PC für den Zappelphilipp

Mit einer Computerspiel-artigen Software versuchen schwedische Forscher, Kindern mit einer Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung zu helfen, ihr Leben besser zu bewältigen.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Kristin Raabe

Computerspiele können aufmerksamkeitsgestörten Kindern helfen. Das belegen Studien am schwedischen Karolinska Institut. Dort hatten mehr als 50 Kinder fünf Wochen lang täglich 45 Minuten lang mit einer speziellen Software ihr Arbeitsgedächtnis trainiert. Dabei verbesserte sich nicht nur ihre Gedächnisleistung, auch andere Symptome ihrer Aufmerksamkeitsstörung verschwanden. Viele Kinder zeigten in der Schule bessere Leistungen und waren weniger impulsiv. "Etliche unserer Studienteilnehmer erfüllten nach dem Training mit dem Computerprogramm noch nicht einmal mehr die Kriterien für eine Aufmerksamkeitsstörung", berichtet Hans Forssberg, Professor für Neurowissenschaften am Karolinska Institut. Lediglich Kinder mit einer starken Hyperaktivität profitierten nicht oder nur wenig von dem Lernprogramm.

Experten unterscheiden im wesentlichen zwei Gruppen von aufmerksamkeitsgestörten Kinder: Die eine Gruppe sind die auffällig hyperaktiven Kinder. Sie springen in der Schule und im Kindergarten über Tische und Bänke und können auch im alltäglichen Familienleben ihre körperliche Unruhe kaum bremsen. Bei der anderen Gruppe steht die Aufmerksamkeitsstörung im Vordergrund. Diese Kindern wirken häufig eher introvertiert und verträumt. In Deutschland leiden etwa sechs Prozent aller Schulkinder unter einer Aufmerksamkeiststörung, zwei Drittel davon sind männlichen Geschlechts.

Hans Forssberg hatte schon jahrelang mit bildgebenden Verfahren die Hirnaktivtät von Kindern mit einer Aufmerksamkeits/Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, untersucht und dabei vor allem im Stirnhirn auffällige Veränderungen gefunden: Dieser Hirnteil war bei Kinder mit ADHS weniger aktiv als bei gesunden Gleichaltrigen. Das Stirnhirn ist so eine Art Kontrollinstanz: Dort werden Handlungen geplant und Impulse kontrolliert. Auch das Arbeitsgedächtnis liegt im Stirnhirn. Der wichtigste Botenstoff dort ist Dopamin. Der Wirkstoff Methylphenidat (Ritalin) bewirkt bei Kindern mit ADHS eine verstärkte Ausschüttung von Dopamin, wodurch die Unteraktivierung des Stirnhirns ausgeglichen wird. Durch das Medikament können sie sich besser konzentrieren und sind nicht mehr so impulsiv.

"Wir wollten jetzt wissen, ob wir durch ein gezieltes Training des Stirnhirns vielleicht zu dem selben Ergebnis kommen", erzählt Forssberg. Das Computerspiel "Robomemo" ist das Resultat dieser Überlegungen. Es setzt bei einer der wichtigsten Funktionen des Stirnhirns an, dem Arbeitsgedächtnis. Das Arbeitsgedächtnis speichert kurzfristig die Informationen, die für die Lösung eines Problems notwendig sind – beispielsweise die Preise der Waren im Einkaufswagen, die man gerade zusammenrechnet. Kinder mit einer Aufmerksamkeitstörung schneiden bei Tests zum Arbeitsgedächtnis in aller Regel schlecht ab.

