"Das Rennen ist offen"

Thomas Rachel, Parlamentarischer Staatssekretär im BMBF, über die Kommerzialisierungsschwäche der deutschen Nanotech-Szene, die Bedeutung der Nanotechnik für Umweltprobleme und die Strategie hinter der Nanotech-Förderung der Bundesregierung.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Niels Boeing
Inhaltsverzeichnis

Während der Medienhype um die Nanotechnik wieder etwas abgeflaut ist, steigen die weltweiten Investitionen in Technologien, die gezielt molekulare Strukturen ausnutzen, weiter. Alle großen Industrieländer haben inzwischen eigene Nanotech-Programme aufgelegt, um sich für das Rennen um einen prognostizierten Billionenmarkt zu rüsten. So legte die Bundesregierung im November 2006 ihr Programm "Nano-Initiative – Aktionsplan 2010" vor. Technology Review sprach mit dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesforschungsministerium Thomas Rachel, der morgen in Düsseldorf das Euronanoforum eröffnet, über die Kommerzialisierungsschwäche der deutschen Nanotech-Szene, die Bedeutung der Nanotechnik für die Lösung von Umweltproblemen, die Regulierung von Nanomaterialien und die Strategie hinter der Nanotech-Förderung der Bundesregierung.

Technology Review: Wie beurteilen Sie den derzeitigen Stand der deutschen Nanotech-Szene im internationalen Vergleich?

Thomas Rachel: Wir haben in der Bundesrepublik rund 600 Unternehmen, die sich mit der Entwicklung, der Anwendung und dem Vertrieb nanotechnologischer Produkte befassen. Davon sind etwa 120 Großunternehmen und 480 kleine und mittelständische Unternehmen (KMU). Rund 200 dieser KMU kann man als Nano-Kernunternehmen bezeichen, die sich auf nanotechnologische Produkte und Dienstleistungen konzentrieren. Insgesamt hat die deutsche Wirtschaft auf dem Gebiet der Nanotechnologie rund 50.000 Arbeitsplätze geschaffen – Tendenz steigend.

Zu den Stärken in Deutschland zählt die gute Forschungs- und Entwicklungsinfrastruktur und das hohe Niveau der Forschung, aber auch die industrielle Basis für die Forschungsergebnisse ist insgesamt sehr gut. Die öffentliche Hand hat im Jahr 2005 immerhin 310 Millionen Euro für Forschung und Entwicklung im Bereich der Nanotechnologie ausgegeben. Das ist sehr viel. Wir sind damit hinter den USA und Japan weltweit auf Platz 3. Das Gleiche gilt auch für die Patentanmeldungen in der Nanotechnologie, während sich bei den Publikationen China nach vorne geschoben hat, so dass Deutschland hier auf Platz 4 liegt.

Die Stärke der Amerikaner ist nach meiner Einschätzung, dass sie sehr schnell eine kommerzielle Umsetzung auf den Weg bringen. Da sind die amerikanischen Unternehmen Vorbild. Innerhalb Europas übrigens ist Deutschland praktisch führend in der Nanotechnologie.

TR: Nanotech-Experten in den USA haben bislang immer betont, dass die Nanotechnik die erste Hochtechnologie seit dem Zweiten Weltkrieg sei, in der die Amerikaner nicht führend sind. Werden die USA trotzdem in den kommenden Jahren davon ziehen? Ein konkretes Beispiel: Bei Nanosolarzellen wurde viel Knowhow in Europa entwickelt, aber es sind US-Startups wie Konarka Technologies oder Nanosolar, die sehr weit vorangekommen sind, daraus echte Produkte zu machen.

Rachel: Ich würde sagen, das Rennen ist offen. Die USA sind zwar sowohl bei der kommerziellen Umsetzung als auch bei privatwirtschaftlichen Investitionen in der Nanotechnologie führend. Aber es gibt Bereiche wie die Nanochemie oder die Nanooptik, in denen Deutschland genauso gut aufgestellt ist. Da haben wir Unternehmen, die Weltmarktführer sind. Im Bereich der Nanoelektronik wiederum kann man schon sagen, dass die Japaner ernsthafte Konkurrenten sind.

