Ein GSM-Netz für den Kongo

Der afrikanische Unternehmer Alieu Conteh hat in einem der am wenigsten entwickelten Länder der Erde ein digitales Mobilfunknetz aus dem Boden gestampft. Im TR-Gespräch berichtet er über die Herausforderungen, die er meistern musste.

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Von
  • Jason Pontin

Alieu Conteh, der Aufsichtsratsvorsitzende von Vodacom Kongo, schuf ein digitales Mobilfunknetz in einem Land, in dem bislang kaum Telefonverbindungen gab. 1999 startete er das "Congolese Wireless Network" (CWN) mit anfangs nur 4000 Abonnenten – in einer Nation, die zum damaligen Zeitpunkt eher als schlechtes Umfeld für Technologie-Investments galt.

Die Demokratische Republik Kongo ist so groß wie Westeuropa und hat 65 Millionen Einwohner. Dennoch gehört sie zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt mit nicht einmal 3200 Kilometern fester Straßen. Vor Contehs Engagement 1999 besaßen weniger als 15.000 Haushalte einen Festnetzanschluss. Nicht mehr als 10.000 Menschen trugen ein teures analoges Mobiltelefon mit sich herum.

Beim Aufbau seiner Firma musste Conteh Schwierigkeiten überwinden, die bei Telekom-Managern in Industrieländern wohl niemals aufkommen würden. Er musste dabei ständig improvisieren: In einer Zeit, in der der Kongo ständig am Rand des Bürgerkrieges war, wollte ein Zulieferer keine Ingenieure in das Land schicken. Conteh reagierte, in dem er Bürger in der Hauptstadt Kinshasa bat, aus gesammeltem Altmetall einen Mobilfunkturm zusammenzuschweißen.

2001 startete Conteh zusammen mit Vodacom, dem größten Mobilfunkanbieter Südafrikas, ein Joint Venture, bei dem Vodacom 51 Prozent übernahm. Mitte 2006 hatte Vodacom Congo bereits mehr als 1,5 Millionen Abonnenten. Heute ist die Firma laut Conteh bei über zwei Millionen Kunden angekommen und soll mehr als 1,5 Milliarden Dollar wert sein.

Technology Review sprach mit Conteh auf einer Technologiekonferenz in Tansania. Der 55jährige wirkte im Interview optimistisch, gut gelaunt und vital – und fand seine eigene Geschichte selbst recht amüsant, bei allem stolz auf seine Leistung.

Technology Review: Herr Conteh, haben Sie vor der Gründung Ihres Mobilfunknetzes im Telekommunikationsbereich gearbeitet?

Alieu Conteh: Nein, ich war Exporteur von Kaffeebohnen. Beim letzten großen Bürgerkrieg im Kongo verlor ich auf meinem Land aber alles an die Rebellen. Als Kabila im Mai 1997 die Macht ergriff, hielt er eine heute berühmte Rede in Kinshasa. Er sprach von einer Null-Toleranz-Politik gegenüber Banditentum und Korruption – und dass der Kongo sehr grundlegende Dinge bräuchte: Recht und Gesetz, Bildung, Straßen und Telekommunikation. Das hat mich sehr beeindruckt.

TR: Hat Sie das inspiriert?

Conteh: Ja. Ich begann, über Telekommunikation nachzudenken. Ich wusste, dass der Wiederaufbau der Infrastruktur des Landes Milliarden von Dollar kosten würde und vermutlich die Hilfe der ganzen Welt benötigte. Ich gehörte aber auch zu den wenigen im Land, die damals schon ein analoges Mobiltelefon hatten. Die meisten Menschen im Kongo, die zu dieser Gruppe gehörten, waren Minister oder ihre Mitarbeiter, das Militär, Ausländer und Geschäftsmänner wie ich. Mein Telefon kostete mich damals 1200 Dollar und ich bezahlte 15 Dollar pro Minute. In dieser Technologie sah ich aber bereits große Chancen.

TR: Was taten Sie dann?

