Verriss des Monats: Strahlenwolkig

Der französische Kosmetikhersteller Clarins hat gerade ein Spray namens “expertise 3p”auf den Markt gebracht, das die Haut vor den Auswirkungen künstlicher elektromagnetischer Felder schützen soll.

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Von
  • Peter Glaser

Abgerechnet wird zum Schluss: Die Kunst des gepflegten Verreissens zweifelhafter Produkte ist ein wenig – sagen wir mal – aus der Mode gekommen. Künftig wird deshalb an dieser Stelle – immer am letzten Tag des Monats – unser Kolumnist Peter Glaser eine Rezension der etwas anderen Art präsentieren: Den Verriss des Monats. Vorschläge für besonders zu würdigende Produkte werden gerne per Mail entgegen genommen.

Anfang der Sechzigerjahre war in “Fox Tönende Wochenschau” ein Atomwissenschaftler zu sehen, der die Auffassung vertrat, man könne sich gegen radioaktive Strahlung ähnlich wie gegen Masern immunisieren. Neben ihm lutschten seine beiden minderjährigen Kinder eigens für sie angefertigte Strontium-Lollys. Nachdem Atomstrahlen etwas aus der Mode gekommen sind, gibt es jetzt endlich wieder wissenschaftlichen Abwehrzauber. Diesmal geht es gegen Elektrosmog. Der französische Kosmetikhersteller Clarins hat gerade ein Spray namens “expertise 3p” auf den Markt gebracht, das die Haut vor den Auswirkungen künstlicher elektromagnetischer Felder schützen soll, wie sie von Mobiltelefone oder Laptops emittiert werden.

Das etwa 40 Euro teure Mittel (“You can spritz it over bare skin”) enthält einen “Magnetic Defence Complex”, der “die Widerstandsfähigkeit der Haut gegenüber den gesundheitsschädigenden Effekten künstlicher elektromagnetischer Wellen" verstärken soll. Eigentlich gehört es damit nicht mehr zu den Kosmetika, sondern zu den Psychopharmaka: Es hilft gegen Angst. Gegen jene diffuse Angst, welche sich in den Ritzen der Vernunft sammelt wie Staub in Parkettfugen. In keiner der Hunderten von Studien, die bisher durchgeführt wurden, konnten gesundheitsschädigende Wirkungen durch nichtionisierende elektromagnetische Strahlung festgestellt werden, wie sie von funk- und WLAN-fähigen Geräten ausgesandt wird.

Vom Marketinggesichtspunkt aus ist expertise 3p allerdings eine Innovation. Statt mühsam unterschiedliche Nutzerinnenpotentiale erforschen zu müssen, kann das Strom-weg-Spray breitestmöglich vermarktet werden, denn: “Denken Sie daran: Elektromagnetische Strahlung ist 24 Stunden am Tag präsent und wirkt sich sowohl auf die Haut von Männern als auch auf weibliche Haut aus.” Und wie viele schöne, unbehandelte Ängste es darüber hinaus doch noch gibt, ich denke etwa an Aerosole gegen Höhenangst, die einfach auf die Höhe gesprüht werden, oder Tröpfchennebel gegen zahlreiche weitere kleine Gemeinheiten des Lebens.

Die beiden Wirkstoffe, mit denen Clarins es dem fiesen Feinstrom zeigt, sind Thermus thermophillus und Rhodiola rosea. Das Bakterium Thermus thermophilus (mit dessen Orthographie sich die Clarins-Werbeleute schwer tun) ist eine an Temperaturen zwischen 60 und 85 Grad Celsius angepaßte – “thermophile” – Lebensform, die erstmals aus heißen Quellen in Japan isoliert wurde. Sie soll offenbar Wirksamkeit gegen die thermischen Effekte der Funkstrahlung suggerieren, die allerdings ohnehin so geringfügig sind, dass die auftretende Erwärmung um Zehntelgrade keine Schädigung erwarten läßt.

Rhodiola rosea, bei uns auch als Rosenwurz bekannt, gedeiht in hochliegenden und kalten Gebieten, in Sibirien wird die Pflanze “Goldene Wurzel“ genannt. Russische Jugendliche sagen den Blättern leicht berauschende Wirkung nach. Im Internet finden sich Rezepte zum Selbstbau einer entsprechenden Tinktur (“Tausendstel 30 Gr von Rhodiola rosea wurzeln in einem Kaffee-Schleifer kein weniger als 5 bis 10 Millimeter mahlen ...”) – Nasdrowje!

“Elektrosmog unterscheidet sich in seiner Beschaffenheit nicht von sichtbarem Licht. Die Frequenz von Mobiltelefonen etwa liegt weit unter der Frequenz des Lichts; relevant ist, dass Mikrowellenstrahlung mit Materie wechselwirkt (sie regt die Rotation von Molekülen an, nach dem Prinzip funktioniert ein Mikrowellenherd). Im Fall von Handy und WLAN besteht allerdings wegen der geringen Intensität der Strahlung keine erkennbare Gefahr. Manche Zweifel aber scheinen zu den untrennbaren Begleitern neuer Technologien zu gehören.. So waren auch bei der Einführung des elektrischen Lichts Skepsis und Sorge verbreitet. 1882 hatte mit Edisons Erfindung im New Yorker Bahnhof Pearl Street am unteren Broadway die künstliche Beleuchtung Einzug in die USA gehalten. In Paris gingen die Damen damals, da sie Angst vor dem stechenden Licht hatten, nachts mit Schirmen durch die Straßen.” (wst)