"Cash ist extrem King"

XING-Gründer Lars Hinrichs über den Unterschied zwischen Web 2.0 und New Economy, die Bedeutung Chinas für sein Geschäft und neue Features, mit denen sich XING gegen die stärker werdende Konkurrenz behaupten will.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Niels Boeing
Inhaltsverzeichnis

Es ist eine dieser typischen Webgeschichten: Inspiriert von der Small-World-Theorie, nach der zwischen zwei beliebigen Personen eine Verbindung über maximal sechs Zwischenglieder - Bekannte von Bekannten - hergestellt werden kann, startete Lars Hinrichs 2003 in seinem Wohnzimmer ein Online-Business-Netzwerk. Es sollte eine Plattform bieten, auf der Nutzer schnell und übersichtlich Kontakte knüpfen und online Geschäftspartner finden können. Zu diesem Zeitpunkt war der Begriff "Web 2.0" noch nicht geboren.

Heute hat XING 1,5 Millione Mitglieder und ist damit in Deutschland Marktführer in dem Bereich. Die Betreiberfirma Open Business Club AG ist inzwischen an der Börse notiert. Technology Review sprach mit Hinrichs, der bereits Ende der Neunziger politik-digital.de mitgegründet hatte, über den Unterschied zwischen Web 2.0 und New Economy, die Bedeutung Chinas für sein Geschäft und neue Features, mit denen sich XING gegen die stärker werdende Konkurrenz behaupten will.

Technology Review: Herr Hinrichs, XING ist eine der Erfolgsgeschichten des Web 2.0 in Deutschland. Können Sie den Begriff „Web 2.0“ noch hören?

Lars Hinrichs: „Web 2.0“ war enorm wichtig, weil es ein Begriff ist, der eine fundamentale Veränderung bezeichnet: Der Nutzer steht im Mittelpunkt, kreiert die Inhalte. Nach zwei Jahren wird man aber doch ein wenig müde, ihn zu gebrauchen. In den USA ist der Begriff out.

TR: Was ist in der jetzigen Phase des Webs noch anders als vorher, abgesehen davon, dass der Nutzer im Mittelpunkt steht?

Hinrichs: Es gibt deutlich weniger Firmen, weniger Exitmöglichkeiten. Es wird nur darauf geschaut: Was macht wirklich Gewinn? Was kann ich zeitnah kommerzialisieren? Oder man will etwas haben, was der Wettbewerber auf keinen Fall haben soll – das ist das Spiel, das Google, Yahoo und andere spielen.

TR: Welche nützlichen Erfahrungen haben Sie aus der alten „New Economy“ mitgenommen, die in den Aufbau von XING eingeflossen sind?

Hinrichs: Das können Sie daran sehen, wie diese Firma entstanden ist. Sie wurde mit eigenem Geld gegründet. Zuerst war das eine virtuelle Firma, in der ich de facto alles outgesourcet habe: Programmierung, Finanzen, alles, was sich auslagern lässt. Und je nachdem, ob es sich gerechnet hat, konnte man es reinholen. Nur so haben wir es geschafft, entgegen allen Internet-Lehren, dass die Firma nach 90 Tagen schon cash-flow-positiv war. Cash ist extrem King geworden.

TR: Wie viele echte Geschäfte kommen über XING zustande?

Hinrichs: In unserer letzten Studie „Kommunikation und Networking im Internet“ gaben von knapp 25.000 befragten Mitgliedern 16 Prozent an, dass sie schon Neugeschäfte mit Umsatz gemacht haben, davon jeder Vierte mit mehr als sechs Abschlüssen. Das wollen wir noch verstärken und eine Art Marktplatz einrichten.

TR: Wie soll der aussehen?

Hinrichs: Da sollen Angebot und Nachfrage noch schneller zueinander finden. Es wird vor allem um Jobs und Dienstleistungen gehen.

TR: Es ist ja derzeit eine Rückbindung des Webs an die reale Welt zu beobachten, sei es in Form von Lokalisierung von Webinhalten in Google Earth, sei es in Form von XING-Nutzern, die sich auf Veranstaltungen treffen. Ist das schon ein Trend?

Hinrichs: Die Leute wollen einfach zueinander finden. Aber das geht von den Nutzern selbst aus. Wir unterstützen das, indem wir Event-Management-Tools anbieten. Vergangenes Wochenende gab es zum Beispiel ein Golf-Event einer XING-Golfgruppe. Die zählt mittlerweile über 10.000 Leute, die jede Woche Golfrunden in Europa und mittlerweile auch in Asien veranstalten. Diese Zusammenkünfte machen vieles einfacher, und man braucht keine Visitenkarten mehr auszutauschen, weil man sich sowieso in XING findet.

TR: Second Life funktioniert dagegen eher im alten Sinne, dass die Nutzer sich Alter Egos und Avatare geben.

Hinrichs: Second Life ist sehr spannend. Interessant ist, dass es Sachen umsetzt, die es auch schon damals, in der „New-Economy-Phase“, gegeben hat. Nehmen Sie den VRML-Standard für eine 3D-Darstellung: Second Life nutzt eine ganz ähnliche Technologie, nur ist jetzt die Bandbreite vorhanden, und es gibt ein ganz klares Geschäftsmodell.

TR: Wie hoch ist der Druck, sich weiterzuentwickeln? LinkedIn, Marktführer bei den sozialen Netzwerken in den USA, will in einigen Wochen seinen deutschen Ableger starten ...

Hinrichs: ...das kündigen sie schon seit zwei Jahren an.

TR: Dennoch: Woran arbeiten Sie, wie entwickeln Sie XING weiter, um der Konkurrenz einen Schritt voraus zu sein?

Hinrichs: Wir sind ständig damit beschäftigt, die Plattform zu optimieren. Aber wir stehen noch ganz am Anfang. Wir entwickeln zurzeit beispielsweise ein API, also eine Schnittstelle, um die Daten aus XING auch anderen Anwendungen wie Outlook oder Content-Management-Systemen zur Verfügung stellen zu können. Oder man könnte sich zum Beispiel in Google Maps anzeigen lassen, wo XING-Mitglieder sitzen. Eine andere Idee ist eine Art „Netzwerk-Gesundheitsmonitor“, der mir zeigt, wen ich schon länger nicht mehr kontaktiert habe. Wie stark eine Beziehung zwischen zwei Mitgliedern ist, können wir schon berechnen.