Die Neu-Erfindung des Fernsehens

Unter dem Kürzel „IPTV“ (Fernsehen über das Internet-Protokoll) tritt das Netz der Netze als vierter Übertragungsweg neben Fernsehkabel, Satellit und Antenne – und hat dabei das Potenzial, die alten Regeln auf den Kopf zu stellen.

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Auf den ersten Blick ist das IPTV-Angebot von Hansenet und Telekom zunächst alles andere als aufregend. Das traditionelle Fernsehen kommt bei ihnen über DSL-Leitungen ins Haus, sonst ändert sich wenig. Wie soll ein solches Nischenangebot eine „Revolution des Fernsehens“ verursachen, wie sie Willi Berchtold, Präsident des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien, Anfang August ausrief?

Die Gründe dafür liegen tiefer. IPTV ist nicht die Ursache, sondern die Folge einer Entwicklung, die das Fernsehen stärker verändern dürfte als die Einführung der Privatsender in den achtziger Jahren. Motor dafür ist der Wettstreit zwischen TV-Kabelgesellschaften und Telekommunikationsanbietern. Die Kabelnetzbetreiber bieten seit längerem Paket-Angebote aus Fernsehen, Internet und Telefon an. Sie wildern somit direkt im Stammgeschäft von Telekom & Co. Diese wiederum wehren sich nun, indem sie mit IPTV den Kernbereich der Kabelfirmen – nämlich die Übertragung von Fernsehkanälen – angreifen.

Wer hier Jäger und wer Gejagter ist, lässt sich schwer ausmachen. Abzusehen ist nur so viel: Exklusive Inhalte werden zu einer entscheidenden Waffe. Leidtragende dieser Entwicklung sind die etablierten TV-Stationen. Sie müssen sich nicht nur darauf gefasst machen, immer öfter beim Rechte-Einkauf leer auszugehen, sondern sich auch der links und rechts aus dem Boden schießenden Konkurrrenzangeboten erwehren, die ihnen Zuschauer und Werbekunden streitig machen. Wie genau die neuen Fernsehformate aussehen werden, wie viel Push und wie viel Pull die Zuschauer möchten, welche Formen der Interaktion sich durchsetzen werden – all das steht noch in den Sternen. Schon jetzt zeichnet sich aber ab, dass die geschlossenen IPTV-Angebote à la Telekom und Hansenet („Walled Garden“) allenfalls eine Übergangslösung sein werden. Durch die Verbreitung von Wohnzimmer-PCs wird das Fernsehen endgültig von der Kette gelassen. Fällt die Grenze zwischen Schreibtisch und Wohnzimmer, und werden alle diese Inhalte ohne Vergewaltigung der Fernsehgewohnheiten über einen Wohnzimmer-PC mit angeschlossenem Fernsehbildschirm zugänglich gemacht, werden die IPTV-Angebot von Telekom und Hansenet mit ihren hundert Kanälen dagegen geradezu gemütlich übersichtlich wirken. Die Folgen: Das Fernsehen der Zukunft wird stärker von den Spielregeln des Internets beherrscht. Vom zentralen Leitmedium wird es zu sich zu einem ganzen Bündel von Darstellungsformen aufweiten – vom selbstgedrehten Drei-Minuten-Video auf Youtube bis zum kostenpflichtigen Download des Hollywood-Blockbusters in höchster Qualität. Lineare Programme wird es weiterhin geben, ebenso wie Sender, die diese Programme produzieren, konfektionieren und vermarkten. Die spannende Frage ist, ob dahinter die selben Anbieter stehen werden wie heute.

Zusammenfassung aus Technology Review 09/2006. Das Heft ist ab dem 31. August im Handel oder portokostenfrei online zu bestellen. (wst)