Anthony Giddens: Nutzen wir die Chancen des digitalen Zeitalters

Mit dem Internet, Robotern und Supercomputern hat die Menschheit die Chance, eine neue Stufe der Zivilisation zu erreichen. Die Technologien bergen aber auch die Gefahr eines universalen Vernichtungskrieges, warnt der Soziologe Anthony Giddens in Berlin.

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Anthony Giddens

Anthony Giddens in Berlin.

(Bild: heise online/Borchers)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Detlef Borchers
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Der britische Soziologe Anthony Giddens hat an der Hertie School of Governance in Berlin die Chancen der neuen Technologien gelobt, zugleich aber vor der Gefahr hochtechnisierter Kriege gewarnt. In seiner Auftaktvorlesung für das beginnende Semester mit dem Titel "Into the Digital Age: The World in the 21st Century" ging es auch um Watson, mit dem IBM auf der IFA 2015 gerade zeigt, wie das aussehen kann mit dem Internet der Dinge.

Das Internet, Supercomputer und Roboter sind die drei bestimmenden Technologien des 21. Jahrhunderts, davon ist der britische Star-Soziologe überzeugt. Für Giddens ist IBMs Watson das Zukunftsparadigma schlechthin. Die alten Computer wie Big Blue im Jahr 1997 konnten eigentlich nur Schach spielen. Statt hochspezialisierter Maschinen sei Watson seit 2011 als einfach zu erreichendes Universalprogramm im Einsatz. "Politik sieht ganz anders aus, wenn man einen Supercomputer in der Tasche hat."

Ähnlich positiv bewertete Giddens das Internet als technischen Hebel, der die größte und schnellste technologische Veränderung in der Geschichte der Menschheit in Gang gesetzt habe. Als Indiz für seine These verwies er auf das Aufkommen von Smartphones im Jahre 2007, eine ultramoderne Technologie, die dann in Nullkommanichts in Afrika oder dem Iran zum allgemeinen Einsatz gekommen sei. Diese Geschwindigkeit sei mit keiner der bisherigen Technik-Entwicklungen zu vergleichen.

Für ähnlich wichtig hält Giddens die Entwicklungen in der Robotik, wo Maschinen das übernehmen, was Menschen nicht leisten können. "Wer genau hinschaut, wird sehen, dass Robotik überall ist, nicht nur in den Google Cars." Die drei Megatrends werden große Teile der Mittelklasse und der herkömmlichen Wissensarbeiter arbeitslos machen und die "Aufstiegsträume des alten Jahrhunderts" zerstören.

Seinen Kritikern hält Giddens entgegen, er sei alles andere als ein technologischer Determinist. Er gebe lediglich zu, was andere ignorierten: "Wir leben in einer 'Wir-wissen-nichts-Welt' mit höchsten Risiken und höchsten Chancen für die Menschheit. Vielleicht zerstören wir die letzte Chance, eine humane Zivilisation aufzubauen." Giddens verweist auf die von Ray Kurzweil entwickelte Theorie der technologischen Singularität. Es sei möglich, dass Künstliche Intelligenz dem Menschen enteilten, aber nur wenn dieser seine Chancen und Möglichkeiten nicht wahrnehme.

In dieser Hinsicht kritisierte Giddens die technologische Blindheit außerhalb der IT. Bedeutende Entwicklungen wie eben Watson oder das Mining von Bitcoins würden nicht wahrgenommen, auf Informationsphänomene wie ISIS werde mit Unverständnis reagiert. "ISIS ist eine Organisation des 21. Jahrhunderts”, sagt Giddens. “Ganz nebenbei zeigt sie, dass Technik neutral ist."

Die größte Gefahr für die Zukunft liegt für Giddens in der Nutzung von Internet, Supercomputing und Robotik bei der Kriegsführung. Das Spektrum reiche vom Cyberkrieg, der möglicherweise längst stattfinde, bis zum automatisierten Gefechtsfeld, mit dem praktizierten Drohnenkrieg als Vorstufe. "Das digitale Zeitalter hat die Kriegsführung grundlegend verändert. Wir können zwar nicht die Konsequenzen dieser Entwicklung vorhersehen, aber sie werden außerordentlich gravierend sein." (vbr)