Conteh: Zwei oder drei Wochen nach der Rede Kabilas stellte mich ein Freund dem Post- und Telekommunikationsminister vor. Ich fragte ihn, ob ich ihm einen Vorschlag für eine Mobilfunklizenz vorlegen könne. Er fragte mich, was für eine Lizenz ich damit meinte. Ich antworte: GSM. Der Minister war freundlich, aber auch standhaft – ich müsste erst die richtigen Dokumente vorlegen. Als er mich schließlich zur Tür brachte, fragte er mich, ob ich verstünde, wie teuer ein solches GSM-Netz sein würde. Meine Antwort war, dass ich das Netz bauen würde, falls mir die Regierung eine Lizenz erteilt.

TR: Wie ging es weiter?

Conteh: Ich wusste rein gar nichts über das Thema Telekommunikation. Ich fragte meine Sekretärin, ob sie jemanden kannte. So lernte ich meinen ersten Angestellten Gilbert Nkuli kennen, der dann zum Telekommunikationsministerium ging und die notwendigen Anträge ausfüllte. Ich rief einen Freund an und fragte, ob er Zulieferer kennen würde. Er kannte einen: Nortel. Mit denen sprach ich dann in Paris. Der zuständige Manager sagte mir, er bräuchte einen Einladungsbrief, um ein Visum für den Kongo zu erhalten. Das schickte ich ihm dann und eine Woche später war er hier.

TR: Nortel zeigte Interesse.

Conteh: Es schien so. Zu dritt gingen wir dann zum Minister. Wir erzählten ihm, wie wir eine Netzabdeckung der größten Städte im Kongo erreichen wollten. Vier Monate später rief mich der Minister wieder in sein Büro und sagte mir, dass die Regierung die Lizenz erteilen werde. Vor der Erteilung müsse ich aber 100.000 Dollar zahlen.

TR: Für eine Exklusivlizenz?

Conteh: Um Ihnen die Wahrheit zu sagen – ich wusste es nicht. Ich hatte zuvor noch nie eine solche Lizenz gesehen. Aber die Regierung wollte, dass ich die 100.000 in amerikanischen Dollar an die Zentralbank zahlte. Ich trieb das Geld auf. Drei Monate später rief mich der Minister wieder an. Da sagte er: "Conteh, Sie müssen nochmals 100.000 Dollar zahlen." Also zahlte ich insgesamt 200.000. Die Lizenz bekam ich aber immer noch nicht.

TR: Die wollten Sie übers Ohr hauen?

Conteh: Warten Sie, es wird noch lustiger. Im Januar 1998 fuhren alle großen Regierungsbeamten auf eine Konferenz nach Uganda, auf der es um panafrikanische Belange ging. Als sie zurückkamen, rief mich der Telekommunikationsminister erneut an und sagte, die ugandische Regierung habe ihre GSM-Lizenz für 8 Millionen Dollar verkauft und Uganda sei ein kleines Land: "Unsere Lizenz kostet dann auch 8 Millionen!" Ich blieb ruhig und sagte, ich bräuchte ein paar Tage.

Eine Woche später ging ich nochmals zum Minister und sagte ihm: "Sehr geehrter Herr Minister, 8 Millionen für den Kongo? In der Zukunft vielleicht. Heute aber nicht." Er fragte mich, warum ich das meinte. "Der Krieg ist der Grund", antworte ich, "alles ist zerstört, alle verlassen das Land". Dann endlich erhörte er mich. Er fragte mich, wie viel ich zahlen könne: "Was glauben Sie, was die Lizenz tatsächlich wert ist?" Ich musste fair sein und sagte dann 2 Millionen. Er rief mich am selben Abend an um mir zu sagen, dass ich eine 20-Jahres-Lizenz erhalten würde, um ein GSM-Netzwerk im Kongo zu betreiben.

TR: Und dann?

Conteh: Nun, natürlich war das erst der Anfang. Wir baten Nortel, eine Studie durchzuführen, wie teuer ein solches Netzwerk sein würde. Wir sprachen auch mit dem damaligen US-Kommunikationskonzern GTE. Wir hofften, dass wir einen Partner finden würden, der in die Idee eines kongolesischen GSM-Netzes investieren könnte. Irgendwann musste ich dann aber ehrlich zu mir sein – ich musste mir eingestehen, dass kein Zulieferer Geld in den Kongo stecken würde.

Ich ging also nach Hause und fragte meine Frau. Unsere gesamten Ersparnisse beliefen sich damals auf 1,5 Millionen Dollar. Sie sagte mir, ich solle meinem Herzen folgen. Das war so teuer und schmerzhaft für mich. Zum Schluss ging ich dann zu Nortel, ich ging nach Paris. Und ich trug mein persönliches Scheckbuch bei mir.

