Augen und Ohren für die Logistik

RFID ist auf dem Weg zur breiten Anwendung: Große Handelskonzerne sind dabei, sie in ihre Lieferketten zu integrieren.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Elgar Fleisch
  • Christian Flörkemeier

Die Radiofrequenz-Identifikationstechnologie (RFID) ist auf dem Weg zur breiten Anwendung: Große Handelskonzerne sind dabei, sie in ihre Lieferketten zu integrieren. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist der Einsatz von RFID der konsequente nächste Entwicklungsschritt in der Informationsverarbeitung der Unternehmen. Bisher mussten betriebliche Informationssysteme von Menschenhand mittels Tastatur und Barcode-Leser mit Daten gefüttert werden. Mit RFID-Technik können sie ihre Daten nun automatisch und ohne Zeitverzögerung sammeln -- zu einem Bruchteil der Kosten. Als neue Verbindung zwischen physikalischer und virtueller Welt wird RFID das betriebliche Management tiefgreifend verändern. Denn Unternehmen können nur managen, was sie auch messen können. Allerdings vollzieht sich die RFID-Einführung keineswegs im gesellschaftlichen Vakuum.

In der Öffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, dass RFID die Privatsphäre durch zunehmende Überwachung bedroht. Wegen solcher Schwierigkeiten wird die drahtlose Identifikationstechnologie manchmal schon für gescheitert erklärt. Wir sind anderer Meinung: Das riesige ökonomische Potenzial von Informationssystemen mit "Augen und Ohren" wird langfristig zum großflächigen Einsatz der RFID-Technik führen. RFID-Systeme bestehen aus zwei Komponenten: Lesegerät und Transponder. Das Lesegerät liest drahtlos Daten aus einem Chip auf dem Transponder und versorgt den Transponder, der selbst keine Stromquelle hat, mit Energie. Es gibt RFID-Transponder in verschiedensten Formen und Funktionen –- weshalb manche Datenschutzbedenken gegen sie aus schlichter Begriffsverwirrung entstanden sind. Manche Minitransponder sind kaum mit bloßem Auge sichtbar und nur aus wenigen Millimetern Abstand auszulesen. Andere sind groß wie Visitenkarten und aus mehreren Metern lesbar. Sie können umfangreiche Datensätze enthalten oder nur eine kurze Seriennummer.

Noch Ende der 1990er Jahre blühte die RFID-Technik nur in Nischen: zur Tieridentifikation, in Wegfahrsperren und zur Zugangskontrolle. Der Markt litt unter hohen Transponderpreisen, niedrigen Stückzahlen und fehlenden Standards. Seitdem hat sich das Anwendungsfeld deutlich erweitert, was vor allem dem 1999 am MIT gegründeten Auto-ID-Center zu verdanken ist. Das Center und seine Nachfolgeorganisation EPCglobal haben die Vision von kostengünstigen, standardisierten Transpondern, die Milliarden von Alltagsgegenständen identifizieren, konsequent weiterverfolgt und die Technologie gemeinsam mit kommerziellen Anbietern weiterentwickelt. Der für 2005 angekündigte Einsatz in den Lieferketten von Handelsriesen wie Wal-Mart, Metro und Tesco (alle waren am Auto-ID-Center beteiligt) ist ein Ergebnis dieser Strategie.

Einer Verbreitung von RFID in globale Logistiksysteme standen bis vor kurzem einige gesetzliche Hindernisse im Weg. Gerade im UHF-Frequenzband (860 bis 950 Megahertz) erzielen RFID-Systeme besonders hohe Reichweiten, weswegen sie sich besonders gut etwa für die Identifikation von Kisten und Paletten beim Wareneingang eignen. Aber bis vor kurzem durften UHF-RFID-Systeme in Europa nur mit eingeschränkter Sendeleistung und Bandbreite verwendet werden –- in asiatischen Ländern, darunter China und Japan, waren sie gänzlich verboten. Nach intensiver Lobbyarbeit herrschen seit Ende 2004 deutlich verbesserte gesetzliche Rahmenbedingungen in Europa. Auch in Japan und China rechnen wir mit einer baldigen Zulassung von UHF-RFID-Systemen.

Der folgerichtige nächste Schritt ist die Standardisierung der Kommunikation zwischen Lesegerät und RFID-Transpondern -- und auch hier geht es voran. Bisher gab es im UHF-Bereich vier untereinander inkompatible Normen, von denen keine optimal auf den Einsatz in globalen Lieferketten abgestimmt war. Nun erfährt die Ende 2004 verabschiedete neue Spezifikation von EPCglobal breite Unterstützung von Benutzern und Herstellern. Erste Produkte sind bereits Mitte 2005 zu erwarten. Allerdings stellt der praktische Betrieb von UHF-RFID-Systemen heute noch eine Herausforderung dar. Zwar können solche Systeme bei idealen Verhältnissen Lesereichweiten von über fünf Metern erzielen, aber in diesem Frequenzband reflektieren metallische Oberflächen das Funksignal, Wasser absorbiert es. Unter realistischen Bedingungen ist deshalb die "Nicht-Erkennung" einzelner Transponder nie auszuschließen. Für Unternehmen kommt es darauf an, die Grenzen der RFID-Technologie zu kennen und durch entsprechendes Prozessdesign auszugleichen. Etwa im Wareneingang: So lange Kartons mit Transpondern auf einer Palette gestapelt sind, kann ihre Erkennung, abhängig vom Inhalt, schwierig werden. Erst einzeln auf dem Fließband sind sie wirklich zuverlässig erfassbar.

Die vielleicht größte Hürde für die RFID-Technologie liegt in der Akzeptanz durch die Verbraucher. Heute kommen die Vorteile des Einsatzes in der Lieferkette vor allem den Unternehmen zugute. Endkonsumenten sehen sich dagegen mit den Nachteilen konfrontiert. Berichte in den Medien suggerieren, dass die RFID-Transponder zum Ausspionieren seines Einkaufsverhaltens eingesetzt werden. In Zukunft gilt es daher, RFID-Anwendungen zu entwickeln, die auch den Endkunden profitieren lassen. Denkbar sind Umkleidekabinen, die Kleidungsstücke bei der Anprobe automatisch erkennen und Kombinationsvorschläge à la Amazon machen: "Kunden, die dieses Hemd gekauft haben, kauften auch ..." Oder smarte Apothekerschränke, die vor Medikamentenunverträglichkeiten oder gefälschten Produkten warnen. Dabei gilt es, begründeten Datenschutzbedenken mit technischen und regulativen Gegenmitteln zu begegnen.

Daneben sind einige weitere Probleme im Umfeld der RFID-Technik zu lösen: etwa Patentkonflikte, das Recycling der Transponder und die oft zu hohen Transponderpreise –- von der viel beschworenen 5-Cent-Preisgrenze sind wir noch einige Jahre entfernt. Aber nichts davon halten wir für einen möglichen "Showstopper" für RFID. Es wird noch einige Jahre dauern, bis jeder Einzelartikel einen Transponder trägt. Doch darüber sollte man das enorme Innovationspotenzial von RFID nicht vergessen. Die präzisere Abbildung der realen Welt durch RFID wird nicht nur zu Prozessverbesserungen und Kostenreduktionen führen, sondern sie schafft auch eine Voraussetzung für neue, smarte Produkte und Dienstleistungen. (wst)