Um Ihr Beispiel aufzugreifen: Bei organischen Solarzellen sind amerikanische Firmen in der Tat führend. Da sind die Deutschen noch eher in Nischenfeldern tätig. Sehr gute Voraussetzungen haben wir allerdings bei Dünnschichtsolarzellen mit Unternehmen wie Solarion oder CIS Solartechnik. Organische Solarzellen werden langfristig sicher an Bedeutung gewinnen und könnten der Photovoltaik weltweit zum Durchbruch verhelfen. Hier haben Unternehmen in Deutschland eine starke Forschung. Institutionell sind wir auch mit der Fraunhofer-Gemeinschaft gut aufgestellt. Wir werden aber im Bundesforschungsministerium die Aktivitäten auf diesem Gebiet verstärken.

TR: Ich höre von hiesigen Nanowissenschaftlern immer wieder, dass Ausgründungen und Technologietransfer in marktfähige Produkte in Deutschland noch immer zu schwerfällig seien. Was kann die Bundesregierung tun, um das ändern?

Rachel: Wir konzentrieren uns darauf, den Zugang der KMU zu den Forschungsergebnissen zu erleichtern und sie stärker an den nationalen und europäischen Forschungsprogrammen zu beteiligen. Damit leisten wir auch einen Beitrag, eine Nanotechnologie-Startup-Szene in Deutschland zu etablieren.

Wir werden unsere Förderung der kleinen und mittelständischen Unternehmen künftig durch zentrale Anlaufstellen und eine optimierte Beratung verbessern. Wir haben dafür als BMBF beispielsweise das Programm NanoChance für KMU aufgelegt. Dafür geben wir ungefähr 15 Millionen Euro aus. Das Bundeswirtschaftsministerium hat das Programm Pro Inno ausgeschrieben, in dem die Innovationskompetenz von KMU unterstützt wird. Davon profitiert auch die Nanotechnologie, ebenfalls mit einem Volumen von rund 15 Millionen Euro. Mit dem Existenzförderprogramm Exist Seed – ebenfalls beim Wirtschaftsministerium – soll die Gründungskultur an Forschungseinrichtungen und Hochschulen unterstützt werden. Hier gehen zehn Prozent der geförderten Projekte unmittelbar in den Bereich Nanotechnologie. Wichtig ist außerdem noch der Hightech-Gründerfonds des Wirtschaftsministeriums, mit dem Beteiligungskapital für Firmenneugründungen bis zu einer Höhe von 500.000 Euro in der ersten Finanzierungsphase zur Verfügung steht. Das alles sind wichtige Instrumente, um die Nanotechnologie zu stärken.

TR: Die Bundesregierung hat die Leitinnovationen zur Nanotechnik bislang vor allem auf traditionell starke Branchen in Deutschland wie Automobilbau, Medizintechnik, Optik zugeschnitten. Hat dieses Konzept bereits die erhofften Früchte getragen?

Rachel: Es ist richtig, dass die Leitinnovationen ein vorrangiges Ziel verfolgen: nämlich Stärken zu stärken. Insofern ist der Blick hier nicht auf die Kleinen gerichtet. Aber man muss sehen, dass wir es beispielsweise in der Medizin – für die es die Leitinnovation NanoforLife gibt – mit langen Entwicklungszeiten zu tun haben, bis zu zehn Jahre. Da kann nicht von heute auf morgen eine Umsetzung stattfinden.

Konkrete Auswirkungen können wir schon beim Programm NanoLux sehen, wo es um weiße Hochleistungs-LEDs geht, die wir für Frontscheinwerfer für Automobile einsetzen wollen. Die haben mehrere Vorteile: weniger Stromverbrauch, eine höhere Farbtemperatur und eine größere Effizienz bei zugleich kleinerer Baugröße. Hier ist die Firma Osram inzwischen weltweit auf Platz 3.

TR: Warum gibt es bislang keine eigene Leitinnovation Nano4Eco oder Green Nano? Umwelttechnik und -Dienstleistungen sind doch längst zu einer bedeutenden Branche in Deutschland geworden, mit mindestens 1 Million Arbeitsplätzen, wie immer wieder zu lesen ist.

Rachel: Es passiert in diesem Feld schon einiges. In Leitinnovationen wie NanoMobil oder NanoLux werden auch umweltrelevante Aspekte abgedeckt: umweltfreundliche Autos oder nachhaltige Lichtquellen. Das ist bereits Teil unserer Aktivitäten. Wir denken aber tatsächlich zurzeit darüber nach, ob man die umweltrelevanten Aspekte nicht als eigene Fördermaßnahme als „NanoNature“ strukturiert.

TR: Warum wird umgekehrt die Nanoelektronik überproportional gefördert, obwohl in den vergangenen 30 Jahren die deutsche IuK-Industrie ziemlich geschrumpft ist?