Unsterblicher Briefwechsel

Der bekannte theoretische Biologe Aubrey de Grey glaubt, dass die Menschheit bald ewig leben können wird. Pathologie-Professor Richard Miller, der ebenfalls als Biogerontologe an der University of Michigan arbeitet, widerspricht.

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Inhaltsverzeichnis

Im März 2005 publizierte die US-Ausgabe der Technology Review eine Titelgeschichte unter der Überschrift "Wollen wir ewig leben?". Darin setzte sich der renommierte Mediziner und Autor Sherwin Nuland mit den Annahmen des theoretischen Biologen Aubrey de Grey von der University of Cambridge auseinander, nach denen das Problem des Alterungsprozesses beim Menschen gelöst werden könne. Nuland vertrat eine extrem skeptische Haltung gegenüber den Theorien von de Grey, was viele kritische Briefe von dessen Unterstützern hervorrief. Aber auch diejenigen, die de Grey keineswegs für voll nehmen, meldeten sich: Es sei verrückt, die Tinte zu verschwenden, um sich mit dessen Annahmen auseinanderzusetzen, wie es aus der Riege arbeitender Biogerontologen hieß. Eines dieser Schreiben kam von dem bekannten Pathologie-Professor Richard Miller, der ebenfalls als Biogerontologe an der University of Michigan arbeitet. Wir bringen es hier im Volltext.

12. Oktober 2005

An Jason Pontin Chefredakteur und Herausgeber der Technology Review

Lieber Jason,

meine Kollegen haben mich auf die große Faszination aufmerksam gemacht, die die Technology Review für die Arbeiten von Dr. Aubrey de Grey zu hegen scheint, die sich mit dem Kampf gegen den Alterungsprozess beschäftigen. Wie Sie wissen, beschreibt sein "SENS"-Programm gegen die Vergreisung sieben Problembereiche, die seiner Ansicht nach die Haupterscheinungen des Alterns sind. Dr. de Grey meint, dass sie sich durch eine Kombination aus Stammzellentherapie, Toxinen gegen Alterungsprozesse, allotypisch MT-kodierten Proteinen, IL-7, der Entfernung von Telomerasen, genetisch veränderten, Hormone aussendenden Muskelzellen sowie Phenacyldimethylthiazolium-Chlorid bekämpfen lassen.

De Grey hat die Gerontologien-Szene dazu aufgefordert, die Wirksamkeit seines SENS-Programmes zu debattieren. Seiner Meinung nach stehen wir an einem historischen Wendepunkt: Diejenigen, die nach diesem Wendepunkt geboren werden, könnten ewig leben und jugendlich bleiben, so lange sie sich nur an seine SENS-Strategie halten. Obwohl de Greys Annahmen vielfach in Nicht-Fachmedien zirkulierten, werden sie doch auf wissenschaftlichen Veranstaltungen von Fachleuten eher skeptisch beäugt.

Nichtsdestotrotz bringt mich de Greys Erfolg, einen insgesamt so positiv aufgenommenen Plan gegen das Alterungsproblem entwickelt zu haben, zu der Bitte, er möge mir doch bei einer ähnlich komplexen technischen Herausforderung helfen. Dummerweise habe ich Aubreys Telefonnummer gerade verloren. Aus diesem Grund hoffe ich, dass Technology Review diesen offenen Brief an ihn veröffentlichen möge – zusammen mit diesen einleitenden Worten. Aubreys Einblicke in Probleme dieser Art würden die Allgemeinheit sicher weiterbringen.

Mit freundlichen Grüssen, Dr. Dr. Richard Miller, Professor für Pathologie an der University of Michigan in Ann Arbor

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Lieber Aubrey,

ich habe Dich neulich im Fernsehen gesehen. Nachdem Du inzwischen ja bekanntlich das Problem des Alterns ein für alle Mal gelöst hast, bin ich optimistisch, dass Du mir bei einer ähnlich schwerwiegenden ingenieurtechnischen Herausforderung helfen kannst. Diese wird nämlich von der gleichen ultrakonservativen Riege von Wissenschafts-Angsthasen für unmöglich gehalten: Es geht um die Aufgabe, fliegende Schweine zu konstruieren.

Eine theoretische Analyse des Problems, die ich mit den schnellsten mir zur Verfügung stehenden Computern zusammengetragen habe, zeigt, dass es nur ganze sieben Gründe gibt, warum Schweine nicht fliegen können:

1. Sie haben keine Flügel.

2. Sie sind zu schwer, um abzuheben.

3. Das so genannte "Gesetz der Schwerkraft".

4. Schweine können nicht auf Bäume klettern.

5. Sie haben Haare statt Federn.

6. Sie wollen eigentlich gar nicht fliegen.

7. Sie zwitschern nicht.

Wegen meines stressigen Hauptjobs hatte ich bislang zwar keine Zeit für längere Arbeiten im Labor; dennoch konnte ich einen Ansatz entwickeln, der glasklar zeigt, wie all diese Probleme gelöst werden können. Ich nenne meinen Plan "PEPA" – die Strategie für ingenieurtechnisch erzeugte Flugschweine. Hier sind meine sieben Antworten auf den obigen Problemkomplex:

1. Keine Flügel: Die moderne Gentechnik wird es dank Hox-Box-Promotern und Mikro-RNA-Gen-Verbesserern möglich machen, das Flügelwachstum zu reaktivieren. Ein bisschen Stammzellentherapie hilft sicher auch, jedenfalls kann sie sicher nichts schaden...

2. Zu schwer: Obwohl die durchschnittliche Schweinezelle dicke 20 Mikrometer Durchmesser hat, haben Mikrobiologen kürzlich dokumentiert ("Nature" 420:806, 2002), dass es frei lebende Organismen gibt, deren Zellen nur 0,8 Mikrometer im Durchmesser aufweisen. Laut dem bekannten umgekehrten Würfel-Gesetz erreicht man bei einer Reduktion des Zelldurchmessers von 25 eine Reduktion des Gewichtes in Höhe von 25 hoch 3 - ergo 15.625, was das Schweinegewicht entsprechend reduzieren dürfte.