Schnitzel mit Charakter

Aber erst müssen wir die Sprache der Gene richtig lernen, hat der Feinschmecker Corby Kummer herausgefunden.

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Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Corby Kummer
Inhaltsverzeichnis

Stellen Sie sich einen Ernährungsplan vor, der auf die individuelle Molekülkonfiguration Ihres Körpers abgestimmt ist. Der nicht nur die Marotten und kleinen Lüste, die niemand sonst kennt, berücksichtigt (wie leicht ist es, die belastende Chips-Tüte und das Staniol einer Tafel Schokolade verschwinden zu lassen), sondern auch die Geheimnisse, die Sie selbst gar nicht kennen - Geheimnisse, die helfen können, Sie länger am Leben und gesund zu halten.

So lautet die Verheißung des jüngsten molekularmedizinischen Vorhabens, das aus dem Humangenom-Projekt hervorgegangen ist. "Nutrigenomik" - oder "Ernährungsgenetik" – betrachtet Ernährung und Gene, um zu erkennen, wie sie miteinander wechselwirken. Die Protagonisten dieser neuen Disziplin glauben, dass Nährstoffe in Lebensmitteln die Genexpression (das An- und Abschalten der Gene) in verschiedenen Menschen gemäß ihrer genetischen Veranlagung unterschiedlich beeinflussen. Das tiefe Verständnis der Verbindungen zwischen Genen, Nahrung und Krankheiten soll zu einem individualisierten Diätplan führen: Sind die Wechselwirkungen erst einmal verstanden, dann könnten Menschen geerbte Schwächen und genetische Fehler ausgleichen, indem sie sich angepasst ernähren und, wenn nötig, Nahrungsergänzungsmittel nehmen.

Wenn Gene Schicksalsträger sind, dann hat die Wissenschaft ihr Bestes getan, um in dieses Schicksal einzugreifen. Und prompt suchen Risikokapitalisten nach Wegen, die Wissenschaft in Profit umzusetzen. Das Tempo besonnener wissenschaftlicher Forschung ist plötzlich nicht mehr schnell genug, wenn Menschen bereit sind, alles dafür zu geben, die Verwüstungen des Alters aufzuhalten, wenn nicht zu überwinden. So sprießen Unternehmen, die in der Spucke von Wangenabstrichen ihrer Kunden nach genetischen Varianten fahnden und Ernährungsratschläge verteilen. Angesichts des aktuellen Forschungsstands können sich die kommerziellen Ernährungsgenomiker allerdings kaum über gewöhnliche, vernunftorientierte Ratschläge hinaus fortbewegt haben.

Kürzlich füllte ich einen Fragebogen von einer der ehrgeizigsten der neuen Firmen aus und erwartete meine Auswertung vom "Direktor für Diät und Ernährung". Die größte Überraschung daran war, dass das, was ich esse, nicht weiter besorgniserregend sei. Vielleicht passt ja meine eigenartige und unausgewogene Ernährungsweise tatsächlich gut zu meinem eigenartigen und unausgewogenen Typus.

Meine Gespräche mit mehreren Forschern brachten mich zu dem Schluss, dass Ernährungsgenomik trotz aller derzeitigen Hemmnisse einen realen Nutzen für uns haben wird. Vielleicht werde ich dann ein Einsehen haben und vermehrt fettigen Fisch essen - wie es so oft empfohlen wird –, statt weiterhin die Taschen der Nahrungsmittelergänzungsindustrie mit meinem Geld zu füllen. Doch gerade diese Branche schaut hungrig auf die Entwicklungen in der Ernährungsgenomik.

REZEPT DER GENE

Das Center for Nutritional Genomics an der University of California in Davis zählt zu den führenden Forschungszentren auf dem neuen Gebiet. Seinen Vorsprung hat es nicht nur der großzügigen finanziellen Unterstützung durch die National Institutes of Health (NIH) zu verdanken, sondern auch den Bemühungen und der Vision seines Direktors, dem Zellund Molekularbiologen Raymond Rodriguez.

Wie alle Genetiker war Rodriguez von jedem Schritt des Jahrzehnte dauernden Humangenom-Projekts fasziniert, und wie jeder schlaue Bewerber um Fördergelder versuchte er den nächsten großen Nutzen der Genom-Informationen vorauszuahnen. Die erste sowohl wissenschaftlich als auch kommerziell interessante Anwendung der Genomdaten entstand mit der Pharmakogenomik - mit der Entwicklung von auf spezielle genetische Belange zugeschnittener Medikamente (siehe TR 01/05).