Neue Hoffnung für Parkinson-Kranke

Etwa 250.000 Menschen in Deutschland leiden an der Nervenkrankheit Parkinson, die häufig nur unzureichend zu behandeln ist. Stammzell- oder Gentherapien könnten künftig die Krankheit erfolgreicher eindämmen.

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Von
  • Edda Grabar

Parkinson-Patienten erkennt man recht leicht. Der Kopf hat seinen Körper nicht mehr unter Kontrolle. Er schüttelt ihn zunächst bei wenigen Bewegungen, später zunehmend, durch. Das Zittern ist das erste deutliche Merkmal. Doch eigentlich beschreibt es den Anfang vom Ende eines bereits über Jahre andauernden Prozesses: Zellen, die den Nervenbotenstoff Dopamin produzieren und freisetzen, sterben in der schwarzen Substanz des Mittelhirns ab. Darüber gerät die Motorik durcheinander. Irritiert von dem fehlenden Botenstoff, schicken bewegungssteuernde Nervenzellen plötzlich in stumpfem Gleichtakt ihre Signale zu den Gliedmaßen, anstatt sich gegenseitig und individuell zu verständigen, und versetzen den Körper damit in abgehakte Rüttelbewegungen. Beginnt das Zittern erst, sind bereits mehr als die Hälfte der einst etwa 800.000 dopaminergen Zellen abgestorben.

Zwischen 200.000 und 250.000 Menschen leben in Deutschland mit dem bislang ungeklärten Verlust von Nervenzellen und seinen Folgen – Tendenz steigend. Denn der Hauptrisikofaktor ist das Alter. Je mehr der Einzelne an Jahren gewinnt, umso stärker läuft er Gefahr, an Parkinson zu erkranken. Seit Jahrzehnten bemühen sich Wissenschaftler, die Krankheit zu verstehen und zu behandeln – mit zweischneidigem Erfolg: Medikamente, die zunächst das wertvolle Dopamin ersetzen, versagen nach einigen Jahren ihre Wirkung. Hirnschrittmacher bekämpfen zwar erfolgreich die Symptome, können aber die Krankheitsursache nicht aufhalten.

Zwei Arbeitsgruppen in Deutschland versuchen nun mit viel versprechenden wie skepsisbeladenen Ansätzen ihr Glück: Das erst fünf Jahre alte Biotech-Unternehmen Neuroprogen hofft, in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI) bereits im nächsten Jahr durch neurale Stammzellen den Patienten helfen zu können. Vincent Ries, Neurologe an der Uniklinik Gießen und Marburg GmbH, hat hingegen einen Weg gefunden, die gefährdeten Nervenzellen per Gentherapie zu schützen – wenigstens im Tierversuch, wie er in dem Fachmagazin Proceedings of the National Acadamy of Science (PNAS) veröffentlichte.

Dabei mag sich gerade bei der letzteren Methode leichtes Unbehagen einstellen. Gescheiterte Therapieversuche und Todesfälle brachten die Gentherapie in Verruf. Trotzdem halten Experten weltweit an dem Konzept fest. Vincent Ries brachte gemeinsam mit Kollegen des Columbia University Medical Centers in New York mithilfe von entschärften Viren ein Eiweiß in die Gehirnregion ein, wo die Krankheit entsteht. Diese Proteinkinase B löst eine Signalkette aus, die sowohl einen regenerierenden als auch einen schützenden Effekt auf Nervenzellen halt. „Dabei gelang es uns, einen nahezu vollständigen Schutz der Nervenzellen gegen das Parkinsongift zu erreichen“, sagt Ries.

Mehr noch: Die Forscher beobachteten, dass die Proteinkinase B sowohl Nervenzellen im erwachsenen als auch im gealterten Gehirn aktivieren und damit neue Nervenfasern bilden kann. "Damit haben wir auch die Machbarkeit dieses Therapieansatzes nachgewiesen, der sich ja vor allem an ältere Patienten richten soll", so Ries. Derzeit handelt es sich bei den Patienten allerdings nur um Mäuse. Weitere Tierversuche stehen noch aus, bevor sich die Ärzte an den Menschen wagen können.