TR: Wie fühlten Sie sich dabei, einen persönlichen Scheck über eine solche Summe auszustellen?

Conteh: Nachdem ich den Scheck geschrieben hatte, gab Nortel eine Champagner-Party. Alle Nortel-Manager Frankreichs waren anwesend. Sie wollten wissen, wer hinter dieser Sache steckt. Vor den öffentlichen Reden versuchte mir der Präsident von Nortel ein Glas Champagner einzuschenken. Ich sagte, ich hätte gerne ein Wasser. Ich sagte ihm: "Am Tag an dem mein Netzwerk fertig ist, trinke ich etwas, aber nicht vorher."

TR: Nachdem Sie Ihr Erspartes ausgegeben hatten, brauchten Sie ja auch noch Kapital für Mitarbeiter, Fahrzeuge, Büros und so weiter. Wie haben Sie das hinbekommen?

Conteh: Ich habe alles verkauft – meine Kaffee-LKWs, mein persönliches Auto, alles. Wir hatten am Anfang nie genügend Geld. Es gab einen Zeitpunkt, an dem ich allen, die für uns arbeiteten, sagen musste, dass wir die Gehälter nicht zahlen könnten. Ich sagte ihnen auch, dass in der Zukunft alles gut sein würde, wenn wir nur zusammenhalten würden. Und die meisten blieben bei uns! Heute haben sie sich alle Häuser gekauft.

TR: Wie lief dann schließlich der Start des Congolese Wireless Network ab?

Conteh: Am Tag vor dem Start liefen die Tests noch gut. Dann ging ich zu unserer Switching-Station, die ich in einem modernen Ein-Zimmer-Apartment in Kinshasa untergebracht hatte, weil es dort sicher sein würde. Als ich den Raum betrat, waren die Ingenieure sehr nervös – der Switch funktionierte nicht. Das CWN sollte am nächsten Morgen um 11 Uhr, am 20. Februar 1999, vorgestellt werden. Die Ingenieure arbeiteten die ganze Nacht durch – ich ließ ihnen gegrilltes kongolesisches Fleisch bringen. Aber am Samstagmorgen funktionierte es immer noch nicht. Die ganze Regierung war zu einer Zeremonie in das Hotel Memling gekommen. Alle Botschaften sind dort. Aber ich saß immer noch in meinem Büro. Ich hatte ein GSM-Telefon in einer Hand und ein analoges in der anderen und sprach auf dem analogen Leitung mit meinen Ingenieuren. Es war 20 Minuten vor 11. Ich ging zum Minister und seiner Delegation. Auch er machte sich Sorgen und fragte, ob wir die Sache verschieben sollten. Ich sagte nur: Nein, nein, das wird schon klappen.

Um fünf vor 11 gingen wir dann also in die große Halle und saßen auf einer Art Bühne. Der Staatsminister, der den Präsidenten vertrat, war vor Ort. Die Nortel-Repräsentanten auch, die Journalisten machen Fotos. Der Minister haute mir auf die Schulter und fragte, ob wir das noch stoppen könnten. Ich sagte mir: Wenn ich jetzt in Panik ausbreche, bin ich fertig. Und wenn das Netzwerk nicht heute seinen Betrieb aufnimmt, auch. Genau zu diesem Moment klingelte mein GSM-Handy.

Ich sagte: "Hallo?" Der Nortel-Ingenieur am anderen Ende der Leitung, ein Franzose, fragte, ob ich es sei. Ich antwortete mit Ja. "Hier ist Sebastien, es funktioniert!" Dann bat ich ihn, um Himmelswillen in der Leitung zu bleiben und schaute den Minister an: "Ich freue mich, Ihnen das allererste digitale Telefon im Kongo zu präsentieren. Es wird nie wieder Luxus in diesem Land sein!" Und dann klatschten alle. Ich gab dann dem Minister das Handy, weil ich schwitzte wie ein Verrückter. Der Minister sagte dann: "Sebastien? Sebastien? Die ganze kongolesische Nation hört Ihnen zu. Vielen Dank dafür." Und dann gab der Minister das Telefon an den Repräsentanten des Regierungschefs, der ebenfalls mit meinem Ingenieur sprach. (bsc)