"Alles wird als Open Source offengelegt"

John Gage, Mitgründer und Chef-Wissenschaftler von Sun Microsystems, über Versäumnisse der Computerindustrie, die Offenlegung von Hardware-Design und Innovationen beim Betrieb komplexer Software-Systeme.

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Sun Microsystems ist bekannt geworden als Hersteller verschiedenster Computertechnologien. Das kalifornische Unternehmen schuf unter anderem die Programmiersprache Java, die maßgeblich die Entwicklung des Web mitgeprägt hat, und das einflussreiche "Network File System", ein Protokoll für die gemeinsame Nutzung von Dateien in Netzwerken. Andere bekannte Technologien von Sun Microsystems sind die UNIX-Variante Solaris oder die auf SPARC-Prozessoren aufbauenden Server.

In den vergangenen Jahren ist es um Sun Microsystems allerdings etwas stiller geworden. John Gage, Mitgründer und Chef-Wissenschaftler von Sun Microsystems, sprach mit Technology Review über Versäumnisse des Unternehmens und der Computerindustrie allgemein, die Offenlegung von Hardware-Design und Innovationen beim Betrieb komplexer Software-Systeme.

TR: Sun ist in der Computerszene berühmt für innovative Ideen und radikale Konzepte. Dieser Ruf hat jedoch in den vergangenen Jahren ein wenig gelitten. Was können wir in den nächsten Jahren aus den Sun Labs erwarten?

Gage: Nun, die nächsten radikalen Ideen sind die radikalen Ideen von gestern. Wenn Sie sich die langfristige Entwicklung in der Computerbranche ansehen, dann ist das, was alle machen, in den Vierziger und Fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts entworfen worden. Es hat also vierzig Jahre gedauert die Prozessoren zum Funktionieren zu bringen, die Netzwerke aufzubauen und Programmiersprachen zu entwickeln, die wirklich Sinn machen. Der schnelle Fortschritt in der Hardware-Entwicklung hat uns alle ziemlich gut aussehen lassen in den neunziger Jahren, weil man Vieles einfach auf Grund der Prozessor-Geschwindigkeit machen konnte. Ziemlich wenig gedankliche Arbeit wurde in Programmierung und das Systemdesign gesteckt.

Was Sun betrifft, so wurden wir in den neunziger Jahren vom IT-Boom erwischt. Und in einer Boom-Phase reagieren viele Unternehmen so – Sun war da keine Ausnahme –, dass sie einfach mit dem weitermachen, was am erfolgreichsten war. Für Sun war das, und ist es immer noch, die Mobilfunkindustrie mit Servern auszurüsten. Die Explosion des WWW war für uns ein sehr großer geschäftlicher Erfolg, aber unsere Kunden haben einfach nicht nach neuen Produkten gefragt.

Das hat uns nicht daran gehindert, im Hintergrund an sehr ernsthaften technischen Innovationen zu arbeiten. Die wichtigsten davon sehen Sie jetzt in dem Chip-Design, der Multi-Core-Prozessoren, die wir in den vergangenen neun Monaten vorgestellt haben. Daran haben wir seit etwa zehn Jahren gearbeitet – die Chips, die jetzt herausgekommen sind, sind etwa 2001 bis 2002 entwickelt worden. Wir haben nicht viel darüber geredet, aber natürlich gibt es eine Vorlaufzeit für diese Dinge.

TR: Für wen sind die Multi-Core-Prozessoren gedacht?

Gage: Intel hat gestern bekannt gegeben, dass sie sehr froh darüber sind, in naher Zukunft einen Prozessor mit vier Kernen auszuliefern. Wir haben seit etwa einem Jahr einen Chip mit acht Kernen. Der Nächste wird doppelt so viele Kerne haben und doppelt so viele Threads verarbeiten können, und das geht immer weiter und weiter nach oben. Bei uns läuft das unter der Marketing-Bezeichnung "Cool Threads", weil man sehr viel Rechenkapazität von einer extrem energieeffizienten Technologie bekommt. Und für Leute wie Google oder eBay, die Hundertausende von Prozessoren in ihren Maschinen haben, bedeutet das eine Menge. Die zahlen mehr für ihre Stromrechnung als für ihre Hardware.