Sigrid Schwarz blickt bereits weiter. Die Mitbegründerin und Geschäftsführerin von Neuroprogen hofft, spätestens Anfang des nächsten Jahres den ersten Patienten abgestorbene Zellen mit neuen aus Stammzellen gezüchteten Neuronen zu ersetzen. Anders als ihr Kollege aus Marburg greifen die Forscher von Neuroprogen auf ein Verfahren zurück, dass in anderer Form bereits seit einigen Jahren eingesetzt wird. Der schwedische Neurologe Olle Lindvall und sein Team von der Universität in Lund kamen vor etwa 15 Jahren auf die Idee, Parkinson-Kranke mit embryonalem Mittelhirngewebe zu behandeln. Nach den Daten der Forscher gelang das Experiment. Die Zellen wuchsen zu neuen Nervenzellen aus, die das notwendige Dopamin produzieren. Allerdings benötigen Ärzte für einen Patienten Stammzellen aus sechs bis acht Föten. „Bei dieser Zahl darf man sich schon die Frage stellen, ob das aus ethischen und Qualitätsaspekten zu rechtfertigen ist“, gibt Sigrid Schwarz erfrischend unumwunden zu.

Auch sie muss auf Stammzellen aus gestorbenen Föten zurückgreifen. Doch stammen diese von natürlichen Aborten. „Wir bekommen die Zellen von verschiedenen staatlich kontrollierten Spenderorganisationen aus den USA“, sagt Schwarz, wo auch sichergestellt sei, dass die Mütter ihr Einverständnis gegeben haben. Und auch der Einsatz ist ein anderer: „Wir schätzen, dass wir etwa 50 bis 100 Patienten mit Ursprungszellen aus einem Spender behandeln“, sagt sie. Und das seien sehr konservative Rechnungen. So vergleicht sie die Zelltransplantationen auch eher mit konventionellen Organspenden, „ähnlich einem Motorradfahrer, der verunglückt und seine Organe schwerkranken Menschen zur Verfügung stellt, nur dass wir quasi ein Organ für viele Patienten nutzen“.

Möglich wurde die enorme Ausbeute durch ein von Neuroprogen entwickeltes Verfahren. Ein Cocktail aus wachstums- und entwicklungsbestimmenden Faktoren macht es möglich, dass sich die kostbaren Jungbrunnen sogar über Jahre kultivieren lassen – und genau zu den Dopamin ausschüttenden Nervenzellen heranwachsen, die die Patienten benötigen. Neurochirurgen können sie anschließend ins Gehirn pflanzen. „Und zwar nicht in die Region, wo Zellen absterben, sondern dort, wo das Dopamin aus der schwarzen Substanz dringend benötigt wird“, erklärt Schwarz. Und tatsächlich übernehmen die neuen Nervenzellen in den experimentellen Parkinsonmodellen die für sie bestimmte Funktion und lindern die klinischen Symptome.

Eine Heilung sei auch diese Therapie nicht, sagt Schwarz. Doch sind die Forscher zuversichtlich, dass die neuen Zellen nicht von der Parkinson-Krankheit ergriffen werden. Diesem Schicksal, so Schwarz, wären auch die transplantierten fetalen Zellen aus Schweden erfolgreich entgangen. Dennoch gibt das Verfahren auch Zweifel auf. Zwei Studien aus den Vereinigten Staaten, die ebenfalls auf die jungen Zellen setzten, kamen zu enttäuschenden Resultaten: Den Patienten erging es ein halbes Jahr nach der Verpflanzung wieder schlechter.

Sigrid Schwarz, aber auch Stephen Minger vom Kings College in London, der ebenfalls an einer Parkinson-Therapie mit Stammzellen forscht, halten die Studien nicht mit den in Schweden vorgenommenen Experimenten vergleichbar. Die Zellen sind nach einer anderen Methode gewonnen worden. „Außerdem wurden in einer Studie, Medikamente, die die körpereigene Abwehr gegen die fremden Zellen unterdrücken, nach sechs Monaten abgesetzt“, so Schwarz. Sie und andere Experten sehen darin eine mögliche Ursache, dass die Wirkung der Zelltherapie nicht angehalten hat. (nbo)