Das virtuelle Kraftwerk

Der Bedarf an neuen, umweltfreundlichen Energieerzeugern steigt. Um die komplexe Konstruktion und Wartung von Solar-, Wind- oder Wasserkraftwerken zu erleichtern, setzen Forscher und Hersteller auf neuartige Virtual Reality-Systeme.

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Ohne High-End-IT geht in der Energietechnik schon lange nichts mehr - das gilt nicht nur für die Konstruktion von Kohle- oder Atomanlagen, sondern natürlich auch beim Experten zufolge in den nächsten Jahren mit hohen Wachstumsraten gesegneten "grünen" Kraftwerksbau. Im Computer simulieren Ingenieure beispielsweise, wie Wasserkraftanlagen konstruiert werden müssen, um aus einem vorhandenen Fließgewässer ein Maximum an Energie-Output herauszuholen, ohne die Umwelt zu stark zu beeinträchtigen. Bei Solaranlagen kommt es wiederum auf die korrekte Positionierung der Zellen, den Sonnenstand und eine möglichst effiziente Energieableitung an, für die der Rechner die Pläne bereitstellt. Und bei der Windenergie würden die fertigen Rotoren leicht wegfliegen, ließen sich nicht im PC selbst härteste Sturmszenarien vorab durchrechnen.

Besonders anschaulich sind die dabei eingesetzten Systeme allerdings nicht. Zwar sind dreidimensionale hochauflösende Modellierungen zum Teil verfügbar, doch wirklich "hineinversetzen" in die zu bauende Anlage kann sich der Konstrukteur nicht. Forscher am Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und Fabrikautomatisierung (IFF) im sachsen-anhaltinischen Magdeburg wollen das nun ändern. Sie haben ein System entwickelt, das die Vorgänge innerhalb so genannter Energiewandlungseinrichtungen, die Kernstücke bei Solar-, Biogas-, Wind- und Wasserkraftanlagen sind, im virtuellen Raum darstellen kann. Dazu wurden Programme zur 3D-Anlagenkonstruktion mit Virtual Reality-Software, die am IFF entwickelt wurde, kombiniert.

Werte wie Temperaturen, Drücke oder Strömungsabläufe innerhalb von Wasserkraftanlagen lassen sich so bildlich hervorheben - mit farbigen Pfeilen, aber auch mit virtuellen Gasen oder Flüssigkeiten. Dazu steigen die Konstrukteure in einen Raum, in dem alle Werte mit Projektoren um sie herum an die Wände geworfen werden. In diesem virtuellen Raum wird demonstriert, welche Wege und Geschwindigkeiten Gase oder Flüssigkeiten durch den Energiewandler nehmen. Das System kann den Entwickler auch auf potenzielle Probleme in seinem Konzept hinweisen, etwa vor Kollisionen warnen. So sollen sich insgesamt leistungsstärkere und gleichzeitig umweltschonendere Anlagen errichten lassen.

Projektleiter Dr. Martin Endig meint, dass sich das Modell auch nach der Konstruktionsphase nutzen lässt. "Auch Anlagenbetreibern hilft unser VR-Modell im täglichen Betrieb." Er denkt dabei etwa an die Dokumentation, um später bei Reparaturarbeiten nachvollziehen zu können, wo welches Teil im dreidimensionalen Raum steckte. Das sei wesentlich anschaulicher als das Wälzen von Handbüchern. Auch für Schulungen eignet sich die Technik - etwa um Noteinsätze zu trainieren.

Das Magdeburger IFF ist nicht die einzige Forschungseinrichtung, die sich mit VR im Kraftwerksbau auseinandersetzt. Vestas Wind Systems, ein dänischer Hersteller von Windkraftanlagen, der 20 Prozent Marktanteil weltweit hat und seit 1979 fast 40.000 Systeme installierte, nutzt die Technik zum Planen neuer Anlagen, aber auch zur Schulung von Ingenieuren und Installateuren. Dazu wurde ein eigenes VR-Labor in Arhus eingerichtet, Hier, im Vestas Technology Centre, befindet sich ein so genannter Cave, in dem sich jede 3D-Darstellung von der Einzelkomponente bis zur vollständigen Turbine samt Umwelt aufrufen lässt. Diese virtuellen Einblicke werden beim Design neuer Systeme, aber auch zur Problemanalyse und zum Training neuer Angestellter verwendet.

Dabei werden unterschiedliche Techniken zur Darstellung verwendet - neben der Projektion, die auch so genannte getrackte Stereobilder ermöglicht, bei der sich das 3D-Bild automatisch der Kopfrichtung anpasst, werden auch Head-Mounted-Displays mit Handpositionsbestimmung verwendet. Neben dem "Wow"-Faktor, den solche Anlagen bei Kundenpräsentationen regelmäßig erlauben, werden sie inzwischen tatsächlich auch im Arbeitsalltag eingesetzt, wie Allan Laursen Molbech, VR-Administrator bei Vestas, sagt. "Die VR-Installation hat sich für alle unsere Forschungsingenieure als mächtiges Werkzeug erwiesen, das tagtäglich genutzt wird." (bsc)