Zähe Zeitgenossen

Kohlenstoffnanotubes stehen seit längerem im Verdacht, toxisch zu sein. Bislang wusste man allerdings nicht, wie sie sich in der Umwelt verhalten. Eine US-Studie zeigt: In natürlichen Gewässern bleiben sie einen Monat als Schwebeteilchen verteilt.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Niels Boeing

Nanotubes sind die Superstars der Nanotechnik. Seit langem begeistern sich Forscher für die verblüffenden Eigenschaften der röhrenförmigen Kohlenstoffmoleküle, und es vergeht kein Monat, in dem nicht eine neue potenzielle Anwendung für sie publiziert wird. Doch wie echte Superstars haben auch sie eine dunkle Seite: Sie können auf Zellen und Mikroorganismen toxisch wirken, wie verschiedene Laboruntersuchungen gezeigt haben. Dies könnte an ihrer faserähnlichen Form liegen: Sie sind nur wenige Nanometer breit, aber einige Mikrometer lang, weshalb sie manchmal voreilig mit Asbest verglichen werden.

Bislang handelte es sich hierbei um ein theoretisches Risiko, denn Nanotubes werden noch nicht in großen Mengen produziert und industriell nur als Beigabe zu Akkuelektroden, Kunststoffen oder Lacken verwendet. Doch Jaehong Kim und Joseph Hughes vom Georgia Institute of Technology haben nun eine beunruhigende Entdeckung gemacht. Anders als andere Nanopartikel klumpen sie in Wasser nicht zusammen, sondern bleiben unter bestimmten Bedingungen über einen Monat in Wasser als Schwebeteilchen verteilt.

Kim und Hughes mischten die Röhrchen im Labor mit Flußwasser aus dem Suwanee River. Wie andere natürliche Gewässer enthält dieses auch organisches Material. Und genau dieses verhindert offenbar ein, dass sich die Nanotubes auf dem Boden absetzen oder zu unschädlichen Klumpen agglomerieren. „Wir wissen noch nicht, warum natürliches organisches Material diesen Effekt hat“, sagt Kim. „Wir vermuten, dass es chemische Eigenschaften hat, die die Nanotubes daran haften lässt.“

Der Umweltingenieur untersuchte Nanotubes in drei verschiedenen Wasserzusammensetzungen. In sauberem Wasser ohne natürliches organisches Material setzten sich die Nanotubes schnell auf dem Boden des Gefäßes ab. Innerhalb einer Stunde war die Flüssigkeit wieder transparent. In Wasser, dem ein Prozent Natrium-Dodecyl-Sulfat beigegeben war, blieben einige Nanotubes verteilt. Die Mischung behielt eine hellgraue Färbung. In einer Probe aus Flusswasser hingegen dauerte es vier Tage, bis sie sich von dunkel- zu hellgrau entfärbte. Einige Nanotubes schwebten auch noch nach einem Monat in dem Gemisch, und zwar vereinzelt.

Dieser Befund ist deshalb wichtig, weil es bislang keine Untersuchungen gibt, wie sich Nanopartikel in der Umwelt verhalten, nachdem sie entsorgt worden sind. „Die Tatsache, dass sie vereinzelt vorliegen, macht es wahrscheinlich, dass Nanotubes in einer natürlichen Umgebung weitertransportiert werden könnten“, sagt Kim. Sollten die Kohlenstoffröhrenchen aus nanotubehaltigem Material so ins Grundwasser entweichen, wäre es demnach denkbar, dass sie dort als Schwebeteilchen für einige Zeit bioaktiv bleiben.

„Das ändert unsere Sichtweise auf das Verhalten von Nanotubes“, sagt Joseph Hughes. Zusammen mit Kollegen hatte er bereits 2005 herausgefunden, dass so genannte Buckyballs, Moleküle aus 60 Kohlenstoffatomen, Bakterien abtöten, die im Erdreich vorkommen – zumindest im Labor. Wenn nun für Nanotubes eine Situation vorliege, in der Organismen den Molekülen ausgesetzt sein könnten, gewinne die Frage nach ihrer toxischen Wirkung an Bedeutung.

Der Molekularbiologe Peter Wick von der schweizerischen EMPA in St. Gallen hat in Labortests festgestellt, dass Nanotubes Bakterien schädigen können. Allerdings konnte er bislang nicht zweifelsfrei erklären, ob diese toxische Wirkung auf die Rückstände von Katalysatoren zurückzuführen ist, die bei der Produktion von Nanotubes eingesetzt sind. „Die scheinen also nicht ganz unbedenklich zu sein“, urteilt Peter Wick.

Forscher der Universität York haben die Auswirkungen von Nanopartikeln auf so genannte Daphnien, Kleinkrebse, untersucht. „Wir haben festgestellt, dass die Daphnien die Teilchen sehr schnell aufnehmen“, sagt Alistair Boxall. Bei einer Konzentration von einem Milligramm pro Liter stieg die Mortalitätsrate der Kleinkrebse nach drei Tagen drastisch an und erreichte nach sechs Tagen 100 Prozent. Die Versuchsanordnungen seien allerdings hochartifiziell gewesen, schränkt Boxall ein. Man habe aber in Wasserproben aus umliegenden Seen schon künstliche Nanopartikel nachgewiesen.

„Die Geschichte von Chemikalien in der Umwelt hat immer wieder zu unerfreulichen Überraschungen geführt“, sagt Douglas Parr, Nanotech-Experte von Greenpeace Großbritannien. „Wenn Nanotubes in natürlichen Gewässern tatsächlich verharren, wird es umso dringlicher, ihre Auswirkungen zu untersuchen.“ Die Arbeit von Kim und Hughes sei ein guter Indikator für die Bedeutung der Nanotoxizitätsdebatte. „Wir sollten die Risikoforschung zu Nanopartikeln starten, bevor sie in großen Mengen freigesetzt werden.“

Das Paper:
Hoon Hyung et al., "Natural Organic Matter Stabilizes Carbon Nanotubes in the Aqueous Phase", Environ. Sci. Technol., 41 (1), S. 179 - 184, Januar 2007 (nbo)