Das ist die eine Seite. Das zweite Gebiet betrifft die Software-Entwickler, die wissen wollen, was ihre Software wirklich tut. Wenn man irgendein Programm startet, ist es sehr schwierig, das zu verfolgen. Normalerweise muss man extra dafür andere Programme schreiben, die im Hintergrund laufen und Momentaufnahmen des Systemzustandes machen: Das Programm hat eine Funktion aufgerufen, die eine andere Funktion aufgerufen hat, die die Software der Festplatte angesprochen hat, die wiederum die Festplatten-Hardware anspricht. Am Ende, nach dieser Kette von Ereignissen, wird etwas von der Festplatte in den Arbeitsspeicher bewegt.

Vor etwa acht Jahren haben wir nun damit begonnen, rund 30.000 Messpunkte in unserem Betriebssystem zu installieren, damit wir das Verhalten von Programmen beobachten können. Wir haben das getan, weil unsere Kunden Mondroboter bauen, oder Flugzeuge - und wir wollten unser Betriebssystem echtzeitfähig machen. Und dann muss man natürlich sicherstellen, dass ein Programm auch wirklich innerhalb von zehn Millisekunden reagiert, wenn das so vorgesehen ist. Dabei haben wir gemerkt, dass diese Technologie uns ganz einzigartige Einsichten in das Verhalten jedes beliebigen Programms verschafft.

Alles was Sun macht, wird als Open Source offengelegt. Und erst vor einem Monat hat Apple sich entschlossen, diese "Dynamic Trace"-Technologie in sein MacOS-Betriebssystem zu übernehmen. Früher oder später wird sie auch in Linux zu finden sein. Sie können ihre Software damit nicht nur schneller machen, sondern auch sicherer. Zum ersten Mal sehen sie wirklich, was das Programm macht – Sie sehen, ob es vielleicht eine unsichere Bibliothek aufruft. Nun schreiben Sie ja für ein technisches Publikum, das diese Dinge sicherlich versteht. Aber versuchen Sie mal, das einem Haufen Geschäftsleuten zu erklären. Die wollen einfach nur, dass der Computer funktioniert - und das SAP schneller läuft. Glücklicherweise konnten wir das mit Hilfe von Dynamic Trace demonstrieren.

TR: Warum?

Gage: Das Betriebsystem bietet ihnen ein Vokabular von einigen hundert Systemaufrufen an. So verwenden Sie in der Regel Routinen, die Sie sich niemals genauer angesehen haben. Bis 2000 war Sun in Finanzbereich recht dominant. Dann kamen die kleinen Linux-Boxen ins Spiel - sehr sehr günstige Hardware mit kostenloser Software. Linux ermöglicht Ihnen ja auch, den kompletten Code durchzusehen und das rauszuschmeißen, was Sie nicht brauchen - Google hat das sehr erfolgreich praktiziert; die haben den größten Teil von Red Hat einfach weggeworfen und nur einen sehr kleinen Teil verwendet.

Wir sind also zu diesen Finanzleuten gegangen, die jetzt Linux-Maschinen verwendet haben, und haben gesagt: Zeigt uns ein wirklich gut optimiertes Programm. Ist das wirklich schnell? Ist das schneller, als die Software aus Solaris? Und die Leute sagten: Klar, wir haben das sehr gut optimiert. Also haben wir ihnen gesagt, lasst es auf Solaris laufen - wir haben das System so präpariert, dass man Linux-Programme ohne Umwege auch auf Solaris laufen lassen kann. Und dann haben wir Dynamic Trace angeschaltet und festgestellt, dass die beispielsweise eine Bibliothek aufgerufen haben, die nicht multi-threading-fähig war. Die konnte also all die Vorteile der neuen Hardware gar nicht ausnützen. Innnerhalb einer halben Stunde konnten wir deren schnellstes Programm fünfmal schneller machen. Das ist beeindruckend.

TR: Aber trotz dieser technologischen Leistungen ist der Marktanteil von Solaris doch in den vergangenen Jahren gesunken?

Gage: Nein. Im vergangen Jahr sind etwa sechs Millionen Kopien von Solaris heruntergeladen worden. Es ist im Aufschwung begriffen. Wenn die Leute sagen, wir sind an Open Source interessiert, muss man ja immer schauen, was sie wirklich meinen. Wir haben von Anfang an auf Open Source gesetzt - mit Dingen wie TCP/IP beispielsweise. Das hat Bill Joy geschrieben, als er ein Doktorand war und niemand hat jemals etwas dafür bezahlt. Später, als wir das Unternehmen gegründet haben, hatten, haben wir so weitergemacht mit dem Network File System (NFS).