Mit Hilfe des schwedischen Computerprogramms sollen sie dieses Defizit ausgleichen. Dabei müssen sie rund um den Roboter "Robo" Aufgaben lösen, beispielsweise sich merken, in welcher Reihenfolge die Lämpchen auf Robos Brust aufleuchten. Das Programm spricht alle Sinne an. Und wenn die Kinder acht Aufgaben erfolgreich gelöst haben, dürfen sie zur Belohnung ein reines Spaßspiel spielen: Das Roborace. Wichtig bei dem Programm ist auch, dass die Kinder von einem besonders geschulten Trainer angeleitet werden. Es ist also nicht unbedingt für den Hausgebrauch gedacht. Um die Verbreitung des Trainingsprogramms bemüht sich zur Zeit die Firma Cogmed, die von Mitarbeitern von Hans Forssberg gegründet wurde.

Zur Zeit arbeiten andere Arbeitsgruppen außerdem daran, die Ergebnisse der Schweden zu bestätigen. Immerhin waren bislang alle anderen Versuche gescheitert, durch das Training des Arbeitsgedächtnisses die ADHS-Symptome zu lindern. Die Kinder verbesserten sich zwar in den Testsituationen, im Alltag veränderte sich das Verhalten dagegen kaum. Das scheint bei der schwedischen Studie jetzt erstmals anders zu sein. "Die Ergebnisse der Schweden sind wirklich sehr vielversprechend", meint Professorin Kerstin Konrad, die an der Universitätsklinik Aachen mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern arbeitet. "Aber noch ist das Training mit dem Computerspiel noch nicht soweit, dass es routinemäßig beispielsweise in kinderpsychiatrischen Kliniken eingesetzt werden kann."

Mindestens genauso erfolgsversprechend wie das Computertraining aus Stockholm ist die Arbeit der deutschen Psychologin Ute Strehl. An der Universitätsklinik Tübingen bringt sie Kindern mit ADHS bei, ihre Hirnströme zu kontrollieren. Denn die zeigen bei diesen Kindern normalerweise auffällige Frequenzmuster. Sie haben zu viele langsame und zuwenig schnelle Frequezen. "Die schnellen Anteile sind notwendig, damit ich aufmerksam sein kann, eine Aufgabe konzentriert zu Ende bringen kann und dergleichen mehr", erklärt Strehl.

Während des Neurofeedback-Trainings sitzen die Kinder vor einem Computermonitor. An ihrem Kopf kleben drei EEG-Elektroden, die mit dem Computer verbunden sind. Immer wenn die Hirnströme der Kinder ein "gesundes" Muster aufweisen, also mehr schnelle Frequenzen, geht auf dem Bildschirm ein Ball ins Tor und ein Smiley erscheint. Durch dieses positive Feedback lernen die Kinder tatsächlich ihre unbewussten Hirnströme zu verändern – auch wenn sie selbst nicht sagen können, wie das geht.

Das Ergebnis jedenfalls stimmt. Die Kinder verbessern sich bei kognitiven Aufgaben und schneiden auch in Intelligenztests besser ab. Auch zwei Jahre nach Ende des Training bleiben diese Effekte erhalten. Das belegt die erste Langzeitstudie zum Neurofeedback-Training, die Ute Strehl durchgeführt hat. Dabei konnte die Psychologin Kinder untersuchen, die auch drei Jahre nach Ende des Trainings immer noch in der Lage waren, durch die Kontrolle ihrer Hirnströme den Ball ins Ziel zu manövrieren und die auch im Alltag kaum noch ADHS-Symptome aufwiesen. "Das führt dann zu der Schlussfolgerung, dass das etwas Automatisiertes ist, das wir also das Gehirn dauerhaft verändert haben", meint Strehl.

Trotzdem bieten bislang nur wenige Kliniken ein Neurofeedback-Training für Kinder mit ADHS an. Es kostet viel Zeit und kann nur von speziell ausgebildeten Mitarbeitern durchgeführt werden. Zudem zahlen die Krankenkassen diese Therapie bislang noch nicht. Ute Strehl will nun allerdings in Kooperation mit anderen Kliniken unter kontrollierten Studienbedingungen den endgültigen wissenschaftlichen Beweis vorlegen, dass ihr Behandlungskonzept funktioniert. (bsc)