Die Wolke reloaded

Die norddeutschen AKW Brunsbüttel und Krümmel sind zuletzt heftig in die Kritik geraten. Was würde eigentlich im unwahrscheinlichen Fall eines GAU passieren? Hier ist ein fiktives Szenario, dass Experten durchaus für plausibel halten.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Niels Boeing
Inhaltsverzeichnis

Eigentlich lief für die Energiebranche alles perfekt: Die Debatte um den Klimawandel ließ die Kernenergie, die kaum CO2-Emissionen produziert, in den letzten Monaten wieder in einem günstigeren Licht erscheinen. Doch mit den jüngsten Zwischenfällen in den Kernkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel sind die Sicherheitsrisiken der Technik wieder in den Blickpunkt geraten. Beide Anlagen gehören zum älteren Typ der Siedewasserreaktoren und gelten als nicht ganz so sicher wie die verbreiteteren Druckwasserreaktoren. Erst im Juli war durch die Deutsche Umwelthilfe eine Mängelliste publik geworden, die mehrere hundert offene Punkte im AKW Brunsbüttel auflistet. Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit hat im vergangenen Jahr eine Probabilistische Sicherheitsanalyse Level 2 vorgenommen, die durchaus ernst zu nehmende Schwachpunkte der Siedewasserreaktoren identifiziert hat.

Dennoch haben die deutschen AKW-Betreiber erst vergangene Woche wieder ihre Forderung bekräftigt, die Laufzeiten dieser älteren Reaktoren über die im 2002 geänderten Atomgesetz vereinbarte Ausstiegsvereinbarung hinaus zu verlängern. Die Wahrscheinlichkeit eines katastrophalen Unfalls, auch Super-GAU genannt, ist immerhin verschwindend gering: Pro Betriebsjahr beträgt sie 1 zu 1 Million. Technology Review zeigt in einem fiktiven Szenario, wie ein Super-GAU im AKW Brunsbüttel ablaufen und welche Katastrophenschutzmaßnahmen ergriffen werden könnten. Das Szenario ist von verschiedenen Experten trotz seiner geringen Wahrscheinlichkeit als plausibel eingestuft worden.

7:26 h
Während draußen ein strahlender und sehr windiger Spätsommertag an der Unterelbe angebrochen ist, entsteht bei Wartungsarbeiten in der Umspannstation ein Kurzschluss. Die Stromversorgung des Kraftwerks wird unterbrochen. Die Notstromsysteme springen zwar an, beliefern aber wegen einer technischen Komplikation nicht alle Teile mit Strom – insbesondere auch die mehrfach abgesicherten Notkühlsysteme werden nicht ausreichend versorgt.

7:27 h
Der Reaktor wird sofort heruntergefahren, indem die Steuerstäbe im Reaktorkern zwischen den Brennstäben hydraulisch hochgefahren werden. Auch die Turbine wird abgeschaltet und vom ersten Reaktorkreislauf getrennt, der sie mit dem Reaktorkessel verbindet.

7:33 h
Während die Techniker versuchen, den Fehler in der Notstromversorgung und der Notkühlung zu beheben, heizt die so genannte Nachzerfallswärme im Reaktorkessel das Kühlwasser auf. Die Brennstäbe haben immer noch eine Wärmeleistung von etwa 150 Megawatt. Der Druck steigt jetzt schnell, so dass die Sicherheitsventile ansprechen. In diesem Moment versagt auch die Füllstandsmessung im Reaktorkessel –: ein extrem unwahrscheinlicher simultaner Ausfall zweier wichtiger Sicherheitsfunktionen. Dadurch fallen auch die zusätzlichen Pumpen aus, die unabhängig von der Stromversorgung Kühlwasser in den Reaktor leiten sollen.

7:34 h
Das Überwachungssystem bekommt keine Informationen darüber, wie hoch der Reaktorkern noch mit Wasser bedeckt ist. In der Leitwarte zeigen etliche Sensoren nichts mehr an – die Techniker können nur nachvollziehen, was im Inneren des Reaktors vor sich geht. In den angeschlossenen Überwachungscomputern beim Sozialministerium in Kiel, der Atomaufsicht des Bundeslandes, und beim Katastrophenschutz Schleswig-Holstein laufen nur noch unvollständige Informationen ein. Dort ist klar: Im Kraftwerk Brunsbüttel könnte sich ein ernst zu nehmender Störfall ereignet haben.

7:43 h
Der Wasserpegel im Reaktorkessel sinkt unterdessen weiter ab. Der Druck im Reaktorkessel wird durch die Sicherheitsventile begrenzt. Dadurch entweicht nun Dampf aus dem Reaktorkessel, und der Wasserpegel fällt weiter.

8:02 h
Der Reaktorkern mit den Brennstäben ist nicht mehr mit Wasser bedeckt. Die Nachzerfallswärme der radioaktiven Spaltprodukte im Kernbrennstoff staut sich jetzt ohne Kühlung. Im Reaktorkern bildet sich Wasserstoff. Wegen des Stickstoffs im kugelförmigen Sicherheitsbehälter aus Stahl kann sich das nun entstehende Wasserstoffgas allerdings nicht entzünden, was eine Explosion dort unmöglich macht.