Graphen: Vom Hype zur Anwendung

Zweidimensionaler Kohlenstoff, Graphen genannt, ist die große Hoffnung vieler Materialwissenschaftler. Nun kristallisieren sich erste Anwendungen heraus.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 2 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Jan Guldner

Zweidimensionaler Kohlenstoff, Graphen genannt, ist die große Hoffnung vieler Materialwissenschaftler. Nun kristallisieren sich erste Anwendungen heraus.

Um eines der faszinierendsten Materialien der Welt herzustellen, braucht man keine Hightech-Laborausstattung. Es reicht ein einfacher Küchenmixer. Das Rezept dazu hat der Physiker Jonathan Coleman vom Trinity College in Dublin im vergangenen Jahr ausprobiert. Man nehme ein paar Dutzend Gramm Graphitpulver, wie es in Bleistiftminen vorkommt, gieße es mit einem halben Liter Wasser auf, dazu noch einen Schuss Spülmittel und schalte dann das Küchengerät ein. Nach etwa einer halben Stunde im Mixer schwimmen in der Lösung mikrometerkleine Flocken aus Kohlenstoff, nur eine Atomschicht dünn, extrem hart und dabei auch noch leitfähig. Fertig ist das Wundermaterial Graphen.

Das Neue daran ist die Herstellungsmethode, nicht das Material selbst. Was nämlich lange fehlte, waren Anwendungen, um seine Möglichkeiten zu nutzen. Die Suche danach begann, als die Physiker Andre Geim und Konstantin Novoselov das Material entdeckten. Sie hatten es vor gut zehn Jahren mithilfe von Klebestreifen aus einer simplen Bleistiftmine von Hand isoliert. Nun soll es Computer schneller, Batterien langlebiger oder Solarzellen transparent und trotzdem leistungsfähiger machen.

Die Erwartungen an Graphen sind so groß wie seine Eigenschaften außergewöhnlich: Weil sich freie Elektronen extrem schnell in der zweidimensionalen Gitterstruktur bewegen, ist es leitfähiger als Kupfer oder Silizium. Es ist zwar sehr dünn und biegsam, aber durch die starken Verbindungen der Kohlenstoffatome untereinander fester als Stahl und härter als Diamant. Seinen Entdeckern brachte der Stoff im Jahr 2010 den Physik-Nobelpreis ein.

Auf das Potenzial setzten schnell auch Konzerne wie IBM oder Samsung, die große Summen in die Graphenforschung investierten. Die Europäische Union legte im Jahr 2013 ein milliardenschweres "Flaggschiff-Projekt" auf, um das Material weiter zu ergründen. 142 Forschergruppen aus 23 Ländern beteiligen sich daran. Allein im Jahr 2014 haben Wissenschaftler auf der ganzen Welt mehr als 9000 Patente mit Graphenbezug angemeldet, wie aus Zahlen des britischen Patentamtes hervorgeht.

Nun zeigen erste Projekte, was möglich ist. Trotzdem liegt noch ein langer Weg vor den Forschern. Denn die Produktion des Wunderstoffs ist eine weit größere Herausforderung als anfangs gedacht. "Man verspricht sich sehr viel von Graphen", sagt Michael Meister vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), der am EU-Projekt beteiligt ist. "Aber man kann nicht einfach Graphenpulver über ein Produkt streuen, und schon hat es dessen besondere Eigenschaften." Die von Geim und Novoselov verwendete Klebestreifen-Methode ist zwar relativ einfach, bringt aber nur geringe Erträge. Für die Forschung reicht das meist aus. Um jedoch auch dem industriellen Einsatz zu genügen, müssen andere Verfahren her.

Eine davon dürfte Colemans Mixer-Methode sein, auch Liquid Phase Exfoliation (LPE) genannt. Denn die winzigen Graphenflocken lassen sich auch in größerem Maßstab herstellen und relativ einfach einsetzen – etwa indem man sie mit anderen Materialien vermischt oder auf Oberflächen sprüht. "Diese Methode liefert zwar nur eine sehr schlechte Qualität, reicht aber zumindest für einige Anwendungen", sagt Daniel Neumaier, Physiker bei der Gesellschaft für Angewandte Mikro- und Optoelektronik (AMO GmbH) und Leiter des Arbeitspakets Hochfrequenztechnik beim EU-Projekt. Mithilfe der Flocken werden beispielsweise Verbundwerkstoffe fester und härter.

Für seine Forschung an Mikroelektronik und Hochfrequenztechnik braucht Neumaier allerdings Graphen von sehr reiner Qualität und mit hoher Leitfähigkeit. AMO bezieht deshalb Graphenfolien, die auf einer Kupferplatte gewachsen sind. Die Methode dahinter ist die sogenannte chemische Gasabscheidung (Chemical Vapor Distribution): Ein kohlenstoffhaltiger Vorläufer wie Methan wird unter hoher Temperatur auf eine Kupferplatte oder ähnliche Unterlagen gesprüht. Atom für Atom wächst eine Graphenschicht, ähnlich den Frostkristallen auf einer Fensterscheibe. Schwierig ist dabei, das hauchdünne Material ohne Schäden von der Platte zu lösen. Die Hersteller heben es in manchen Fällen mit einem Stempel ab, oder sie schälen es mit Lösemitteln vom Trägermetall. In jedem Fall aber dauert die Produktion länger und kostet außerdem mehr als die LPE-Methode.

Die Suche nach einer geeigneten und zugleich wirtschaftlichen Herstellungsmethode ist deshalb noch lange nicht abgeschlossen. Experten sind sich einig: Bis wirklich bahnbrechende Anwendungen in Serie hergestellt werden, vergehen noch 10 bis 15 Jahre. Hinzu kommt: Der Graphen-Hype hat dazu geführt, dass die Wissenschaft nun auch andere 2D-Materialien genauer unter die Lupe nimmt – zweidimensionales Silizium oder Phosphor zum Beispiel, genannt Silizen und Phosphoren. "Vielleicht", sagt Fraunhofer-Forscher Michael Meister, "findet man dann auch ein anderes 2D-Material, das als Killer-Applikation den Durchbruch schafft." (bsc)