Zündfunk-Netzkongress #zf15: Rote Karte für die Politik

Eine Ex-Bundesjustizministerin und ein Landesverräter a. D. sind sich zum Auftakt des dritten Netzkongress des Szenemagazins Zündfunk auffallend einig: Vorratsdatenspeicherung verhindern, Geheimdienste besser kontrollieren.

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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Die Vorratsdatenspeicherung kommt zurück, warnt die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auf dem Netzkongress #zf15.

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Monika Ermert

Die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland kommt zurück, befürchtet die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Aber sie prophezeit gleichzeitig: „Das Ding landet wieder vor den Gerichten.“ Insbesondere vom Europäischen Gerichtshof erhofft sie weitere „knallrote Karten“ für die Politik in Sachen Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung.

Leutheusser-Schnarrenberger sprach zusammen mit Netzpolitik-Gründer Markus Beckedahl zum Auftakt des zweitägigen Zündfunk-Netzkongress #zf15 im Münchner Volkstheater. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung lässt nach Ansicht der ehemaligen Bundesjustizministerin eine anlasslose Massenüberwachung grundsätzlich nicht mehr zu. Trotzdem werde die deutsche Neuauflage vorraussichtlich schon im Januar wieder in Kraft treten, warnte sie. Das Gesetz soll noch in diesem Monat durch den Bundestag gebracht werden.

Die Juristin hatte selbst zu den tausenden von Klägern gehört, die vor dem Bundesverfassungsgericht 2010 ein Urteil gegen die in Deutschland praktizierte Vorratsdatenspeicherung erstritten hatten. Beim Zündfunkkongress berichtete sie auch vom Druck in der Koalition, die EU-Richtlinie erneut verfassungskonform umzusetzen. Die auflaufenden Strafzahlungen der EU-Kommission für die Nicht-Umsetzung müsse ihr Ressort oder sie dann eben selbst bezahlen, wenn sie so „bockbeinig“ sei, hatten ihr die Kollegen bedeutet. Das schließlich ergangene Urteil des obersten Gerichts der EU hatte dagegen aus ihrer Sicht ein für alle Mal geklärt, dass eine Speicherung der Kommunikationsdaten immer verdachtsbezogen erfolgen müsse. Die Zeit der Speicherung, ob drei Monate, sechs Wochen oder drei Jahre sei dabei egal.

Entscheidend ist es aus Sicht der Juristin, eine neue Klage möglichst rasch vor den EUGh zu bringen, etwa indem wegen der Speicherung gegen einen Teledienstanbieter geklagt werde.Ein Nachsetzen der Bürger forderte Leutheusser-Schnarrenberger auch beim gerade ergangenen Urteil gegen die Unbedenklichkeit von Datentransfers in die USA. Das Safe-Harbour-Urteil, „ein Knaller“ und die erste klare Antwort auf die NSA-Affäre, dürfe nicht dazu führen, dass die Wirtschaft rasch mit Modellverträgen oder Zustimmungsregelungen zur Tagesordnung übergingen. Der Mangel, dass die US-Behörden wahllos auf die Daten der privaten Datenspeicherer zugriffen, werde durch die Zustimmung eben auch nicht behoben. Bürger müssten vielmehr die Datenschützer jetzt auffordern, die Sicherheit der von ihnen transferierten Daten zu prüfen. In letzter Konsequenz gelte es, die Daten in Europa, oder sogar in Deutschland zu speichern – und dann gleichzeitig die Tätigkeit des Bundesnachrichtendienstes strenger zu kontrollieren.

Eine bessere Kontrolle der Geheimdienste stand auch auf der Liste von Eröffnungsredner Beckedahl, neben einem besseren Schutz für Journalisten und bloggende Bürger. Auch Whistleblower seien in Deutschland nach wie vor sehr viel schlechter geschützt als in anderen Ländern. Leutheusser-Schnarrenberger räumte ein, Vorschläge für die bessere Kontrolle der Dienste lägen seit Jahren vor. In Sachen Landesverratsaffäre hielt sie sich mit Kritik am Generalbundesanwalt, den sie selbst noch zu ihrer Amtszeit ernannt hatte, zurück, sagte allerdings, das Verfahren hätte niemals eingeleitet werden dürfen. Für die Bundesministerin a. D. sitzt der „eigentliche Brandstifter noch im Amt“, nämlich der Chef des Verfassungsschutzes, „über den redet niemand mehr“, kritisierte sie. Parallel zum Zündfunkkongress findet am heutigen 10. Oktober auch eine Münchner Ausgabe der "Freiheit statt Angst"-Demonstration statt. (it)