Vorsicht mit den grauen Zellen

Medizinische Eingriffe oder Therapieversuche im Gehirn können nicht nur Krankheiten heilen, sondern auch Persönlichkeitsveränderungen hervorrufen.

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Von
  • Edda Grabar

Für ein paar Sekunden schauten sich die drei Hirnforscher Helmut Kettenmann, Roland Pouchet und Stephen Minger recht ratlos an. Fragte doch eine Zuhörerin der Veranstaltung mit dem Titel „Ethik in der Hirnforschung“, was ihre - zugegebener Maßen hoch interessanten Vorträge – wohl mit ethischen Konflikten zu tun hätte. Bis dahin ging es nämlich um die Entstehung von Krankheiten wie Parkinson, Muskelschwund (Amyotrophic Lateral Sclerose – ALS) oder die Entstehung von Tumoren im Kopf – von möglichen moralischen Grenzfällen hatte das erwartungsfreudige Publikum noch nichts vernommen.

Stephen Minger vom King’s College in London und Leiter des ersten Labors, das mit menschlichen Stammzellen aus Embryonen in Großbritannien arbeiten durfte, fasste sich als erster. Er forscht daran, mithilfe der umstrittenen Zellen Parkinson-kranke Ratten zu heilen. „Wir sprechen hier von Eingriffen oder vielmehr von Modellierungen des Gehirns – dem Ort, wo sich Geist und Körper vereinigen“, stellte er fest, „und da muss man sich schon fragen, welchen Einfluss solche Therapien auf die Persönlichkeit haben könnten.“ Die Antwort erntete erleichterte Zustimmung seiner Kollegen. Wer, so fielen sie ein, könne schon beurteilen, wie sich neue Zellen, Chips oder Elektroden im Gehirn verhalten werden und welchen Einfluss sie auf den Menschen haben?

Die Frage ist nicht nur berechtigt, sondern wichtig, meint auch Volker Sturm. Er ist einer der führenden Neurochirurgen, die Parkinson-Patienten mit einer recht jungen Methode von ihrer Krankheit befreien: der Tiefenhirnstimulation. Mit zwei feinen Elektroden dringt Sturm tief in das Hirn seiner Patienten ein, um Nervenzellen aus dem Rhythmus zu bringen, der das Parkinson-eigene Muskelzittern verursacht. Die Behandlung verursacht tatsächlich bei etwa 10 bis 20 Prozent der Patienten vorübergehend eine Persönlichkeitsveränderung. „Wir beobachten sowohl Depressionen, als auch Patienten, die manisch euphorisch werden – und meinen, die ganze Welt auf einmal kaufen zu können“, sagt Sturm.

Die Verstimmungen würden zwar nach drei bis sechs Wochen wieder verschwinden. „Anschließend verbessert sich das Lebensgefühl nachdrücklich, das ergeben auch Langzeitstudien“, so Sturm. Doch müsse man die Patienten auf diesen Zustand vorbereiten und vor allem in der Zeit ärztlich und psychologisch betreuen. „Bei nicht absolut korrekt durchgeführten Operationen kommt es häufiger zu solchen manchmal auch länger andauernden Verhaltensänderungen“, fügt er hinzu.

Das läge dann allerdings nicht an dem Verfahren, sondern an der Qualität des Eingriffs. „Der Kern, den wir ansteuern, besteht aus drei Teilen, und da müssen wir schon ganz genau positionieren, um den richtigen Part zu treffen, sonst kann das durchaus emotionale Verwirrungen verursachen“, sagt der Neurochirurg. Und auch das Absetzen des Medikaments, einem Botenstoff des Gehirns, müsse langsam und vorsichtig erfolgen.

