Nobelpreis für Jäger der Geister-Teilchen

Der Nobelpreis für Physik 2015 geht an den Japaner Takaaki Kajita und den Kanadier Arthur B. McDonald für den experimentellen Nachweis von so genannten Neutrino-Oszillationen. Mit diesem Beweis der Umwandlung von Neutrinos gilt es auch als gesichert, dass diese Elementarteilchen eine von Null verschiedene Masse haben.

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Der Nobelpreis für Physik 2015 geht an den Japaner Takaaki Kajita und den Kanadier Arthur B. McDonald für den experimentellen Nachweis von so genannten Neutrino-Oszillationen. Mit diesem Beweis der Umwandlung von Neutrinos gilt es auch als gesichert, dass diese Elementarteilchen eine von Null verschiedene Masse haben.

Neutrinos entstehen beispielsweise bei der Kernfusion im Inneren der Sonne, aber auch beim natürlichen Zerfall radioaktiver Elemente. Um diesen Zerfall physikalisch zu erklären, wurden die Teilchen bereits Anfang des 20. Jahrhunderts postuliert – lange bevor sie zu ersten Mal nachgewiesen werden konnten.

Bei einem radioaktiven Beta-Zerfall zerfällt ein Neutron in ein Proton und ein Elektron. Eigentlich müsste dieses Elektron einen konstanten Energiewert haben, aber die Elektronen zeigen eine ganz klare Energieverteilung. Der Physiker Wolfgang Pauli postulierte deshalb bereits 1930 ein bis dahin unbeobachtetes Elementarteilchen, um so die Impulserhaltung und die Energieerhaltung sicherzustellen. Der Physiker Enrico Fermi nannte dieses Teilchen Neutrino (kleines Neutron, Neutrönchen). Erst 26 Jahre später wurden sie aber erstmals experimentell nachgewiesen.

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Um einzusehen, was Neutrinos so besonders macht, muss man verstehen, wie Elementarteilchen miteinander in Wechselwirkung treten: Teilchenphysiker nehmen an, dass Elementarteilchen Wechselwirkungsquanten austauschen, über die verschiedene Arten von Kräften vermittelt werden. Wenn sich ein Elektron und ein Proton gegenseitig anziehen, dann tun sie das in diesem Modell zum Beispiel, indem sie "virtuelle Photonen" miteinander austauschen.

Ob eine bestimmte Kraft auf ein Elementarteilchen wirkt, hängt davon ab, ob es die zugehörige Ladung trägt – neben der elektrischen gibt es zum Beispiel die "Farbladung", die mit der "starken Kraft", verbunden ist, die Atomkerne im Kern zusammenhält. Neutrinos sind zwar nach Photonen die zweithäufigsten Teilchen im Universum. Sie unterliegen aber weder der elektromagnetischen noch der starken Kraft. Das heißt, sie durchdringen Materie wie ein Messer die Butter.

Takaaki Kajita

(Bild: Courtesy of Takaaki Kajita)

Um Neutrionos überhaupt nachweisen zu können, ist deshalb ein erheblicher Aufwand nötig. Im Neutrino-Observatorium Super-Kamiokande, 50 Kilometer nordwestlich von Tokio zum Beispiel, ist ein Tank mit 50.000 Tonnen ultrareinem Wasser eingebaut, der von 11.000 optischen Sensoren überwacht wird. Denn manchmal, ganz selten, fliegt ein Neutrino so dicht an einem Atomkern vorbei, dass die schwache Wechselwirkung zuschlagen kann. Dann passiert so etwas wie ein umgekehrter Beta-Zerfall: Ein Neutrino, das auf ein freies Proton stößt, erzeugt ein Neutron und ein Positron, das einen Lichtblitz erzeugt, wenn es auf ein Elektron trifft.

Aus der schwachen Wechselwirkung von Neutrinos mit Atomkernen lernten die Physiker, drei Arten von Neutrinos zu unterscheiden: Elektron-Neutrinos, Muon-Neutrinos und Tau-Neutrinos. 1998 präsentierte Kajita am Super-Kamiokande gemessene Daten, die zeigen, dass in der Atmosphäre durch Höhenstrahlung erzeugte Muon-Neutrionos, auf dem Weg von ihrem Ursprungsort zum Detektor "verloren gehen".

Arthur McDonald

(Bild: Queen's University Communications)

2001/2002 publizierte McDonald Mess-Ergebnisse aus dem Sudbury Neutron Observatorium. Die Anlage ist mit 1.000 Tonnen schwerem Wasser – aus Deuterium – ausgerüstet, um die Neutrinos der Sonne zu messen. Die Daten wiesen jedoch darauf hin, dass der Detektor aus Richtung der Sonne auch Muon- und Tau-Neutrinos nachwies. Die einzig mögliche Erklärung für die beiden unabhängigen Beobachtungen war, dass die Neutrinos "das Aroma" im Lauf der Zeit verändern, also sich auf dem Weg von der Sonne zur Erde verändern. Quantenmechanisch lässt sich das nur erklären, wenn die einzelnen Neutrino-Arten eine voneinander verschiedene Masse besitzen.

Dafür wurden die beiden Forscher nun vom Nobelpreis-Komittee ausgezeichnet. Die Ergebnisse interessieren indes nicht nur Teilchenphysiker, sondern auch Kosmologen. Denn wenn die Neutrinos eine von Null verschiedene Ruhemasse besitzen, bilden sie eventuell den Gegenpart zu der von den Kosmologen postulierten dunklen Materie.

Mit der Forschung von McDonald und Kajita ist das Rätsel um die Neutrinos allerdings noch lange nicht gelöst. "Wie genau ist die Masse? Wie groß ist der Unterschied der Massen? Und welches ist das leichteste Neutrino?", skizzierte McDonald nur einige der noch offenen Fragen. Das könnte Stoff für weitere Nobelpreise liefern.

[Update, 06.10.2015, 13:30 Uhr]:
Details zu den Entdeckungen der Preisträger wurden hinzugefügt.

(wst)