüsse aufspalten kann. Genau das ist eine Lösung dieser klebrigen Zeitparadoxa, die es zum Beispiel auch erlauben, seine Eltern umzubringen, bevor man selbst geboren wird – die Aufspaltung des Zeitflusses in zwei Flüsse. Eine Zeitreise wäre in diesem Fall einfach das Wechseln von einem Quantenzeitstrom in den anderen. Folglich hat man einfach die Vergangenheit von jemand anderem in dessen Zeitstrom geändert, der eigene Zeitstrom dagegen bleibt gleich. Man kann also nur die Vergangenheit von anderen Menschen ändern.

Unglücklicherweise entsteht genau in dem Moment, in dem man die Zeitmaschine betritt, ein weiteres Problem: Quanteneffekte führen zur Entstehung von Strahlung, möglicherweise so viel, dass es den Zeitreisenden umbringt oder das Zeitportal verschließt. Daraus folgt, dass wir zur Lösung der Zeitreisen-Frage eine "Theorie von allem", eine alles umfassende, universelle Theorie brauchen, die jene Theorie der Raumzeit und der Gravitation mit der Quantentheorie verknüpft. Damit verdiene ich meine Brötchen: Ich arbeite an der sogenannten Stringtheorie, der führenden und bisher einzigen Kandidatin für eine solche "Weltformel".

Meine persönliche Science-Fiction-Inspiration waren Wieder- holungen der alten "Flash Gordon"-Filme, die ich in meiner Kindheit gesehen habe. Ich war völlig fasziniert davon, wie Buster Crabbe das Universum mit seinem klapprigen Raumschiff und seiner Strahlenwaffe eroberte. Nach einiger Zeit erkannte ich, dass der eigentliche Held der Serie nicht Flash Gordon war, sondern der Physiker Dr. Zarkov: Er war es, der Gordons Raumschiff baute, die Stadt in den Wolken und den Unsichtbarkeitsstrahl konstruierte. Damals wurde mir klar: Ohne Wissenschaft gibt es keine Science-Fiction. Flash war der Frauenheld, Zarkov war der eigentliche Motor der Show.

Später habe ich begeistert die Foundation-Trilogie von Isaac Asimov gelesen. Die eröffnete mir ein ganz neues Universum an Unmöglichkeiten der Kategorie II: Asimov verführte seine Leser dazu, sich eine Zivilisation vorzustellen, die 5000 Jahre in der Zukunft liegt. Auf dieser Zeitskala könnte es natürlich Technologien geben, deren Entwicklung noch sehr, sehr lange dauern würde – also musste ich lernen zu unterscheiden: zwischen Technologien, die zwar sehr kompliziert herzustellen wären, letztendlich aber "nur" die Lösung von Ingenieursproblemen beinhalten würden, und Technologien, die fundamentale Gesetze der Physik verletzen. Solche Technologien nenne ich Unmöglichkeiten der Kategorie III: Maschinen, mit deren Hilfe man in die Zukunft sehen kann etwa oder das berühmte Perpetuum mobile – ein Antrieb, der ohne äußere Energiezufuhr unendlich lange läuft.

Die Gesetze der Physik einfach zu ignorieren, ist für die Autoren von Science-Fiction oder Fantasy natürlich eine leichte Übung. Wir Physiker aber können so etwas nicht auf die leichte Schulter nehmen. Als junger Doktorand habe ich viel über Unmöglichkeiten der Kategorie III nachgedacht. Was ist der Ursprung dieser fundamentalen Gesetze der Physik, die unseres Wissens nach nicht verletzt werden können, wie beispielsweise das Gesetz von der Erhaltung der Energie? Ich fiel buchstäblich fast vom Stuhl, als ich vom sogenannten Noether-Theorem erfuhr: Emmy Noether, eine brillante deutsche Mathematikerin, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Göttingen gelehrt hatte, bis sie vor den Nazis in die USA floh, hatte folgende sehr grundlegende Idee: Wenn ein physikalisches Gesetz eine Symmetrie besitzt, gibt es einen dazu entsprechenden Erhaltungssatz in der Physik. Die Energieerhaltung beispielsweise folgt aus der Tatsache, dass physikalische Gesetze unabhängig vom gewählten Startzeitpunkt immer gleich sind.

Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag: Wenn wir Licht aus entfernten Galaxien beobachten, die Milliarden von Lichtjahren entfernt sind, und die Spektrallinien dieser Galaxien sind genau die gleichen wie hier auf der Erde, dann bedeutet dies, dass die physikalischen Gesetze sich in diesem Zeitraum nicht verändert haben. Und mindestens genauso lange ist auch die Energie des Universums konstant.

Diese Erkenntnis eröffnete mir allerdings auch ein kleines intellektuelles Schlupfloch: Könnten die Gesetze der Physik in einem Paralleluniversum nicht vielleicht ganz andere sein? Oder gelten die Beschränkungen, denen wir hier unterworfen sind, überall im Multiversum der Universen? In der Stringtheorie gibt es viele gültige Lösungen der grundlegenden Gleichungen. Jede dieser Lösungen beschreibt ein Universum, in dem eine ganz andere Art von Physik gilt. Die Stringtheorie selbst ist eine Metatheorie, deren Formulierung unabhängig von der konkreten Physik des gerade betrachteten Universums ist. Es wäre also durchaus denkbar, dass es unterschiedliche Universen mit unterschiedlichen Naturgesetzen gibt.

Tatsächlich könnte die Vorstellung vom Multiversum eine sehr verwirrende Eigenschaft der Natur erklären: Die Naturkonstanten in diesem Universum, wie etwa die Elementarladung des Elektrons, die Lichtgeschwindigkeit oder das Plancksche Wirkungsquantum, sind rätselhafterweise genau so "eingestellt", dass Leben entstehen kann. Wenn die Kernkräfte nur ein winziges bisschen schwächer wären, hätte nie auch nur ein einziger Stern angefangen zu leuchten. Wenn die Kernkräfte stärker wären, wären die Sterne viel zu schnell verglüht, bevor Leben hätte entstehen können. Wenn die Gravitationskraft ein kleines bisschen stärker oder schwächer wäre, dann wäre das Universum vielleicht schon längst in einem einzigen Punkt kollabiert oder hätte sich unendlich ausgedünnt.

Hier und jetzt aber leben wir in einer Welt, in der diese Konstanten die glückliche Mitte treffen. Manche Menschen sehen in diesem bemerkenswerten Treffer einen Beweis dafür, dass es einen "großen Gestalter" gibt, der das Universum genau für diesen Zweck entworfen hat – der Entstehung von Leben. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies rein zufällig passiert sei, sei so klein wie die, dass ein Hurrikan aus einem Haufen Metallteile eine Boeing 747 zusammensetzt, argumentieren sie.

Aber es gibt eine andere Erklärung für dieses Rätsel, und die kommt ohne Gott aus: Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass es unendlich viele parallele Universen gibt, in denen die Naturkonstanten einen anderen Wert haben. Die meisten dieser Universen sind kalte, tote Orte, in denen die Gesetze der Physik, die hier das Leuchten von Sternen ermöglichen, und die Entstehung der DNA nicht gelten. Wir haben einfach den Hauptgewinn gezogen in dieser "kosmischen Lotterie" – deswegen sind wir hier und können uns all diese merkwürdigen Fragen stellen. Möglicherweise leben wir in dem einzigen von all diesen unendlich vielen Universen, in dem so etwas wie Science-Fiction entsteht. (bsc)