Überhaupt: Was versteht man eigentlich unter einer Persönlichkeitsveränderung – wann fängt sie an? „Schaut man auf Umfragen zu Medikamenten gegen Depressionen, haben die meisten Menschen Angst vor Sucht und vor Veränderungen ihrer Persönlichkeit“, sagt Siegfried Kasper, Leiter der Allgemeinen Psychiatrie am Allgemeinen Krankenhaus (AKH) in Wien. Beides sei falsch. „Nicht die Medikamente verändern den Menschen, es ist die Krankheit Depression oder eine Manie, die seine Persönlichkeit verschieben“, sagt er.

Bei Depressionen gerät der Hirnstoffwechsel aus dem Gleichgewicht. Ein fein austariertes System aus Hormonen und Botenstoffen, die eine Kommunikation zwischen Nervenzellen ermöglichen, sorgt dafür, dass Menschen sich nach schlimmen oder sorgenvollen Ereignissen, wieder beruhigen. Genau diese positive Rückkopplung ist bei schwermütigen Menschen jedoch geringer ausgeprägt. „Jegliche Methoden, ob Medikamente oder eine Stimulation durch Magnetfelder und auch die Psychotherapie, machen nichts anderes als den Stoffwechsel zu aktivieren“, so Kasper.

Das sieht auch Christian Elger so: „Man muss schon genau definieren, was man als schädliche Veränderung bezeichnen möchte“, mahnt der Epilepsie-Experte vom Uniklinikum in Bonn. Er unterscheidet grob drei große Arten von Gehirnerkrankungen: Krebsgeschwüre im Hirn, die das Hirn direkt beeinflussen und solche, die von außen drücken und zu einer eher langsamen Beeinträchtigung von motorischen oder geistigen Fähigkeiten führen. Und letztlich chronische Erkrankungen wie die Epilepsie oder Parkinson. „Bei Tumoren, vor allem diejenigen, die vorne im Bereich der Stirn liegen, muss man kurzfristig eingreifen – und je nach Bereich leiden die Patienten später an Persönlichkeitsdefiziten.“

So stellte der bekannte Hirnforscher Antonio Damasio vor 30 Jahren bereits fest, dass Kleinkinder, die vor dem zweiten Lebensjahr im Stirnhirn Verletzungen erlitten, kein sozial-moralisches Verhalten mehr lernen. Und auch ältere Kinder haben damit noch Schwierigkeiten. Ähnliches gilt für manche Patienten, deren Epilepsie-Herd in der Stirnregion liegt. Seit einigen Jahren ist ein Patient in Elgers Obhut, der „eine typische kriminelle Karriere mit einigen Jahren Haft hinter sich hatte.“ Nachdem der Kern, der die Attacken verursachte, gehirnchirurgisch entfernt wurde, normalisierte er sich völlig, „und führt heute einen eigenen Schlossereibetrieb“, so Elger. Da stelle sich doch eher Frage, ob nicht vielmehr die Krankheit die gestörte Persönlichkeit verursache – und nicht etwa die Therapie.

Das könnte auch bei Patienten der Fall sein, die an Chorea Hungtington leiden. Etwa ab dem 40. Lebensjahr lässt ein Gendefekt die Patienten sich zunächst unkontrolliert bewegen und aggressiv oder ängstlich werden. Im letzten Stadium dämmern sie ihrer geistigen Fähigkeiten beraubt vor sich hin.

In Heidelberg und anderen Zentren pflanzen Ärzte Nervenzellen aus abgetriebenen Föten in die geschädigte Hirnregion der Erkrankten und erreichen damit, dass sich der Zustand stabilisiert oder sogar bessert. Die jungen Nervenzellen knüpfen neue Verbindungen zu ihren Nachbarn. Auch diese Therapie ist nicht komplikationslos. Von Persönlichkeitsveränderungen hat Stephen Minger jedoch noch nichts gehört. Dennoch ist es wohl mehr als gerechtfertigt, so tiefgehende Eingriffe auch ethisch zu betrachten – auch um den Nutzen einer Therapie richtig bewerten zu können. (nbo)