Kombikraftwerk: Mit der Kraft der vier Herzen

Forscher an der Universität Kassel haben zusammen mit mehreren Ökostrom-Konzernen eine Versuchsanlage entwickelt, die zeigen soll, dass sich der deutsche Energiebedarf allein aus erneuerbaren Quellen speisen lassen könnte.

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Die Ökostrom-Branche, so bekommt sie es jedenfalls regelmäßig zu spüren, wird immer noch nicht für voll genommen. Trotz großer Wachstumsraten, die laut optimistischen Schätzungen im Jahr 2007 hier zu Lande bereits einen Marktanteil von 15 Prozent bedeuten könnten, müssen sich die Betreiber von Solar-, Wind- und Biogas-Anlagen regelmäßig anhören, sie könnten, wenn es darauf ankäme, ein Gebiet wie Deutschland nicht vollversorgen.

Daher, so die Vertreter der traditionellen fossilen Energieformen, seien Kohle-, Gas-, Öl- und Atomkraftwerke auch auf lange Sicht nicht aus dem Energiemix wegzudenken - ganz egal ob nun der Klimawandel droht oder die Öl- und Gaspreise weiter steigen.

Und die Argumente klingen ja auch nicht unrationell: Solaranlagen liefern schließlich nur dann Strom, wenn die Sonne scheint, Windräder drehen sich nur, wenn eine Briese bläst - und Biogas ist (auch) davon abhängig, wie ertragreich die Ernte ausfällt. Zwischenspeicher für Strom zur Pufferung hingegen sind teuer oder noch nicht ausentwickelt, sagen Kritiker. Eine Lösung, angesichts dieser vorhandenen Defizite eine Vollversorgung zu erreichen, wirkt zunächst also weit entfernt; die Ökoenergie-Branche darf somit nur eine (wenn auch zunehmend wichtigere) Nebenrolle spielen.

Was wäre aber, wenn man einfach die Vorteile der Vielfalt nutzen würde - und die verschiedenen erneuerbaren Energieträger zusammenfasst, so dass sie sich ergänzen, gesteuert von einer intelligenten Zentrale? Ließe sich so eine Versorgungssicherheit herstellen und beweisen, dass die "Ökos" doch das Zeug haben, eines Tages die Hauptrolle zu spielen?

Mit dieser Idee spielt man seit einigen Jahren am Institut für Solare Energieversorgungstechnik (ISET) der Universität Kassel. Dort forscht Jürgen Schmid an erneuerbaren Energien und ihren Verteilsystemen. 2006 wurde der Plan dann in Form eines Pilotprojektes zusammen mit drei großen Ökostrom-Firmen auf den Weg gebracht: Enercon aus dem Windkraftbereich, Solarworld aus dem Sonnenenergie-Sektor und Schmack aus dem Feld Biogas. Weitere kleinere Partner, darunter auch ein Stadtwerksbetreiber, beteiligten sich ebenfalls.

Der Ansatz hört auf einen einfachen Namen: das Kombikraftwerk. Die Anlage, die nun in Berlin vorgestellt wurde, ist bereits am Netz - im Maßstab 1:10.000, was etwa der Menge an Strom entspricht, die für eine Stadt wie Stade mit 12.000 Einwohnern notwendig wäre. Insgesamt 36 verschiedene dezentrale Standorte - von der Windkraftanlage über den Solarpark bis hin zum Biogasverbrenner - werden dabei kombiniert. Vierte Komponente ist eine Pufferlösung in Form eines Wasserspeicherkraftwerkes.

Das System soll möglichst optimal aufeinander abgestimmt sein. Bläst der Wind beispielsweise in Norddeutschland besonders stark, während sich in Bayern Wolken vor die Sonnenkollektoren schieben, übernehmen die Turbinen der Hauptlastanteil. Ist es windstill und gleichzeitig trübe, kommt das mit erneuerbaren Pflanzenrohstoffen erzeugte Biogas zum Einsatz.

Auch für den Fall eines Zuviels an Energieerzeugung wollen sich die Forscher gerüstet haben. Bläst der Wind stärker, als dies für die aktuelle Stromversorgung notwendig wäre, übernimmt ein Wasserspeicherkraftwerk diese überschüssige Energie - und kann diese in Lastspitzen nach Stunden oder auch einmal einem Tag wieder abgeben. Und ist Biogas einmal zu viel vorhanden, wird es im ausgedehnten Gasnetz zwischengespeichert.

Soweit die Idee - doch kann ein solches System tatsächlich genauso zuverlässig funktionieren wie das heutige, bewährte fossile Energieversorgungsnetz? Der Zusammenbau der Pilotanlage mit zentraler Steuerung sollte es beweisen. Tatsächlich gelang es den Forschern laut Angaben von Schmid über mehrere Monate, die aktuelle Energiebedarfskurve Deutschlands im Kleinen "nachzufahren" - inklusive Prognosekurve des nächsten Tages. Sein ISET-Forscherkollege Kurt Rohrig sieht auch in der Zusammenfassung so vieler Einzelkomponenten kein Problem: "Die dezentrale Vernetzung erlaubt es, die Wind-, Solar- und Biogasanlagen wie ein herkömmliches Großkraftwerk zu steuern." Auch eine neue Leitwartensoftware sei nicht notwendig, betonte er in Berlin.

Noch ist unklar, was aus der Versuchsanlage Kombikraftwerk in der Praxis wird. Sollten die optimistischen Prognosen eintreten, dass die Erneuerbaren bis 2020 bis zu 40 Prozent des deutschen Strombedarfs abdecken, wird es wohl schneller Realität, als man heute noch annimmt - schon allein deshalb, um die vielen dezentralen Zulieferer funktionierend unter einen Hut zu bringen. Dass das im ganz kleinen Maßstab funktionieren kann, hat die Pilotanlage in Berlin demonstriert. Jetzt kommt es auf die Skalierbarkeit an – die sei gegeben, betonten die Kombikraftwerkspioniere in Berlin. (bsc)